Mehrere Jahre hat sich die Schweiz auf diesen Moment vorbereitet. Nächste Woche ist es so weit: Mit einer Flaggenzeremonie am 3. Januar vor dem UNO-Hauptquartier in New York nimmt die Schweiz offiziell Einsitz im UNO-Sicherheitsrat, als nichtständiges Mitglied für die Jahre 2023 und 2024. Sie ist damit Teil des mächtigsten politischen Gremiums der Welt.
Etwas mehr als 20 Jahre nach dem späten UNO-Beitritt ist dies ein Meilenstein für die Schweizer Aussenpolitik. Aufgegleist wurde die Kandidatur für den Sicherheitsrat noch von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Sie stiess auf heftigen Widerstand der SVP. Für sie ist die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat ein flagranter Verstoss gegen die Neutralität.
Ein Versuch der SVP, die Bewerbung in letzter Minute zu stoppen, wurde im Frühjahr vom Parlament abgelehnt. Im Juni wählte die UNO-Generalversammlung die Schweiz mit einem Glanzresultat in den Sicherheitsrat. Was nicht weiter erstaunte, denn für die beiden Sitze, die der westlichen Staatengruppe zustehen, kandidierten nur die Schweiz und Malta.
Kritik gab es jedoch nicht nur aus der Ecke der Neutralitäts-Fundis. Selbst Jenö Staehelin, ab 2002 erster UNO-Botschafter der Schweiz in New York und ein überzeugter Verfechter der Weltorganisation, bezeichnete die Kandidatur vor zwei Jahren im NZZ-Interview als «riskant». Die Schweiz werde unweigerlich von den Grossmächten unter Druck gesetzt.
Dieses Risiko ist nicht kleiner geworden, denn die Schweiz nimmt zu einem Zeitpunkt Einsitz im Rat, an dem die geopolitische Lage so angespannt ist wie lange nicht. Der Ukraine-Krieg ist zu einer enormen Zerreissprobe für den Sicherheitsrat geworden. Russland hat als ständiges Mitglied alle Resolutionen, die den Krieg verurteilen, mit dem Veto verhindert.
Als Mitglied müsste auch die Schweiz Farbe bekennen. Im Prinzip kann sie sich enthalten, doch das könnte ihr negativ ausgelegt werden, als Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Der Druck der westlichen Veto-Mächte USA, Frankreich und Grossbritannien, sich im Ukraine-Krieg klar auf ihrer Seite zu positionieren, dürfte nicht gering sein.
Die Kritik an der Schweizer Mitgliedschaft ist somit nicht aus der Luft gegriffen. Dennoch hebt man im Aussendepartement EDA primär die Chancen hervor. So hat sich die Schweiz, die sich mit dem Beitritt so lange geziert hatte, innerhalb der UNO einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. Trotz oder gerade wegen ihrer Neutralität wird sie als Vermittlerin geschätzt.
Durch den Ukraine-Krieg ist der Sicherheitsrat keineswegs lahmgelegt. Nach wie vor finden fast täglich Sitzungen statt und werden Resolutionen verabschiedet. In letzter Zeit habe es «bemerkenswerte Fortschritte bei blockierten Dossiers gegeben», sagte die heutige UNO-Botschafterin Pascale Baeriswyl an einem Mediengespräch vor Weihnachten.
Dies betreffe etwa Afghanistan oder Myanmar, sagte Baeriswyl, die per Video live aus New York zugeschaltet war. Seit Oktober kann sie als Beobachterin an den Sitzungen teilnehmen und die Mechanismen kennenlernen. Teilweise durfte sie sich an Diskussionen beteiligen. Im November wurde ausserdem die Beschlussfassung mit der EDA-Zentrale in Bern geübt.
Dieses «Trainingslager» war nötig, denn im Krisenfall muss es teilweise schnell gehen. Das ist eine Herausforderung für den behäbigen Berner Politikbetrieb. Kommt hinzu, dass bei Grundsatzentscheiden zu Sanktionen oder militärischen Interventionen auch die aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat konsultiert werden müssen.
«Der Sicherheitsrat ist das Fieberthermometer der Weltlage», meinte Pascale Baeriswyl am Medienanlass in Bern. In den nächsten zwei Jahren besteht die Gefahr, dass es erneut «ausschlagen» wird. Neben dem anhaltenden Ukraine-Krieg drohen Eskalationen in weiteren Krisenherden, etwa ein chinesischer Angriff auf Taiwan. Die Schweiz wäre gefordert.
Allerdings ereignet sich selten etwas aus heiterem Himmel. «Der Sicherheitsrat spürt früh, wenn etwas geschieht», sagte die Botschafterin. Zum drohenden Ukraine-Krieg habe es schon Ende Januar eine Sitzung gegeben, rund einen Monat vor der russischen Invasion. Für die Reaktion der Schweiz habe der Bundesrat eine entsprechende Vorlaufzeit.
Hier liegt wohl die grösste Chance der Schweizer Mitgliedschaft. Sie kann dazu beitragen, die strategischen Defizite in Bundesbern auszuräumen. Denn zu oft wirkte die Schweiz beim Ausbruch einer Krise trotz Warnsignalen vollkommen unvorbereitet. Auch vom Ukraine-Krieg und der heftigen Gegenreaktion des Westens wurde der Bundesrat regelrecht überrumpelt.
Wäre die Schweiz schon damals am «Fieberthermometer der Weltlage» beteiligt gewesen, hätte sie vermutlich mitbekommen, dass die westlichen Staaten massive Sanktionen gegen Russland planten. Und dass der Bund sich nicht hinter der Neutralität «verstecken» konnte, wie er es anfangs mit einer denkwürdig peinlichen Medienkonferenz versucht hatte.
Im besten Fall wird die Schweiz über die zweijährige Mitgliedschaft hinaus davon profitieren. Das ändert nichts daran, dass sie im Sicherheitsrat mit heiklen Entscheiden rechnen muss. So wird sie auch den Vorsitz eines der 15 Sanktionsausschüsse übernehmen. Für 2023 sei es sehr wahrscheinlich jener zu Nordkorea, hiess es an der Medienkonferenz in Bern.
Das verspricht im wahrsten Sinn Zündstoff, denn das Regime in Pjöngjang verstösst in letzter Zeit immer ungenierter gegen das vom Sicherheitsrat mit mehreren Resolutionen verhängte Verbot von Raketentests jeder Art. Ausserdem werden gemäss der NZZ vor allem chinesische Firmen verdächtigt, Nordkorea bei der Umgehung der Sanktionen zu helfen.
Daneben wird die Schweiz turnusgemäss zweimal den Sicherheitsrat präsidieren, im Mai 2023 und im Oktober 2024. Sie wird dann noch exponierter sein. Für Neutralitäts-Puristen ist dies ein Graus. Doch trotz Risiken und möglicher Attacken vonseiten der Grossmächte ist der Sitz im Sicherheitsrat für die Schweiz eine Chance, die sie nutzen muss.
Sehr gut.
Ich hoffe der Druck wird maximal sein. Wir werden von vielen wichtigen Ländern eh nicht mehr als neutral wahrgenommen. Wer im Ukraine - Konflikt neutral ist, ist auf der Seite Russlands. Würden die USA, ENG etc. keine Waffen liefern, wäre die Ukraine bereits gefallen.