Als «Weltneuheit» und «Sensation» pries die Migros im vergangenen Herbst ihre vegane Alternative zum hart gekochten Ei an. Das Produkt mit dem Namen «The Boiled» stellte die Migros-Tochter Elsa aus Sojaprotein her, im Laden gab es die Packung mit vier Eiern für 4.40 Franken zu kaufen.
Nun ist das vegane Ei bereits wieder aus den Regalen verschwunden. Wer zuletzt im Onlineshop der Migros die Verfügbarkeit in den Filialen prüfen wollte, erhielt eine Fehlermeldung: «Die Verfügbarkeit dieses Produktes ist momentan nicht bekannt. Möglicherweise wurde es vorübergehend oder dauerhaft aus dem Sortiment genommen.»
Die naheliegende Erklärung: Die Migros hat das Ei aus dem Verkehr gezogen, nachdem es bei der Kundschaft durchgefallen war - und zwar auf der ganzen Linie, wie die Kommentare auf der hauseigenen Plattform Migipedia zeigen. «Widerlich», «ekelhaft», und «ungeniessbar» - so bezeichneten die Kundinnen und Kunden das Ei (CH Media berichtete). Die Migros versprach Besserung, bei der plastikintensiven Verpackung wie beim Geschmack.
Doch der Grund ist ein anderer. Das vegane Ei fehlt wegen eines Lieferengpasses. «Bei einer standardmässigen Maschinenrevision wurde ein Maschinenteil entdeckt, welches ersetzt werden muss. Aufgrund langer Lieferzeiten für Ersatzteile wird die Produktion bis auf weiteres ausgesetzt», sagt Sprecher Patrik Stöpper. Die lange Wartezeit für das Ersatzteil erklärt sich dadurch, dass es sich um eine Sonderanfertigung handelt.
Damit gewinnt die Migros etwas Zeit, nochmals an der Rezeptur zu feilen. Dies erscheint dringend nötig, da die Migros die Produktion eigentlich ausbauen und das Ei in der ganzen Schweiz anbieten wollte.
Zur Überarbeitung der Rezeptur gibt sich die Händlerin zurückhaltend, schreibt aber: «Wir überprüfen unsere Produkte und Rezepturen regelmässig und nehmen Optimierungen vor, wenn wir Potenzial dazu sehen. Bei ?The Boiled? ist das nicht anders.» Konkretere Versprechen machten die Produktentwickler bei der Verpackung. Kundinnen und Kunden hatten kritisiert, die Eier liessen sich nur schwer aus der Plastikhülle herauslösen.
Ganz auf Plastik verzichten wird die Migros nicht können. «Das Huhn macht einen sehr guten Job mit der Calcium-Schale, wir müssen hier auf Plastik zurückgreifen, um das Produkt zu schützen und haltbar zu machen», erklärte eine Sprecherin Anfang Jahr. Man verwende aber ein Minimum an Plastik und Folie. «Die greifbare Lasche an der Seite des einzelnen Eis sollte das Öffnen vereinfachen, wir prüfen derzeit, warum das Öffnen teilweise doch nicht einwandfrei funktioniert, und prüfen Alternativen».
Dass Produktentwickler bei Neulancierungen nachbessern müssen, ist nicht ungewöhnlich. Bei der Linie V-Love musste die Migros auch bei der Rahmalternative, dem Schnitzel-Sandwich oder der veganen Bratwurst über die Bücher. Allerdings ist bekannt, dass die Kundschaft einem Produkt, das sie einmal probiert haben, nicht nochmals etliche Chancen geben: Kann es trotz Rezeptänderung geschmacklich nicht überzeugen, stellt sich irgendwann die Frage, ob es sich noch rechnet.
Die Migros betont, dass von den veganen Ersatzprodukten, die man 2021 lanciert habe, 95 Prozent weiterhin im Sortiment seien. Vermutlich spielen neben den betriebswirtschaftlichen Überlegungen im stark wachsenden Vegan-Segment auch marketingtechnische Überlegungen eine Rolle: Um sich als Händler bei dieser kaufkräftigen Kundengruppe zu profilieren, kann es sich für die Migros auch lohnen, Produkte, die wirtschaftlich oder zuerst auch geschmacklich nicht überzeugen, im Regal zu behalten.
Dass ein Industriebetrieb wie jener der Migros die Produktion herunterfahren muss, weil ein Ersatzteil fehlt, ist kein Einzelfall. Meist ist das Problem für die Firmen aber weniger ein spezifisches Ersatzteil, sondern der Nachschub an Rohstoffen generell. Laut Zahlen der KOF-Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich bezeichneten im Juli 56.4 Prozent der befragten Unternehmen in der Industrie den Mangel an Material oder Vorprodukten als grösstes Produktionshemmnis.
Immerhin scheint sich die Situation zu entspannen. «Das Problem des Material- und Vorproduktemangels hat sich trotz des Ukraine-Krieges und der Pandemiemassnahmen in Teilen Asiens seit dem Frühjahr nicht mehr weiter verschärft», hält die KOF fest. Zwar klagten nach wie vor viele Firmen über fehlende Vorprodukte, doch scheine das Allerschlimmste zunächst einmal hinter ihnen zu liegen.
(aargauerzeitung.ch)