Es wäre eigentlich ein wunderbares Thema für ein «Wein doch!» – die Sache ist aber zu beschämend, um dafür eine Flasche Wein zu opfern. Es geht um den offiziellen, elektronischen Impfausweis. Kennst du den?
Ich kannte ihn auch nicht. In den vergangenen Jahren hörte man ab und zu was von ihm. Die Idee dahinter klingt vernünftig: Wir tragen alle unsere Impfungen elektronisch ein, damit die Papierform verloren gehen darf. Dank Digitalisierung können wir uns automatisch informieren lassen, wenn eine Auffrischungsimpfung nötig wird. Und wir können einfacher zählen, wie viele Leute sich schweizweit impfen liessen.
Wir könnten einfache Informationen bieten, einfache Anmeldeverfahren organisieren. Das Impfen gesamthaft attraktiver machen! Und was macht die Schweiz?
Das hier:
Gemeint ist die Webseite «meineimpfungen.ch». Die Seite ging 2011 online, 2013 gab es eine Auffrischung im Rahmen einer nationalen Kampagne in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Die Seite sieht jedoch heute noch so aus, so als wäre sie technologisch in diesem Jahr stehen geblieben.
Responsive Design, das sich auf Smartphone-Displays anpasst? Fehlanzeige. Einfache Menüführung, damit man das E-Impfbüchlein ohne Schweiss erstellen kann? Das Gegenteil ist der Fall: Auf der Startseite wird gar eine 38-seitige Benutzeranleitung angeboten. Schritt für Schritt wird da erklärt, wie man höchstprivate Dinge wie chronische Erkrankungen, HIV-Infektionen und Krebsleiden angibt.
Wem man diese Daten anvertraut, wird nicht wirklich klar. Es ist eine Stiftung, in deren Stiftungsrat Behördenmitglieder und Lobbyvertreter einsitzen. Die Organisation arbeitet mit dem BAG zusammen. Mehr erfährt man aber nicht.
Was man aber zu lesen bekommt, sind viele Abkürzungen wie DATAVAC, myViavac, viavac, InfoVac. Seit neustem mit dabei: myCOVIDvac. So nennt sich ein 450'000 Franken teures Modul für den elektronischen Impfausweis, mit dem Coronavirus-Impfungen digital erfasst werden können. Freihändig bestellt und bezahlt vom Bund.
Richtig gelesen. Mit rund einer halben Million Franken bezahlt der Bund dafür, dass eine Impfdatenbank – die notabene für Impferfassungen da ist – eine weitere Impfung erfassen kann.
Richtige Konkurrenz gab es bei diesem öffentlichen Auftrag verständlicherweise nicht. So wusste das BAG schon im September, dass die Leute bei der «MeineImpfungen»-Stiftung die Ansprechpartner für mögliche digitale Corona-Impfausweise sein werden. Man unterhielt sich darüber, wie man dereinst «einige Millionen Impfbüchlein» digital verwalten will.
Die Stiftung liess sich Ende September die Webadresse «myCOVIDvac.ch» reservieren – laut offizieller Kommunikation nicht aus Vorahnung, dass bald auch ein 450'000-Franken-Auftrag vom Bund folgen wird. In dieser Phase sei auf «eigenes Risiko» gewirtschaftet worden, heisst es vom BAG.
Gelder fliessen übrigens nicht nur vom Bund. Gesponsert wird die Plattform auch von Firmen aus dem Pharmabereich, namentlich etwa von Pfizer, von dem auch einer der Coronavirus-Impfstoffe kommt. Dass das in einer Zeit, wo Impfkritik und Konzernwut beliebt ist, nicht ganz gescheit ist, bestreitet Hannes Boesch, Stiftungsrats-Mitglied bei «meineimpfungen.ch». «Die Unabhängigkeit ist vollständig gegeben», sagt er. Pfizer sei seit Jahren nur ein «Gönner», man informiere den Impfstoff-Hersteller nur darüber, wie die gespendeten Gelder umgesetzt werden.
Interessenskonflikte sieht Hannes Boesch auch bei sich selbst nicht: Betrieben und weiterentwickelt wird «meineimpfungen.ch» von der Firma Arpage, bei der Boesch CEO ist. Sein schriftlicher Kommentar dazu: «Nein, das schafft keine Interessenskonflikte (Ausstand).»
Bei der Konkurrenz schüttelt man schon lange den Kopf darüber. «Bei solchen Verbandlungen und garantierten Aufträgen wundert sich niemand, dass das elektronische Impfbüchlein nicht vom Fleck kommt und für die Nutzer unbrauchbar ist», sagt eine Person aus der Digitalisierungsbranche unter der Bedingung, nicht namentlich genannt zu werden.
Sogar bei meinen kleinen Kinder wird alles noch auf Papier erfasst.
Vor allem, da es ja kaum Anwendungen und Betriebssystem gibt, die ein Leben lang unterstützt werden.
Irgendwie fehlt mir die Lust, bei jedem Smartphone-Kauf mich mit dem Impfausweis befassen zu müssen oder diesen alle 5 Jahre migrieren zu müssen.
IT und "digital" ist ja grundsätzlich super. Aber manchmal auch ein Hype, der einfache Sachen komplex macht, nur aufgrund Stift-Papier-Phobie.Finde ich als Informatiker.