Das Schweizer Rentensystem basiert auf drei Säulen: staatliche (AHV), berufliche (BVG) und private Vorsorge. Im internationalen Vergleich gilt es als vorbildlich. Tatsächlich aber kann es sein Versprechen, im Alter den gewohnten Lebensstandard zu sichern, immer seltener erfüllen. Das liegt nicht nur an der Pensionierung der Babyboomer.
Die AHV kann den Verfassungsauftrag der Existenzsicherung kaum noch garantieren. Das Pensionskassenwesen laboriert an Konstruktionsmängeln. Und für eine dritte Säule haben viele Menschen kein Geld. Laut dem Global Pension Index des Unternehmensberaters Mercer erhalten Pensionierte in den Niederlanden oder Dänemark mehr als in der Schweiz.
Das liegt auch daran, dass es Reformen der Altersvorsorge im politischen System schwer haben. Letztlich entscheidet das Stimmvolk und das hat jahrelang alles abgeblockt, was irgendwie nach «Rentenklau» aussah. Im September gelang erstmals nach langer Zeit ein Durchbruch mit dem knappen Ja der AHV 21, samt Frauenrentenalter 65.
Das aber war bestenfalls ein Teilerfolg, verbunden mit dem «Schönheitsfehler», dass nur 38 Prozent der Frauen gemäss Vox-Analyse zugestimmt hatten. Nun hat sich das Parlament in der Wintersession erneut mit dem undankbaren Thema Altersvorsorge befasst. Als einzigen «Durchbruch» beschloss es den vollen Teuerungsausgleich in der AHV.
Das allerdings war ein ziemlich billiger Punkt. Rentnerinnen und Rentner sind besonders fleissig beim Abstimmen und Wählen, und nächstes Jahr sind bekanntlich nationale Wahlen. Und die Probleme, besonders im BVG-System, sind nicht gelöst. Aber der Reihe nach:
Am Mittwoch behandelte der Nationalrat die Volksinitiative des Gewerkschaftsbunds für eine 13. AHV-Rente. Sie wurde von der bürgerlichen Mehrheit wie erwartet abgelehnt. Die Initiative wolle einen Ausbau nach dem Giesskannenprinzip, hiess es. Ein grosser Teil der Pensionierten brauche keine Zusatzrente, das Vorhaben sei «schlicht nicht finanzierbar».
Das lässt sich mit Blick auf die AHV-Kasse nicht von der Hand weisen, doch den Initianten geht es um mehr. Sie wollen die AHV stärken, in der eine Umverteilung von oben nach unten stattfindet. Die zweite Säule, in der im Grundsatz alle für sich selber sparen, ist ihnen ein Dorn im Auge. Nicht wenige im linken Lager möchten sie am liebsten abschaffen.
So weit würde die Zürcher SP-Nationalrätin und Vorsorgeexpertin Jacqueline Badran nicht gehen. Aber zur Finanzierung der 13. AHV-Rente nimmt sie die berufliche Vorsorge ins Visier: «Wir schaffen das ohne Problem mit einer minimalen Umschichtung der Beiträge von der zweiten in die erste Säule», sagte sie im Interview mit dem Sonntagsblick.
Damit aber dürfte sie auch im Ständerat auflaufen. Die Volksabstimmung findet vermutlich 2024 statt. Und im Hintergrund «lauert» die Volksinitiative der Jungfreisinnigen, die das Rentenalter auf 66 Jahre anheben und danach mit der Lebenserwartung koppeln möchte. Sie wird es schwer haben, doch die Finanzierung der AHV bleibt eine Herausforderung.
Die Reform der beruflichen Vorsorge ist eine Grossbaustelle. Seit mehr als einem Jahr müht sich das Parlament damit ab. Nun war der Ständerat am Zug. Die zweite Säule kämpft mit zwei Problemen: Der Umwandlungssatz, der die jährliche Rentenhöhe bestimmt, beträgt heute 6,8 Prozent. Das gilt wegen der gestiegenen Lebenserwartung als nicht nachhaltig.
Er soll auf 6 Prozent gesenkt werden. Als Kompensation beschloss der Ständerat für etwa die Hälfte der Versicherten von 15 Übergangsjahrgängen einen Rentenzuschlag von 100 bis 200 Franken pro Monat. Der Nationalrat hingegen wollte nur für jene einen Zuschlag, deren Rente effektiv gekürzt wird. Dieser Vorschlag dürfte in einer Volksabstimmung chancenlos sein.
Das Problem ist das überobligatorische Kapital, für das der gesetzliche Umwandlungssatz nicht gilt. Viele Pensionskassen haben ihn deshalb auf teilweise deutlich unter sechs Prozent gesenkt. Leidtragende sind jene Versicherten, die nur wenig überobligatorisches Kapital angespart haben. Sie fallen beim Vorschlag des Nationalrats durch die Maschen.
Betroffen sind Menschen mit geringem Einkommen, und das sind häufig Frauen. Ihnen wurde vor der AHV-Abstimmung im September mehr oder weniger explizit versprochen, die Nachteile in der zweiten Säule zu mildern. Das betrifft die Eintrittsschwelle (ein Jahreslohn von mindestens 21’510 Franken) und den Koordinationsabzug (25’095 Franken).
Beides hindert Geringverdienende daran, eine anständige Pensionskassenrente aufzubauen. Nun sollen diese Hürden gesenkt werden, doch der Schuss könnte nach hinten losgehen. Denn Betroffene müssten mit höheren Abzügen auf ihren ohnehin kleinen Lohn rechnen, ohne dass sie im Alter zwingend mehr im Portemonnaie haben werden.
Denn eine höhere Pensionskassenrente führt zu Abzügen bei den Ergänzungsleistungen. In vielen Fällen droht ein Nullsummenspiel. Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller brauchte klare Worte: «Bei tiefen Einkommen kommt das Kapital-Deckungsverfahren an seine Grenzen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist dort einfach schlecht.»
Damit könnte der vom Bundesrat unterstützte Kompromiss der Sozialpartner wieder ins Spiel kommen. Er sieht einen lebenslangen Rentenzuschlag für alle vor, finanziert durch 0,5 Lohnprozente. Das würde ein AHV-Element in die zweite Säule einbringen und löst auch nicht alle Probleme. Aber es ist vielleicht die am wenigsten schlechte Lösung.
Weil die erste und die zweite Säule zunehmend wackeln, wird die private Vorsorge wichtiger. Es komme darauf an, «dass jeder und jede mehr Eigenverantwortung wahrnimmt», forderte die NZZ. Das ist leichter gesagt als getan, denn nur etwa 60 Prozent der Erwerbstätigen zahlen mehr oder weniger regelmässig in die Säule 3a ein, trotz Steuervorteilen.
Manche kümmern sich aus Sorglosigkeit nicht darum oder weil sie sich nicht mit dem unbequemen Thema Altersvorsorge beschäftigen wollen. Aber viele haben einfach kein Geld, vor allem mittelständische Familien. Sie wären besonders darauf angewiesen, dass zumindest die erste und die zweite Säule ihre Rentenversprechen halten können.
Eine AHV mit Finanzierungssorgen, eine berufliche Vorsorge mit Konstruktionsfehlern (von den Verwaltungskosten war noch gar nicht die Rede) und eine für viele illusorische dritte Säule: Das Drei-Säulen-System der Schweiz wackelt, aber es wird kaum fallen. Denn viele Babyboomer können sich als «Best Ager» trotzdem ein anständiges Leben leisten.
Aber rund 13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner beziehen Ergänzungsleistungen. Altersarmut ist in der Schweiz keine Lappalie. Vor diesem Schicksal fürchten sich viele. Wenn sich die Politik weiter mit Lösungen schwertut, könnte die 13. AHV-Rente angenommen werden, weil viele keinen Sinn mehr im Drei-Säulen-System erkennen.
Für ein reiches Land ist das kein gutes Zeugnis.