Die Plattform «Math Stack Exchange» ist so was wie das Instagram der Nerd-Welt. Dort posten angehende Mathematiker ungelöste Gleichungen und schwierige fachliche Probleme. In der Hoffnung, dass ein Genie vom anderen Ende der Welt weiterhilft und eine schnelle Lösung präsentiert. Ähnlich wie auf Instagram kann die Community dabei besonders hilfreiche Antworten mit einer Art «Like» belohnen. Die grösste Aufmerksamkeit erhalten hier allerdings helle Köpfe für geistreiche Lösungen – und nicht Models für ihr letztes Strandfoto.
Auf dieser vermeintlich langweiligen Website spielte sich in den letzten 12 Jahren ein regelrechter Thriller ab, wie er auf Netflix zu sehen sein könnte. Denn viele Nutzer wurden 2013 auf das Profil einer Mathematikerin aufmerksam, die sich Cleo nannte und die aussergewöhnlich schwierige Integrale in Rekordzeit löste.
Das Ganze begann damit, dass die hilfesuchende Userin Laila Podlesny an einem Novemberabend die Fachwelt nach der Lösung zu einem hochkomplexen mathematischen Problem fragte, das die Community ratlos zurückliess. Cleo postete jedoch nur wenige Stunden nach Veröffentlichung der Frage einen ganz kurzen mathematischen Begriff. Was zuerst für Gelächter und neunmalkluge Belehrungen sorgte.
Doch das Lachen der Besserwisser verstummte bald. Denn ein anderer Nutzer hatte sich des Problems ebenfalls angenommen. Seine Lösung nach 11 Tagen kompliziertester Rechnerei: Genau die gleiche wie Cleo. Nur hatte er extrem viel länger gebraucht, um darauf zu kommen und den Beweis für dir Richtigkeit mit einem Lösungsweg zu erbringen.
Das Spektakel wiederholte sich einige Male: Cleo löste in wenigen Stunden komplizierte Problem, für die andere Tage brauchten. So begann schnell ein Hype um das Profil der genialen Mathematikerin, die so anonym wie möglich bleiben wollte und vorgab, nur an Fachlichem interessiert zu sein. Die Selbstbeschreibung in ihrem Profil lautet: «Ich bin eine Frau und habe eine medizinische Krankheit, die es mir schwierig macht, in Konversationen zu interagieren oder lange Antworten zu posten. Ich entschuldige mich dafür. Und tue mein Möglichstes, um auf dieser Website hilfreich zu sein.»
Ein jahrelanges Rätselraten begann um die Identität der jungen Frau. Im «New Scientist» wurde gerätselt, ob Stephen Hawking sich hinter dem Pseudonym versteckt, oder Fields-Medaillen-Gewinnerin Maryam Mirzakhani. Fans richteten eine Website ein, auf der man sich an der Suche nach Cleo mit geheimdienstlichen Methoden beteiligen konnte. Etwa, indem man den Posting-Zeitpunkt von Cleos Antworten statistisch auswertete und einer Weltregion zuordnete. Oder indem man längst gelöschte Posts in alten Internet-Archiven durchsuchte und dort auf Hinweise hoffte. Doch jegliche Enthüllungsversuche blieben erfolglos. Bis jetzt.
Denn zwei Youtuber hatten herausgefunden, dass viele der Fragesteller, auf deren Probleme Cleo antwortete, insgesamt nur eine einzige Frage gestellt hatten. Das könnte ein Indiz sein, dass es sich um Fake-Profile handelt. Also bohrten die zwei technikaffinen Youtuber weiter und fanden heraus, dass die Profile von Mathe-Genie Cleo und der Userin Laila Podlesny, welche die erste Frage gepostet hat, irgendwie zusammenhängen müssen.
Sie versuchten sich daraufhin in das seit Jahren stillgelegte Profil der allerersten Fragestellerin Laila Podlesny einzuloggen. Mithilfe eines technischen Tricks gelangten sie an eine E-Mail-Adresse, die in Laila Podlesnys Profil aus Sicherheitsgründen als Back-up hinterlegt war. Kurz später stiessen sie so auf den Klarnamen: Vladimir Reshetnikov.
Das ist ein ziemlich unbekannter usbekischer Professor, der an der Universität in Sankt Petersburg als Mathematiker arbeitet. Die Youtuber konfrontierten den Mann mit ihrer These, dass er die berühmte Cleo sei. Da gab Reshetnikov den ganzen Schwindel schliesslich zu und erklärte seine ungewöhnlichen Beweggründe. Er habe früher unter seinem eigenen Namen mathematische Probleme gepostet, doch auf die hätte nie jemand reagiert. Nicht einmal dann, als er schon eine eigene Lösung gefunden hatte und nur um eine Überprüfung seines Rechenweges bat.
Also dachte er sich eine Strategie aus, mit der er andere Fachleute zum Interagieren bringen wollte: Er hat den Cleo-Account nur dazu erstellt, damit sich die anderen Nutzer über die vermeintlich falschen Antworten aufregen und mit eigenen Rechnungen zu falsifizieren versuchen. Wenn ihnen das nicht gelang, musste Reshetnikovs Lösung richtig sein – und das war sie fast immer. Der usbekische Professor schuf sich so ein tadelloses System, um die eigene Forschung kostenlos im Internet verifizieren zu lassen.
Aus heutiger Sicht dürfte Reshetnikov seine Methode allerdings etwas peinlich sein. Auf eine Anfrage dieser Zeitung reagierte der Mathematiker nicht. Auf X gab er allerdings bekannt, dass er nie vorhatte, den Schwindel hinter Cleo publik zu machen. Erst die hervorragende Recherche der beiden Youtuber hätte ihn dazu gezwungen.
I had no plans to ever disclose it, but Joe McCann contacted me and presented very convincing evidence linking me to Cleo, so I had to acknowledge it. Joe interviewed me and made a 25min video that tells the full story: https://t.co/bO9x0ZgRWD
— ♦ vladimir reshetnikov ♦ (@ereliuer_eteer) February 17, 2025
Der Beweis für die Richtigkeit dieser wilden These wurde dann aber letzte Woche erbracht. Ins seit Jahren nicht mehr genutzte Profil von Laila Podlesny loggte sich plötzlich wieder jemand ein – und installierte eine komplex verschlüsselte Nachricht ins Profil, die übersetzt bedeutet: «Alter Ego von Cleo, erschaffen von Vladimir Reshetnikov».
Das Vermächtnis der legendären Cleo ist nicht nur für Nerds und Freunde der Mathematik interessant, gibt es doch auch Einblick in die menschliche Psyche. Besserwisserei ist offensichtlich das stärkere Gefühl als die Freude über Hilfsbereitschaft. Sonst wäre Reshetnikovs Plan nicht so gut aufgegangen. Mit dieser ernüchternden Einsicht haben die Fans der Urban Legend Cleo wohl kaum gerechnet. (bzbasel.ch)
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