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Plötzlich steht die Polizei im Bad: Liebespaar muss intimste Details preisgeben

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illustration: aargauer zeitung/oliver marx

Plötzlich steht die Polizei im Bad: Liebespaar muss intimste Details preisgeben

Zwei Männer schlafen frühmorgens in ihrer Wohnung, als Beamte im Auftrag des Migrationsamtes kommen. Sie vermuten eine Scheinehe. Jetzt streitet das Bundesgericht über den Fall.
08.06.2025, 11:5408.06.2025, 11:54
Andreas Maurer / ch media
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An einem Donnerstagmorgen um 6:15 Uhr in Zürich. Zwei Männer schlafen noch, als es an der Türe klingelt. «Kantonspolizei Zürich!» Diese führt im Auftrag des Migrationsamts eine Wohnungskontrolle durch. Wegen eines Verdachts: Das schwule Paar soll seine Partnerschaft nur zum Schein eingetragen haben, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erschleichen. Eduardo P. ist Peruaner, sein Partner David P. ist Schweizer (Namen geändert).

Die Beamten sind mit einem Fotoapparat «bewaffnet». Ohne zu fragen, schauen sie ins Schlafzimmer und ins Bad. Sie dokumentieren, dass im Badezimmer zwei Zahnbürsten bereitstehen und die Kleiderschränke für zwei Personen konzipiert sind. Die Polizei fotografiert auch die beiden Männer sowie Fotos auf ihren Smartphones.

Anschliessend nehmen die Beamten Eduardo P. im Polizeiauto mit auf den Posten. Dort befragen sie ihn zu seiner Beziehung. Er muss «intimste Sachen» preisgeben, wie er später angibt. David P. kommt danach zu Fuss auf den Posten und wird separat befragt.

Rasch zeigt sich: Der Verdacht war falsch. «Aus polizeilicher Sicht dürfte es sich um eine ernsthafte Beziehung handeln», heisst es im Rapport. Für die Behörden ist die Angelegenheit damit erledigt.

Aber nicht für David und Eduardo. Sie stehen unter Schock. Sie fühlen sich wie Verbrecher behandelt. Dabei haben sie – wie sich später zeigen wird – alles korrekt gemacht.

Die Liebesgeschichte wirkte für das Amt verdächtig

Das ist ihre Geschichte: Eduardo kam 2017 für ein Doktorat in Bioinformatik nach Zürich. Dafür erhielt er eine Aufenthaltsbewilligung zu Ausbildungszwecken. Zuerst wohnte er im Kanton Zürich – zusammen mit David.

Doch dann wurde Eduardos Forschungsstelle nach Bern verlegt und auch er zog dorthin. Sein Partner blieb allerdings in Zürich. Sie arbeiteten in unterschiedlichen Städten und pflegten dort ihre eigenen Freundeskreise. Für die beiden jungen Männer war es am einfachsten, wenn jeder an seinem Ort eine eigene Wohnung hatte. Und trotzdem fühlten sie sich als Paar. Sie führten eine Lebensgemeinschaft in zwei Wohnungen.

Am Tag bevor Eduardos Aufenthaltsbewilligung ablief, liessen die Männer ihre Partnerschaft eintragen. Wie ein Ehepaar haben sie nun denselben Nachnamen. Danach stellten sie ein sogenanntes Gesuch um Familiennachzug. Eigentlich müsste es Partnernachzug heissen. Eduardo P. erhielt dadurch eine neue Aufenthaltsbewilligung.

Die Migrationsbehörden stellten aber eine Bedingung: Ein «Familiennachzug» sei nur möglich, wenn die beiden Männer in der gleichen Wohnung leben. Dies entsprach zwar nicht ihrer Planung, aber sie passten sich an. Sie zogen in Zürich zusammen.

Das Zürcher Migrationsamt verlangte schriftliche Belege dafür. So musste Eduardo die Kündigung seiner Berner Wohnung einreichen. David musste zudem eine schriftliche Einverständniserklärung seiner Vermieterin vorlegen, dass in seiner Wohnung zwei Personen leben dürfen. Sie erfüllten alle Vorgaben.

Doch die Tatsache, dass das Paar ursprünglich in zwei Wohnungen lebte, weckte beim Zürcher Migrationsamt dennoch den Verdacht einer Scheinpartnerschaft. Das Amt tätigte keine weiteren Abklärungen, sondern bot die Kantonspolizei für die Wohnungskontrolle auf.

Erster Erfolg: Zürcher Gericht kritisiert die Behörden

Danach verlangten die beiden Männer vom Migrationsamt, dass es die Widerrechtlichkeit der Polizeikontrolle feststelle. Doch die Behörde trat nicht einmal darauf ein. Auch die nächste Instanz, die Sicherheitsdirektion, wies einen Rekurs ab.

Das Zürcher Verwaltungsgericht hingegen kritisierte die Behörde in Nebenpunkten. Denn die Polizei klärte die Männer nicht wie vorgeschrieben an der Türe darüber auf, dass sie die Kontrolle auch verweigern könnten – allerdings mit nachteiligen Folgen für sie. Zudem hätte das Amt eine Verfügung ausstellen müssen.

In der Hauptsache aber wies auch das Gericht die Beschwerde ab. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der Bekämpfung von Scheinehen. Den Verdacht dazu stufte das Gericht als «gerade noch genügend» ein. Die Polizeikontrolle sei verhältnismässig gewesen – auch der Zeitpunkt am frühen Morgen, weil dann die Wahrscheinlichkeit am grössten sei, beide Partner zu Hause anzutreffen.

Dagegen kämpft das Paar jetzt vor dem Bundesgericht. Es kritisiert, dass das Amt keine mildere Massnahme geprüft hat, zum Bespiel eine schriftliche Befragung. Danach hätten die Behörden eine Strafanzeige erstatten können. Dann hätte die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt untersuchen und eine Hausdurchsuchung anordnen können.

Dabei hätte sie sich aber nach der Strafprozessordnung richten müssen, welche die Verfahrensrechte der Parteien schützt. Die Staatsanwaltschaft müsste die Verhältnismässigkeit prüfen und abwägen, ob das öffentliche Interesse einen Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigt.

Zeitloser Stoff: «Die Schweizermacher».Video: YouTube/Schweizer Radio und Fernsehen

Das Vorgehen des Migrationsamts hingegen erlebten die beiden Betroffenen als willkürlich – wie im satirischen Filmklassiker «Die Schweizermacher» von 1978. Die Wohnungskontrolle stellt aus ihrer Sicht eine Zwangsmassnahme dar, für die eine gesetzliche Grundlage fehle.

Anwalt Christian Bignasca vertritt das Paar und kritisiert: «Das Vorgehen des Migrationsamts scheint systematisch zu sein.» Im konkreten Fall habe dieses mit seinem unverhältnismässigen Vorgehen die Privatsphäre seiner unbescholtenen Klienten verletzt.

Plötzlich öffentlich: Der Showdown steht an

Mindestens ein Bundesrichter dürfte die Kritik teilen. Denn das höchste Gericht hat für den 10. Juni eine öffentliche Beratung zum Fall einberufen. Dies macht es in der Regel nur, wenn sich die Richterinnen und Richter nicht wie in 99 Prozent der Fälle in einem schriftlichen Verfahren einig werden. Dann tragen sie ihre Meinungsunterschiede vor Publikum aus und stimmen danach ab.

WIR STELLEN IHNEN HEUTE, 17. MAERZ 2015, FOLGENDES NEUE BILDMATERIAL VOM BUNDESGERICHT IN LAUSANNE ZUR VERFUEGUNG --- Interior view of the large room at the Federal Supreme Court of Switzerland in Lau ...
Der Grosse Saal des Bundesgerichts.Bild: KEYSTONE

Die beiden Männer im Alter von 36 und 37 Jahren freuen sich, dass ihr Fall juristisch etwas bewegt. Doch gleichzeitig finden sie sich dabei in einer Rolle wieder, die ihnen nicht behagt. Ihre Geschichte stösst auf öffentliches Interesse. Dabei kämpfen sie eigentlich für das Gegenteil. Sie wollen ihre Privatsphäre schützen. (nib/aargauerzeitung.ch)

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119 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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NONOSISI
08.06.2025 12:11registriert März 2023
Das die beiden in Bern, und Zürich wohnen begründet also den Verdacht?

Weiss man im Migrationsamt um die technischen Neuheiten von Telephon und Eisenbahn?

Mir tuen die Beiden Leid, dass muss eine extrem verstörende Erfahrung sein.
Auch die Polizisten die diese blödsinnige Ermittlung durchführen mussten auch, dass muss ja unglaublich unangenehm sein. Du dringst morgens um 6 in die Privatsphäre von fremden Leuten ein nur um festzustellen dass alles in Ordnung ist.
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Pruneau
08.06.2025 12:13registriert März 2018
Kennt man aus der Zeit, als das Konkubinat noch sowas von verboten war.....
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*Name der Redaktion bekannt
08.06.2025 12:37registriert Januar 2018
Diese Überprüfungen simd immer unangenehm und für die betroffenen unverständlich.
Mein Vater bürgerte sich nach 40 Jahren ein. Ich war damals 16, meine Schwester 18 und wir wohnten alle zusammen in einer Wohnung. Eines Abends während wir assen klingelte es und meine Mutter öffnete die Tür,. Ich rief: " Ischs wieder de dumm Gwürzverchäufer?!". Zwei Polizisten betraten unseren Wohnbereich und sagten mit breitem grinsen: "Nein, die Schweizermacher". Wir lachten verlegen, meine Mutter zeigte die Shirts und Unterhosen meines Vaters, der noch auf der Arbeit war. Sie glaubten uns, dass er da wohnt.
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