Schweiz rutscht in Pharma-Ranking ab: Das hat nicht nur mit Donald Trump zu tun
In einer 20 Meter tiefen Baugrube unter imposanten Roche-Türmen, vor versammelter Basler Politprominenz, warnte Roche-Präsident Severin Schwan kürzlich vor «tektonischen Verschiebungen» in der Pharmaindustrie.
Die Diagnose stellte Schwan anlässlich der feierlichen Grundsteinlegung von «Bau 12», einem neuen Forschungs- und Entwicklungszentrum für 450 Wissenschaftler in Basel. Das lässt sich Roche 500 Millionen Franken kosten. Das sei ein «klares Bekenntnis zum Standort Basel», wie der Konzern betont.
Doch solche Projekte, die jahrelang im Voraus geplant werden, sind seit der Ära Donald Trump nicht mehr in Stein gemeisselt. Der US-Präsident droht mit massiven Zöllen, um Roche, Novartis & Co. zu mehr Produktion vor Ort zu bewegen. Gleichzeitig möchte Trump die rekordhohen US-Medikamentenpreise senken. Wer keine Preissenkungen oder Investitionen zusagt, dem drohen wiederum Strafzölle.
Dänemark, Schweden und die Niederlande holen auf
«Durch den zunehmenden Protektionismus in unseren Kernmärkten sehen wir uns zu Verlagerungen gezwungen», sagte Schwan in der Baugrube. «So wird der Kuchen für Investitionen andernorts kleiner.» Damit meinte er auch Basel – und die Schweiz. Sie könnte bei künftigen Investitionsentscheiden nicht mehr erste Priorität geniessen.
Diese «tektonischen Verschiebungen» schlagen sich in den Zahlen nieder. Im Wettbewerbsranking des Branchenverbands Scienceindustries ist die Schweiz einen Rang zurückgefallen und schafft es auf den dritten Platz. Das ist immer noch respektabel. Doch insbesondere die USA (1. Platz) haben ihren Vorsprung ausgebaut. Danach folgt Irland (2. Platz). Die Studie berücksichtigt Faktoren wie Wertschöpfung, Innovationskraft und Standortqualität.
Die wettbewerbsfähigsten Pharmastandorte
- USA
- Irland
- Schweiz
- Dänemark
- Niederlande
- Vereinigtes Königreich
- Belgien
- Südkorea
- Schweden
- Japan
Bei den Rahmenbedingungen bietet die Schweiz der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach wie vor sehr viel: politische Stabilität, ausgezeichnete Infrastruktur, attraktive Steuerbelastung. Hier belegt die Schweiz denn auch weltweit Platz eins. Anders sieht es bei der Innovation aus. Dort ist die Schweiz zurückgefallen. Europäische Länder wie Dänemark, Schweden oder die Niederlande holen auf. «Im Fünfjahresvergleich hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz schleichend verschlechtert», stellt Studienautor Michael Grass von BAK Economics fest.
Das hat nicht allein mit Donald Trump zu tun. Europäische Länder versuchen ebenfalls, Pharmafirmen anzulocken. Neben den USA buhlen China, Frankreich, Deutschland oder das Vereinigte Königreich um die Industrie. Sie setzen auf massive Subventionsprogramme, Steuererleichterungen oder Forschungsförderungen. Michael Grass verdeutlicht den verschärften Wettbewerb am Beispiel Frankreichs: Mit dem Programm «Innovation Santé 2030» will das Land zum Biotech-Vorreiter aufsteigen. Dazu stellt die Regierung 9 Milliarden Euro bereit. Das entspricht sechsmal dem aktuellen Budget der ETH Zürich.
Verband will keine Industriepolitik
Muss also die Schweiz bei der Industriepolitik mitziehen? «Nein», findet Annette Luther, Präsidentin von Scienceindustries. Man sei bisher gut damit gefahren, sich mit staatlicher Förderung zurückzuhalten. «Je mehr Geld der Staat spricht, desto eher will er eingreifen. Wir wollen unsere Unabhängigkeit bewahren.» Dennoch brauche es Massnahmen. «Es ist deutlich geworden, dass sich auch die Schweiz nach einem Spitzenplatz strecken muss.»
Damit die Schweiz vorne mitspielen kann, braucht es laut Luther Verbesserungen in verschiedenen Bereichen. Dazu gehören die EU-Verträge als «Gegenmodell einer willkürlichen Handelspolitik», steuerliche Anreize für Forschung, eine «flexible Umsetzung» der OECD-Mindeststeuer oder eine starke Hochschulbildung. All dies müsse zudem in einer Standortstrategie für die Pharma einfliessen. Eine entsprechende Motion ist derzeit im Parlament hängig. Der Bundesrat hat bereits signalisiert, dass er die Nöte der Firmen erkannt hat. Im September kam es zu einem Runden Tisch zwischen der Branche und Wirtschaftsminister Guy Parmelin sowie Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider.
Annette Luther warnt davor, in Alarmismus zu verfallen. Sie gibt zu bedenken, dass sich die USA oder China nicht erst seit Donald Trump abschotteten. «Wir sehen bereits seit der Corona-Pandemie, dass es den Wunsch gibt, mehr vor Ort in den Märkten zu produzieren.» Die meisten Unternehmen hätten diesen Trend schon länger vorausgesehen und reagiert. Deshalb werde die Schweiz durch den verschärften Wettbewerb nicht unmittelbar von einer Verlagerungswelle getroffen, ist sie überzeugt. Das hat auch damit zu tun, dass die Branche in den letzten Jahren hierzulande sehr stark gewachsen ist. Da fällt eine Stagnation oder ein allfälliger Abbau weniger auf.
Dennoch dürften die tektonischen Verschiebungen längerfristig zu spüren sein. Ob es zum Erdbeben kommt, hängt aus Sicht der Branchenvertreter auch davon ab, wie die Politik reagiert. Roche-Präsident Severin Schwan stimmte jedenfalls 20 Meter unter der Erde bereits auf harte Zeiten ein: «Wir müssen produktiver werden.» (aargauerzeitung.ch)
