Schweiz
Aargau

Autistischer Jugendlicher stirbt nach Aufenthalt in Klinik

Psychiatrischen Klinik Königsfelden
Die psychiatrische Klinik in Königsfelden im Aargau.Bild: wikimediacommons

Autistischer Jugendlicher stirbt nach Aufenthalt in Klinik – zuständige Ärzte angeklagt

23.04.2025, 09:5523.04.2025, 13:18
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Zwei ehemalige leitende Ärzte der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) sind wegen vorsätzlicher beziehungsweise fahrlässiger Tötung angeklagt worden. Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten vor, im Jahr 2020 einen 18-jährigen Patienten nicht genügend gegen Selbstverletzungen geschützt zu haben.

Gestützt auf ein eingeholtes psychiatrisches Fachgutachten geht die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach davon aus, dass eine engmaschige Betreuung in diesem Fall zwingend erforderlich gewesen wäre, wie die Oberstaatsanwaltschaft Aargau am Mittwoch mitteilte.

Der 18-Jährige hatte sich während eines stationären Aufenthalts wiederholt selbst schwere Verletzungen zugefügt. Am 30. Dezember 2020 wurde der Patient regungslos im Zimmer aufgefunden, nachdem er sich zuvor erneut mehrfach fallen gelassen hatte, wie es in der Medienmitteilung heisst.

Er wurde notfallmedizinisch versorgt und per Helikopter ins Universitätsspital Zürich überführt, wo er wenige Tage später an den Folgen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas verstarb.

Unbedingte Freiheitsstrafe für Ärztin gefordert

Die Staatsanwaltschaft beantragt eine unbedingte Freiheitsstrafe von sechs Jahren gegen die Oberärztin sowie eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren gegen den leitenden Oberarzt. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt für beide Beschuldigten die Unschuldsvermutung.

Im November 2020 war der damals 17-jährige Patient freiwillig in die psychiatrische Klinik eingetreten. Aufgrund einer raschen Verschlechterung seines psychischen Zustands wurde kurz darauf eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet, die gerichtlich bestätigt wurde, wie die Oberstaatsanwaltschaft schreibt.

Anlass dafür waren demnach unter anderem eine Zwangsstörung und ein erhöhtes Risiko der Selbstverletzung. In den Wochen vor dem Vorfall liess sich der junge Mann mehrfach absichtlich rückwärtsfallen, wobei er sich zunehmend schwere Kopfverletzungen zuzog. Die Klinik dokumentierte gemäss Anklage unter anderem auch eine Serie von Stürzen, die sich in kurzer Abfolge ereigneten.

Die beschuldigte Oberärztin soll trotz Kenntnis des Selbstverletzungsrisikos und der wiederholten Stürze keine ausreichenden Massnahmen zum Schutz des Patienten getroffen haben. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft nahm sie damit bewusst in Kauf, dass der Patient tödliche Verletzungen erleiden könnte. Ihr wird die vorsätzliche Tötung durch Unterlassung vorgeworfen.

Dem mitangeklagten leitenden Oberarzt, dem die Beschuldigte unterstellt war, wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Er soll die Gefahrenlage zwar erkannt und dokumentiert, jedoch pflichtwidrig unterlassen haben, notwendige Schutzmassnahmen längerfristig anzuordnen oder durchzusetzen.

Im vergangenen Juli hatte die Abteilung Gesundheit des kantonalen Departements Gesundheit und Soziales (DGS) gegen die Psychiatrischen Dienste Aargau eine Verwarnung ausgesprochen. Die PDAG, eine Aktiengesellschaft im Eigentum des Kantons, wurde dazu verpflichtet, ein Konzept zum Besseren Schutz von Patientinnen und Patienten auszuarbeiten. (sda/nib)

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47 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gutemine
23.04.2025 10:14registriert Juli 2018
Schön und gut, aber wenn man die Personallage in Kliniken kennt, weiss man auch, dass engmaschige Betreuung teilweise unmöglich ist. Das Problem sind nicht die Ärztin und der arzt, sondern der Personalmangel. Personen anklagen, wenn offensichtlich das System krankt, ist nichts als Symbolik und Pflästerlipolitik
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Bob Fugu
23.04.2025 12:04registriert September 2021
Das einzige was die Ärzte hätten anordnen können, wär die Person festzubinden oder mit Medikamenten zuzudröhnen. Beides hätte zwar dazu geführt, dass keine weitere Selbstverletzung mehr stattfindet, aber die Probleme dieser jungen Person wären dadurch keinesfalls besser geworden, wahrscheinlich sogar eher schlimmer. Aufgrund der FU, hätte man ihn wohl fixieren müssen, aber ich sehe da keine Lösung darin. Ihn das Leben lang anzubinden wäre wohl ebenfalls eine ungenügende und untragbare Lösung gewesen. Niemand übernimmt die Kosten für eine 24h Einzelbetreuung. Ziemliches Dilemma.
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Spama Lotto
23.04.2025 11:46registriert August 2019
"kurz darauf eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet, die gerichtlich bestätigt wurde,"
In diesem Lapidarsätzchen ist die eigentliche Tragödie versteckt, die das ganze so schlimm macht.
Darum hier ausgedeutscht:
1) 17jähriger ist noch nicht mündig, sprich der "freiwillige" Eintritt war wohl hauptsächlich der Wunsch der Eltern
2) Verschlechterung des Zustands
3) Eltern wollen den Jungen wieder nach Hause nehmen
4) Anordnung fürsorgerische Unterbringung und Übertragung der Verantwortung von den Eltern an die Klinik (entgegen Willen der Eltern)
5) Kind stirbt in Verantwortung der Klinik
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