Alice Weidels Gesichtszüge versteiften sich, als Moderator Günther Jauch ihr eine Woche vor der Bundestagswahl in Deutschland in der RTL-Wahldebatte eine heikle Frage stellte.
Jauch: Sie haben zwei Wohnsitze. In der Schweiz, wo Sie mit Ihrer Frau und Ihren zwei Söhnen leben. Und in Deutschland, in Überlingen am Bodensee. Wo ist denn Ihr Hauptwohnsitz?
Weidel: Also jetzt die Debatte darauf zu lenken, finde ich interessant. Ich werde Ihnen die Frage gerne beantworten, vielen herzlichen Dank dafür.
Machen Sie's jetzt.
Meine Frau ist Schweizerin. Dementsprechend hat sie ihren Wohnsitz in der Schweiz. Ich bin in Deutschland gemeldet, habe hier meinen Wohnsitz, meine Frau im Übrigen auch, die Kinder auch. Ich zahle hier meine Steuern. Ich bin nur als Fraktions- und Parteivorsitzende in Deutschland unterwegs. Ich arbeite hier. So. Und ich möchte für unser Land Politik machen, im Gegensatz zu allen drei anderen hier. (Sie zeigt auf die anderen Kandidaten im Studio.)
Aber ich würde gerne noch einmal beim Punkt bleiben. Das heisst, Sie zahlen auf alle Ihre Einkünfte die Steuern in Deutschland.
Ich zahle in Deutschland Steuern. Das ist korrekt. Natürlich.
Auf alle Ihre Einkünfte?
Ja, das ist richtig. Das ist völlig normal gemäss dem Doppelbesteuerungsabkommen.
Also Sie zahlen keine Steuern in der Schweiz?
Nein. (Sie lacht.)
In diesem Schlagabtausch hat Weidel ihr Leben im Bezirk Einsiedeln kleingeredet. Sie wohnt hier mit ihrer Partnerin, der aus Sri Lanka stammenden Filmemacherin Sarah Bossard, und ihren Kindern. Diese gehen hier auch zur Schule. Das Paar hat sich am Sihlsee eine Maisonettewohnung gekauft.
Die Gleichstellung scheint dem Paar wichtig zu sein: Beide Frauen besitzen die Wohnung als Stockwerkeigentümerinnen je zur Hälfte. Das zeigt der Grundbuchauszug.
Das bedeutet, dass Weidel auch in der Schweiz Steuern zahlt. Sie muss den Eigenmietwert als Einkommen versteuern und die Wohnung als Vermögen deklarieren.
Alice Weidels Pressesprecher erklärt ihre steuerliche Situation auf Anfrage so: «Nach dem Welteinkommensprinzip ist Frau Dr. Weidel in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Sofern im Ausland über Doppelbesteuerungsabkommen oder Ähnliches Steuern einbehalten würden, wären sie in Deutschland entsprechend deklariert.»
Doch warum versteuert Weidel ihr Haupteinkommen nicht in der Schweiz? Hier befindet sich ihr familiärer Lebensmittelpunkt, der für die Besteuerung massgebend ist.
Auch im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland gilt dieser Grundsatz. Seit über fünfzig Jahren sorgt dieser völkerrechtliche Vertrag dafür, dass niemand die gleichen Steuern in beiden Ländern bezahlen muss. Um das Abkommen zu verstehen, muss man den Artikel dazu Punkt für Punkt durchgehen.
Erster Punkt: Wenn eine Person in beiden Staaten wohnt und auch in beiden steuerpflichtig wäre, ist entscheidend, wo sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
Die engeren persönlichen Beziehungen hat Weidel in der Schweiz. Ihre engeren wirtschaftlichen Beziehungen hingegen pflegt sie in Deutschland. Da die Frage umstritten ist, kann sich Weidel auf den zweiten Punkt berufen.
Zweiter Punkt: Kann der Lebensmittelpunkt nicht bestimmt werden, so gilt die Person «in dem Vertragsstaat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat».
Wird Weidel darauf angesprochen, blockt sie ab. Als ein ZDF-Reporter sie fragte, wie viele Nächte sie ungefähr in ihrem deutschen Wohnort verbringe, brach sie das Interview ab und lief davon. Denn andere Politiker frage man auch nicht, wie oft sie zu Hause übernachten würden.
Wie viele Nächte verbringt Alice Weidel am Bodensee, fragt @DavidGebhard die AfD-Chefin. Dann bricht sie das Interview ab. pic.twitter.com/KTiUuZcd2i
— Martin Schmidt (@SchmidtLev) February 17, 2025
Das Doppelbesteuerungsabkommen lässt Spielraum für solche Ausflüchte. Dafür kommt der dritte Punkt des entsprechenden Artikels zu tragen.
Dritter Punkt: Hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten, so gilt sie dort als ansässig, wo sie die Staatsangehörigkeit besitzt.
Da Weidel nur Deutsche ist, kann sie ihr Haupteinkommen demnach in Deutschland besteuern, auch wenn sie kaum dort wohnt.
In Einsiedeln stellen sich die Behörden schützend vor Weidel. Der Finanzverantwortliche will nichts zum Steuerfall sagen, kritisiert am Telefon aber eine mediale «Hetzjagd» auf die prominente Einwohnerin.
Das ist doch schon an sich eine Farce.