Der Mann, der 1997 ein paar Monate lang davon träumte, Dianas neuer Schwiegervater zu werden und dank ihr endlich ganz oben im Olymp der britischen Gesellschaft anzukommen, war ein Verführer. Und ein Monster. Über 150 junge Frauen im Alter zwischen 15 und 30 soll Mohamed Al-Fayed während seiner 25 Jahre als Besitzer von Englands bedeutendstem Kaufhaus Harrods belästigt und missbraucht haben. Jedenfalls ist dies die Zahl von heute. Täglich werden es mehr. Und täglich entschuldigt sich Harrods von neuem für die Taten seines ehemaligen Chefs. Doch der ist tot. In Frieden mit sich und der Welt gestorben, 2023, im Alter von 94 Jahren. Glück gehabt.
Wie schon so oft heisst es auch jetzt: nichts Neues. Allen, die unter Al-Fayed gearbeitet haben, bekannt. Bereits 1995 versuchte das Magazin «Vanity Fair» sein Missbrauchssystem zum Einsturz zu bringen. 45 Frauen hatten Auskunft gegeben. Schliesslich erschien ein Artikel mit dem Titel «Holy War at Harrods», in dem zwar beschrieben wird, wie wichtig Al-Fayed das Aussehen seiner weiblichen Angestellten sei und dass er sie gerne durch einen Raum «jage» und versuche, ihnen Geld in den BH zu stecken. Von Vergewaltigung ist nicht die Rede.
Die Betroffenen hatten ihre Aussagen zurückgezogen, Al-Fayed hatte ihnen persönlich seinen Security-Chef vorbeigeschickt, der früher ein hohes Tier bei der Metropolitan Police gewesen war und damit drohte, ihnen alle Knochen zu brechen. Ein Vorgehen, das an die ehemaligen Mossad-Agenten im Dienst von Harvey Weinstein erinnert. Einschüchterung durch Androhung von Brutalität. Al-Fayed verklagte «Vanity Fair» wegen Verleumdung. Als Milliardär konnte er sich jeden Anwalt leisten. «Vanity Fair» nicht.
Und dann zerschellten sein Sohn Dodi und Diana an den Tunnelwänden von Paris. Al-Fayed war der trauernde Vater, alle hatten Mitleid mit ihm, er musste die Gunst des Dramas nutzen, um sein Image zu reparieren. Denn wenigstens hatte die «Vanity Fair» in aller Gründlichkeit dargestellt, dass er britische Parlamentarier bestochen hatte, um eingebürgert zu werden (vergeblich), dass sein Lebenslauf dem eines Hochstaplers entsprach und dass von seinem persönlichen, 38-köpfigen Security-Team eine ständige Aura der Bedrohung ausging.
Doch jetzt hatte er die Chance, endlich besser als die Royals zu sein, zu denen er am liebsten gehört hätte. Die kaltherzige Queen war böse, er war der Mitfühlende. Er liess seine Klage fallen unter der Bedingung, dass «Vanity Fair» sämtliche Unterlagen über ihn vernichte. Das Magazin gehorchte. Frustrierend oft besteht Journalismus aus Geschichten, die nicht geschrieben werden, weil man sich die Anwaltskosten nicht leisten kann.
Angestossen hat die Flut der neuen Zeugnisse über Mohamed Al-Fayed der Dokumentarfilm «Al-Fayed: Predator at Harrods» von Erica Gornall, der am 19. September von der BBC ausgestrahlt wurde. Er beginnt mit einem Blick auf Al-Fayeds Rolle in «The Crown»: Er ist da der charmante, freundliche, lustige und immer etwas übereifrige ägyptische Emporkömmling, in dem Diana eine warmherzige Vaterfigur sieht.
Glaubt man den 20 Frauen, mit denen die BBC zusammengearbeitet hat, so war die Realität hinter der Fassade ein Abgrund ohne Ende. Er begann für die Frauen bereits vor dem ersten Arbeitstag: Sie wurden da unter dem Vorwand, dass Mohameds Sohn Dodi unter einer seltenen Immunkrankheit leide und sich deshalb alle Angestellte einem Check-up zu unterziehen hätten, zu einer Ärztin geschickt. Diese untersuchte die Patientinnen dann allerdings auf sexuell übertragbare Krankheiten und meldete das Resultat sofort an Al-Fayed weiter. Und dann waren die jungen Frauen Freiwild.
Weibliches Personal war dazu da, belästigt zu werden. Männliche Angestellte und allen voran Boss Al-Fayed begrapschten sie bei jeder Gelegenheit, langten ihnen an die Brüste und zwischen die Beine, die attraktivsten Frauen arbeiteten in der Parfümerie, die weniger attraktiven bei den Lebensmittel. Al-Fayed versprach ihnen die blumigsten Beförderungen und machte ihnen Geldgeschenke. Ganz Harrods war naturgemäss voller Überwachungskameras, aber auch voller Mikrophone, wer dabei erwischt wurde, sich bei anderen über Al-Fayed zu beschweren, wurde entlassen. Die privaten Telefonapparate der Frauen und Mädchen wurden verwanzt.
Weil lange Arbeitstage normal waren, stellte er den Mitarbeiterinnen eine Wohnung in seinem eigenen Wohnkomplex zur Verfügung, angeblich, weil er um ihre Sicherheit nach Einbruch der Dunkelheit besorgt war. Konkret jedoch, um sie auch dort mit Überwachungskameras zu beobachten, oder um sie gleich in seine Privatgemächer zu bestellen, wo er sie vergewaltigte oder dies zumindest versuchte. Und während Diana 1997 in seiner Villa in St. Tropez zu Besuch war, versuchte er, seine Assistentin mit starken Beruhigungsmitteln gefügig zu machen.
Stellvertretend für alle, die vor Al-Fayeds Tod versuchten, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, steht die Geschichte einer Frau, die 2008, als 15-Jährige, bei Harrods jobbte. Er versuchte, sie zu vergewaltigen, sie ging zur Polizei, diese zerstörte das Beweismaterial und steckte ihre Geschichte der Presse, eine Schmutzkampagne entlud sich auf das Mädchen, sie und ihre Familie musste sich in ein Safe House flüchten. Die (gut bezahlten) Helfer von Al-Fayed beschafften sich überall Zugang.
Gegen aussen spielte er die Rolle eines leutseligen Unternehmers, der sich für keinen Spass zu schade ist – ein Richard Lugner von London –, der in der «Ali G Show» auftritt und den Clown gibt, der gerne Kinderspitäler unterstützt, Eltern und Kindern in seinem Geschäft Geschenke macht. Und der zum Spass im Vorbeigehen verliebten Paaren ein paar Viagra in die Tasche steckt. Ein Riesenspass. Eines Sexbesessenen. Harrods war seine ganz persönliche Hall of absolute Disaster.
Aber Verführer war er definitiv nie! Ein Blender, Manipulator und Monster.
Leider, wird ‚Verführer‘ immer noch zu sehr als positive Kraft gesehen.
Aber ich weiss wie du es meinst.
Erfahren wird man es in den meisten Fällen gar nicht oder wenn die Täter wie hier längst tot sind.