Die Welt, sagt die Königin, sei «ein Bild, in das man hineingehen kann». Dazu raucht sie Kette, stets glimmt eine extra starke, filterlose griechische Zigarette zwischen den royalen Fingern mit den knallrot lackierten Nägeln. Und weil die Welt ein Bild ist, sind Bilder auch die Welt. Ihre Welt. Denn Margrethe II. von Dänemark ist in ihrer Freizeit Künstlerin.
Gerade stellt sie ihre Kunst Netflix zur Verfügung. Designt Kostüme und ganze Szenerien für den Film «Ehrengard: Die Geschichte einer Verführung» von Regisseur Bille August. Nach einem Text von der Dänin Tanja Blixen, die spätestens durch die Verfilmung ihres autobiografischen Romans «Jenseits von Afrika» mit Meryl Streep und Robert Redford zu einem Garanten für romantische Kostüm-Konflikte wurde.
Tanja Blixen, Bille August, Königin Margrethe, dazu die Film- und Serienstars Sidse Babett Knudsen («Borgen») und Mikkel Boe Følsgaard – «Ehrengard» ist grosses dänisches Namedropping. Jedenfalls auf dem Papier. Der Film über amouröse Verstrickungen zwischen Adel und Bohème kriegt liebevolle Verrisse. Nur das Design sei super, darin sind sich alle einig. Auch ausserhalb von Margrethes Hoheitsgebiet.
Im Dokumentarfilm, den Netflix begleitend zu «Ehrengard» ausstrahlt, ist die hemdsärmlige Königin dabei zu sehen, wie sie Kostüme zeichnet und Stoffe auswählt, wie sie das Drehbuch verbessert (oder auch nicht) und mit der Schere aus Dutzenden von Kunstbüchern und Magazinen kleinste Details ausschneidet und zu neuen, surrealen Märchenlandschaften zusammensetzt. Im Film werden diese zu digitalen Kulissen.
Sie hat früher schon Kulissen für Märchenfilme kreiert und unter dem Pseudonym Ingahild Grathmer Bücher illustriert, darunter die beliebte dänische Ausgabe von «Lord of the Rings». Die perfekten Art-Déco-Zeichnungen entstanden während ihrer Studienzeit in Cambridge und London, sie studierte dort (und an der Sorbonne in Paris) prähistorische Archäologie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften.
When HM Queen Margrethe ll studied in England, she created beautiful illustrations of the The Lord of the Rings.
— Denmark.dk (@denmarkdotdk) January 14, 2022
Using the pseudonym ‘Ingahild Grathmer', she sent her interpretations of the scenes from the book to Tolkien in the early 1970s.
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Tolkiens Ritter, Monster, Hobbits, Elben und Schlachtfelder aus einer herbeifantasierten alten Zeit lagen ihr nahe, so wie es heute auch die alten Bilder und uralten Schlösser sind, mit denen sie für ihre Filmkulissen arbeitet. Und ihre grösste Leidenschaft gehörte in jungen Jahren eh der Archäologie, sie liebte es, auf ägyptischen Ausgrabungsstätten herumzukraxeln, über einen Ruf als Hobbyarchäologin hinaus brachte sie es allerdings nicht.
Der «Ehrengard»-Spielfilm und seine Dokumentation wurden 2021 gedreht. 2023 musste sich Margrethe einer schweren Rückenoperation unterziehen und gab danach das Rauchen auf, ein schier unvorstellbarer Verzicht, kurz zuvor hatte sie noch geschworen, rauchend ins Grab zu gehen und hatte sich sogar vor asthmakranken Senioren eine Zigarette um die andere angesteckt.
Anlässlich ihrer Neujahrsansprache am 31. Dezember 2023 gab sie nun ihren Rücktritt bekannt. Auch das war bis vor Kurzem unvorstellbar, 2016 hatte sie in einem Interview mit dem «Spiegel» über ihren Sohn, den Kronprinzen Frederik, gesagt: «Er wird König werden, wenn ich nicht mehr da bin.» Am 14. Januar wird Frederik die Krone übernehmen. Margrethe ist jetzt 83 Jahre alt und sitzt seit 1972 auf dem Thron.
Als Studentin in London lernte sie auch ihre grosse Liebe kennen, den kantigen französischen Diplomaten Henri Marie Jean André de Laborde de Monpeza, er war als Sohn eines französischen Industriellen in Indochina aufgewachsen, hatte Jura, Staatslehre, Französisch, Chinesisch und Vietnamesisch in Paris, Hongkong und Saigon studiert, segelte, interessierte sich für Weinbau und schrieb schlechte Gedichte. Die Dänen betrachteten ihn als französischen Snob, der ihr Bier missachtete und Seidenstrümpfe vernünftigen Wollsocken vorzog.
Margrethe verpasste ihm einen neuen Namen, eine neue Konfession und eine Position. Als sie am 10. Juni 1967 heirateten, wurde aus dem katholischen Henri der evangelisch-lutherische Henrik und aus dem Diplomaten ein Prinzgemahl. Ein Titel, den er zeitlebens als diskriminierend empfand.
Als Kronprinz Frederik zu Beginn der Nullerjahre zunehmend wichtige Aufgaben übernahm, verzog sich der trotzige Gatte für eine Weile ins Ausland, weil er es nicht ertragen konnte, nicht einmal mehr die Nummer zwei, sondern nur noch die Nummer drei im Staate Dänemark zu sein. Doch Margrethe blieb hart. Aus dem Prinzgemahl wurde nie ein Königgemahl. Henrik starb 2018 schwer dement. Die exorbitanten Beliebtheitswerte seiner Gattin konnte er nie erreichen. Bösewichte in dänischen Serien und Filmen heissen bestürzend oft Henrik.
Hart blieb sie auch der Hälfte ihrer acht Enkelkinder gegenüber. Im Herbst 2022 entschied sie sich zur grossen «Entprinzungsaktion». Die vier Kinder ihres Sohnes Joachim dürfen sich seit dem 1. Januar 2023 nicht mehr Prinz und Prinzessin nennen, sie sind jetzt nur noch drei Grafen und eine Komtess.
Die Königin hatte ihre Familie nicht in ihre Entscheidung eingeweiht, der Schock sass tief, denn die derart Entrechteten «dürfen» beziehungsweise müssen sich nun um ein eigenes Einkommen bemühen, eine «Möglichkeit», wie Margrethe es nett formulierte, die Prinzen und Prinzessinnen normalerweise «verwehrt» bleibt. Die britische Presse war begeistert und versuchte, Charles eine ähnliche Sparmassnahme unterzujubeln. Und periphere britische Royals wie die von Andrew geschiedene Fergie betonten plötzlich panisch ihre innige Nähe zum innersten Kreis der Windsors.
Besonders der schöne Graf Nikolai, der unter anderem für Burberry, Dior, Cartier modelt, zeigte sich über den Entscheid von Grossmutter Margrethe bestürzt: «Meine ganze Familie und ich sind natürlich sehr traurig», sagte der 23-Jährige in der dänischen Boulevardzeitung «Ekstra Bladet», «wir sind schockiert über diese Entscheidung. Ich verstehe nicht, warum es so kommen musste.»
Margrethe ist eine gläubige, konservative Christin, die auch schon mal selbst Altartücher für Kirchen bestickt, kein Handy besitzt und kein Internet nutzt. «Halt» und «Wurzeln» sind wichtige Begriffe für sie. Zwar begreift sie Europa als eine genuine Vielvölkercollage, aber gerade da sei es der Sinn einer Monarchie, die Däninnen und Dänen an ihre Wurzeln und ihre Geschichte zu erinnern.
Ihre Aussagen zum in Dänemark besonders problematischen Migrationskomplex schwanken zwischen Selbstkritik und Selbstgefälligkeit. Die Entschiedenheit von ihrem Grossvater, König Christian X., der aktiv dänische Juden vor den Nazis in Schutz nahm, fehlt ihr.
Aktuell schlägt ihr Herz für die Ukraine, über Putin, den sie einmal gesehen hat, sagte sie im Februar 2023 in der Wochenzeitung «Weekendavisen»: «Ich habe niemals in meinem Leben so kalte Augen gesehen», und «Putin dachte, er könnte ganz Europa auseinanderreissen, aber er hat uns dazu gebracht, zusammenzustehen.» Doch grundsätzlich will sie sich nicht politisch äussern und sich auch nicht in politische Geschäfte einmischen.
Zu Königin wurde Margrethe durch eine Änderung der Erbfolgeregelung. «Die Biologie ist schuld», sagt sie dazu, «mein Vater hatte keine Söhne, also wurde ich Königin. Das Einzige, was ich zu tun hatte, war, diese Rolle auszufüllen. Ich bin keine Karrierefrau und wäre im normalen Leben auch nie eine geworden, weil ich dafür nicht ehrgeizig genug bin.» Ihr Ehrgeiz gehört ihrer Kunst.
Mit ihrer britischen Cousine Elizabeth II. verband Margrethe II. bis zum Tod der Queen eine enge Freundschaft, die beiden tranken oft in London Tee und unterhielten sich über ihre Familien und ihre Hunde. Corgis für die Queen, Dackel für Margrethe. Sie nannten einander bei ihren Spitznamen – Lilibet und Daisy, Gänseblümchen. Ein Gänseblümchen sieht aus wie eine kleine Margerite. Am liebsten trägt Margrethe Schmuck in Gänseblümchen-Form.
Der zukünftige König Frederik und seine australische Frau Mary, die den Titel einer Königin tragen wird, gelten in Dänemark als fortschrittlich, bodenständig, umweltbewusst und sogar woke. Sie schicken ihre Kinder auf staatliche Schulen und man trifft sie im Supermarkt und im Restaurant. Vermutlich werden zukünftige Serien-Bösewichte eher nicht Frederik heissen.
«Ehrengard: Die Geschichte einer Verführung» von Bille August und die Dokumentation «Hinter den Kulissen von ‹Ehrengard›» laufen auf Netflix.