Der Bundesrat will momentan keine neue Rentenalter-Debatte führen. Und auch keine neue Steuer einführen. Stattdessen soll die AHV mit bestehenden Mitteln stabilisiert werden, sagte Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider vergangene Woche an einer Medienkonferenz.
So soll die Mehrwertsteuer steigen. Die Lohnabgaben auch. Wer nach der Pensionierung weiterarbeitet, soll belohnt werden – unter anderem mit einem höheren Freibetrag und ohne starre Altersgrenze. Die Bevölkerung soll länger arbeiten, so der Plan des Bundesrats. Und wer vorzeitig aufhört, soll künftig draufzahlen. Frühpensionierungen sollen an Reiz verlieren.
Doch was bedeutet das für Menschen, die sich bewusst – oder notgedrungen – früher zurückgezogen haben? watson hat mit zwei Frühpensionierten gesprochen.
Alois Amrein war Übersetzer, Korrektor und polygrafischer Techniker. Doch mit 61 wurde er arbeitslos. Er sagt:
Ausgesteuert, ohne neue Stelle, machte er sich selbständig. Doch das Einkommen reichte nicht. Mit 63 zog Amrein die Konsequenzen – und bezog vorzeitig AHV, mit der damit verbundenen Rentenkürzung von 13,2 Prozent.
Eine Pensionskassenrente erhält er nicht, weil sein Guthaben wegen der Arbeitslosigkeit auf einer Freizügigkeitsstiftung lag. Er liess sich das Kapital auszahlen, das er selbst anlegte: 145’000 Franken. Eine kleine Summe für einen Lebensabend – doch Amrein lebt nicht auf grossem Fuss, hat keine Kinder und wohnt in einer Eigentumswohnung.
Dass der Bundesrat Frühpensionierungen künftig erschweren will, hält er für «realitätsfremd». Wer mit über 55 den Job verliere, finde kaum mehr eine Stelle.
Auch eine Erhöhung des Rentenalters auf 70 – ob freiwillig oder nicht – lehnt er klar ab. Sein Gegenvorschlag zur AHV-Finanzierung: «Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Kapitalgewinnsteuer. Es braucht endlich eine gerechte Umverteilung.»
Nach einem Arbeitsleben als Juristin und Journalistin ist Barbara Siegrist nun seit 20 Tagen offiziell frühpensioniert. Doch Ruhe gönnt sie sich nicht. «Ich schreibe, seit ich denken kann – und so lange ich gesund bin, werde ich weiterschreiben.» Sie arbeitet als freie Journalistin, mit einem Pensum zwischen 30 und 60 Prozent. Die Rentenzahlung ist für sie ein Mittel zum Zweck: Sie will sich wieder ganz ihrer Leidenschaft widmen.
Weil sie Jahrgang 1962 hat, profitiert sie von den Übergangsregeln der AHV 21-Reform: Frauen ihres Jahrgangs dürfen zwei Jahre früher in Rente – mit deutlich geringerer Kürzung. «Ich habe lange gerechnet – aber wenn ich praktisch nur ein Jahr verliere statt zwei, dann ist das für mich der beste Moment gewesen.»
Sie lässt sich ihr Pensionskassenkapital als Rente auszahlen, bezieht rund 5000 Franken aus PK und AHV. «Das reicht knapp, aber nur, weil ich weiterarbeite. Ich zahle hohe Steuern und Krankenkassenprämien im Kanton Bern». Viele, die sich früh pensionieren lassen, hätten ein anderes Profil:
Dass aber viele über 50 keine Jobs mehr finden, hat sie in ihrem Bekanntenkreis selbst erlebt.
Den Reformvorschlag des Bundesrats findet sie richtig. Sie befürwortet sogar ein Rentenalter von 66 Jahren für alle. «Wir können nicht ewig erwarten, dass der Staat alles zahlt. Am Ende zahlen die Steuerzahler – und das trifft den Mittelstand.» Auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer hält sie für denkbar, wenn auch mit sozialen Risiken.
Was ihr fehlt, ist Weitblick: «Statt nur übers Rentenalter zu diskutieren, sollten wir in Bildung investieren, in Kinderbetreuung, in Arbeitsplätze mit Sinn. Dann arbeiten die Leute vielleicht lieber – auch länger.»
Frühpensionierung ist für viele ein Traum – 45 Prozent der Schweizer Erwerbstätigen möchten laut einer SwissLife-Studie vorzeitig in Rente. Doch nur wenige können sich das leisten. In der Privatwirtschaft ist Frühpensionierung selten: Im Gastgewerbe geht nur rund ein Drittel früher. Anders bei Beamten: Bei der Bundes-Pensionskasse Publica liegt das durchschnittliche Rücktrittsalter bei knapp 64 Jahren – über die Hälfte der Männer geht vorzeitig.
Wer vor dem ordentlichen Rentenalter aussteigt, muss mit lebenslangen Kürzungen rechnen. In der AHV bedeutet ein Vorbezug (frühestens ab 63, für Frauen der Übergangsjahrgänge ab 62) je nach Dauer eine Rentenminderung von mehreren Prozent – je nach Situation.
Auch bei der Pensionskasse fallen Einbussen an: Pro Jahr vorgezogenem Rücktritt sinkt die Rente um 5 bis 8 Prozent – zusätzlich fehlen Beitragsjahre. Frühpensionieren lassen kann man sich in der Regel ab 58 oder 59 Jahren, sofern das PK-Reglement das vorsieht. Wer Kapital statt Rente bezieht, muss sich frühzeitig anmelden und steuerlich planen – denn geballte Auszahlungen können teuer werden.
So ist es.