Vom Bahnhof Thalbrücke passiert man zu Fuss das Brockenhaus «BrockiMania», die Burg Metzgerei, ein Denner Satellit. Die Sammelstelle Moos, die Minigolfanlage, ein Schwimmbad und das Klubhaus des FC Klus Balsthal.
Dann ist man da. In der Tennishalle des Sportzentrums FitneXX im solothurnischen Balsthal. Oder wie alt Nationalrat Roger Köppel sagt, im «Hauptquartier des Widerstands».
Da, wo an diesem Samstag Ende Januar die Delegiertenversammlung der SVP Schweiz stattfindet. Da, wo Magdalena Erni als Co-Präsidentin der Jungen Grünen die etwas undankbare Aufgabe hat, für die Umweltverantwortungsinitiative ihrer Partei zu werben. Da, wo heute noch einige markige Worte fallen werden, wenn es um das Anliegen der Jungen Grünen geht.
Rund 500 Delegierte und Gäste, darunter auch die Bundesräte Albert Rösti und Guy Parmelin, sind anwesend. Geordnet nach Kantonen sitzen die Parteivertreter an langen Tischen und hören dem fünfminütigen Pro-Votum der 21-Jährigen mehr oder weniger konzentriert zu.
Vor Erni dürfen sämtliche Parteigranden, von Dettling über Blocher, bis zu Matter, Grüter und Köppel, das Horrorszenario «Unterwerfungsvertrag mit der EU» skizzieren. Zum Ende von Dettlings Rede ziehen Treichler durch die Halle.
Dem Applaus ist zu entnehmen: Hellebarden und die Wut über «Eurokraten in Brüssel und Bern» ziehen beim SVP-Publikum mehr als Biodiversität und verschmutzte Böden.
Dazu kommt, dass die Delegiertenversammlung bei Ernis Rede bereits seit vier Stunden im Gange ist. Die Bäuche sind vom Mittagessen gefüllt, die Umweltverantwortungsinitiative das drittletzte Traktandum des Tages. Entsprechend steht es um die Aufmerksamkeit.
Nach Ernis Kurz-Präsentation erklärt der Freiburger SVP-Nationalrat Nicolas Kolly, weshalb die Vorlage der Jungen Grünen abzulehnen ist.
Zwei Tage zuvor sitzt Magdalena Erni im Zürcher Café Bebek, vor sich ein Ingwertee. Eine Erkältung macht der Thunerin zu schaffen. Doch Pausen lässt der Abstimmungskampf in dieser heissen Phase keine zu. Am Vorabend duellierte sich Erni mit FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen bei TeleZüri. Tags darauf steigt sie in der Arena gegen Bundesrat Albert Rösti in den Ring.
Daneben arbeitet Erni teilzeit bei der Umweltorganisation umverkehR und studiert Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern. Es ist viel los in diesen Tagen.
Doch lohnt sich all dieser Aufwand für eine Volksinitiative, die gemäss Umfragen weit weg von einer Mehrheit ist? Erni sagt: «Etwas bewegen kann man immer, wenn man über die Klimakrise, deren Folgen und mögliche Massnahmen spricht. Wenn ich es schaffe, am Samstag bei der SVP schon nur drei, vier Delegierte von unserer Initiative zu überzeugen, war es den Aufwand wert.»
Am Samstag in Balsthal zeigt sich: Drei, vier SVP-Delegierte zu überzeugen, gelang der Co-Präsidentin der Jungen Grünen nicht. Nach den Voten von Erni und Kolly kündigt Generalsekretär Henrique Schneider die Parolenfassung an. Das Verdikt: 360 Nein-Stimmen, 0 Ja-Stimmen, 0 Enthaltungen.
Roland Blättler von der SVP Nidwalden münzt das Ergebnis der Parolenfassung in Worte um: «Die Jungen Grünen sollen abfahren nach Eritrea oder Kongo und diese unsägliche ‹Umverteilungs-Nutzlos-Initiative› mitnehmen. Danke.» Applaus brandet durch die Tennishalle.
«Umverteilungs-Nutzlos-Initiative». Oder wie die Gegner auch sagen: «Verarmungsinitiative». Die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände warnen eindringlich davor, dass die Schweiz punkto Wohlstand zu einem Entwicklungsland wie Eritrea mutiere, sollte die Vorlage angenommen werden. Die Wirtschaft werde an die Wand gefahren.
In der Tat sind die Forderungen radikal: Bei einer Annahme der Initiative soll die Schweiz bis in zehn Jahren nur noch so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, wie es die Umwelt verkraften kann. Die sogenannten planetaren Grenzen – sie legen fest, wie viel Umweltbelastung die Erde aufnehmen kann, bevor die Ökosysteme kollabieren – sollen bis in zehn Jahren nicht mehr überschritten werden.
Um die Ziele der Initianten zu erreichen, müsste die Schweiz die durch den Konsum entstehende Umweltbelastung bis 2035 um rund zwei Drittel reduzieren. So müsste gemäss Bundesrat zum Beispiel der Ausstoss von Treibhausgasen pro Einwohner um über 90 Prozent sinken. Ob Ölheizungen, das Verzehren von Milchprodukten und Fleisch, Autofahren oder Flugreisen – der Bund und die Kantone wären gezwungen, mit Verboten und Vorschriften einzugreifen.
Die Delegiertenversammlung ist zu Ende. Fleissige Helfer räumen zügig Bänke und Tische weg, vorn beim Rednerpult finden letzte Gespräche statt. Auch SVP-Parteipräsident Marcel Dettling ist noch da.
Was die Initianten wollten, sei «Wohlstandsvernichtung in Rekordmenge». Die Jungen Grünen würden nur ein Mittel kennen: «neue Gesetze, neue Verordnungen». «Das fängt an beim Fleischkonsum, der ja scheinbar umweltschädigend ist», sagt Dettling und betont:
Ohnehin liege das Problem in der Zuwanderung. «Wenn jedes Jahr 160'000 Migranten in die Schweiz kommen, können wir uns beim Umweltschutz noch so anstrengen. Die Zuwanderung macht dies gleich wieder zunichte.»
«Völlig weltfremd und viel zu extrem» sei die Initiative, sagt der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark in Balsthal. Sie gefährde die Schweizer Wirtschaft und den Wohlstand. In allen Bereichen, auf welche die Vorlage der Jungen Grünen abziele, seien Gesetze in Kraft und weitere pragmatische Ziele definiert.
«Die Initiative setzt utopische Forderungen, die nicht umsetzbar sind. Wenn man hier zustimmt, schafft man sich selbst ab», so Imark. Zudem habe die Bevölkerung das Netto-Null-Ziel bis 2050 beschlossen, dieses gelte es nun umzusetzen.
Magdalena Erni steht vor der mittlerweile leeren Tennishalle, der nächste Zug fährt erst in einer halben Stunde. Die 21-Jährige erklärt, weshalb die Jungen Grünen nun Druck machen: «Aktuelle Debatten zeigen, wie das Parlament tickt. Wenn das Parlament nicht muss, macht es für den Klimaschutz überhaupt nichts.»
Die aktuellen Klimaziele würden nicht reichen, so Erni. «Das sagen nicht nur die Jungen Grünen, das sagen auch alle namhaften Wissenschaftler.» Die Schweiz müsse als reiches Land vorausgehen. «Es braucht mit der Umweltverantwortungsinitiative einen grossen Wurf, der das Parlament zwingt, schneller und konsequenter vorwärtszumachen.»
Am Bahnhof sprechen zwei Mitglieder der Jungen SVP Erni an. Einer der beiden bedankt sich für ihren Mut, als Vertreterin einer Jungpartei vor 500 Personen des gegnerischen Lagers hinzustehen und die eigenen Argumente darzulegen. Mehr als Respekt der politischen Gegner gibt es für die Co-Präsidentin der Jungen Grünen aber nicht.
Dabei wird es aller Voraussicht nach auch nach dem 9. Februar bleiben. Denn vier Tage nach Ernis Auftritt bei der SVP zeigt sich: Den Jungen Grünen droht eine Klatsche. Gemäss Tamedia-Umfrage sagen nur gerade 32 Prozent Ja zur Umweltverantwortungsinitiative, 67 Prozent sind dagegen. Bei der Erhebung von SRF/gfs beträgt der Ja-Anteil 37 Prozent (Nein: 61 Prozent).
Sagt die SVP die aber auch immer mehr Gesetze will.
Ob Roland Blättler und die Mehrheit derjenigen, die applaudiert haben, Eritrea oder den Kongo auf einer Karte finden würden?
Und nein, bevor die falschen Schlüsse gezogen werden, ich bin nicht für die Initiative.
Ich empfinde einfach fehlenden Stil in der Debatte als ebenso störend wie ein kariertes Kurzarmhemd unter einem Blazer, der schon bei der vor-vorletzten Delegiertenversammlung eine Nummer zu eng war.