Schweiz
Analyse

Alain Berset steht jetzt unter Beschuss – die Konsequenz folgt im Herbst

epa10415257 Switzerland's President Alain Berset, reads his documents prior to a session during the 53rd annual meeting of the World Economic Forum, WEF, in Davos, Switzerland, 19 January 2023. T ...
Bundespräsident Alain Berset letzte Woche am WEF in Davos.Bild: keystone
Analyse

Berset hat vorerst wenig zu befürchten – aber im Herbst wird es schwierig

Die E-Mail-Affäre um den Ex-Sprecher von Alain Berset zieht weitere Kreise. Vorerst hat der Gesundheitsminister kaum etwas zu befürchten. Aber es ist alles andere als sicher, dass er nächstes Jahr noch im Amt sein wird.
23.01.2023, 14:4325.01.2023, 07:46
Mehr «Schweiz»

Falls Alain Berset und die SP gehofft hatten, sie könnten die E-Mail-Affäre «aussitzen», so wurden sie am Samstag eines Besseren belehrt. Neben den zwei bislang bekannten Mails veröffentlichte die «Schweiz am Wochenende» weitere Ausschnitte aus der Korrespondenz zwischen Bersets Ex-Kommunikationschef Peter Lauener und Ringier-CEO Marc Walder.

Sie belegen, dass während der Coronakrise tatsächlich ein reger Austausch stattgefunden hatte. Und sie lassen darauf schliessen, dass der Gesundheitsminister womöglich stärker involviert war als bislang bekannt. Handfeste Beweise sind das nicht, und für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Aber der Druck auf den Bundespräsidenten nimmt zu.

Erste Rücktrittsforderungen stehen im Raum. «Berset sollte einen Schlussstrich ziehen», sagte SVP-Präsident Marco Chiesa dem «Blick». Er verwies auf den springenden Punkt: Entweder wusste Berset, dass sein Sprecher Ringier mit Informationen zu anstehenden Bundesratsentscheiden «versorgte» – oder er wusste nicht, was Peter Lauener tat.

Beides wäre hochproblematisch. Allerdings räumte Chiesa ein, man wisse «noch nicht genug». Das könnte dem Freiburger vorerst die Schmach eines Rücktritts ersparen. Zwar wird eine parlamentarische Untersuchung beantragt, und im Bundesrat soll gemäss der «Schweiz am Wochenende» eine Aussprache stattfinden. Aber Berset hat (noch) wenig zu befürchten.

Die GPK

Matthias Michel, Staenderat FDP-ZG, Praesident GPK-S, links, und Prisca Birrer-Heimo, SP-LU, Praesidentin GPK-N, waehrend einer Medienkonferenz der Geschaeftspruefungskommissionen von National- und St ...
Der Zuger FDP-Ständerat Matthias Michel und die Luzerner SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo präsidieren die GPK ihrer Räte.Bild: keystone

Am Montag und Dienstag treffen sich die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) von National- und Ständerat. Ihre Aufgabe ist die politische Oberaufsicht über Bundesrat und Verwaltung. Auf dem Tisch liegt ein Antrag des Zürcher SVP-Nationalrats Alfred Heer, den Mailverkehr zwischen Lauener und Walder zu sichten. Er hatte Bersets Rücktritt gefordert.

Der Unmut unter vorab bürgerlichen Parlamentariern hat in den letzten Tagen stark zugenommen. Dennoch ist unklar, ob eine Untersuchung eröffnet wird. Es sei «offen, ob die Politik der Justiz überhaupt vorgreifen darf», schrieb die «NZZ am Sonntag». Die Ausgangslage ist verworren, denn in dieser Angelegenheit laufen gleich mehrere juristische Verfahren.

So wird gegen den Sonderermittler Peter Marti, der Alain Berset stundenlang einvernommen und Peter Lauener sogar in Untersuchungshaft genommen hatte, selber ermittelt. Es besteht der Verdacht, dass er bei den Abklärungen zu den Corona-Leaks seine Kompetenzen überschritten hatte. Lauener hat Strafanzeige gegen Marti eingereicht.

Es könnte sein, dass die Einvernahme-Protokolle, aus denen die «Schweiz am Wochenende» zitiert hat, juristisch niemals verwertet werden dürfen. Was das für die politische Untersuchung bedeutet, ist unklar. Die Verwaltung klärt gemäss der «NZZ am Sonntag» ab, wie die rechtlichen Möglichkeiten des Parlaments genau aussehen.

Der Bundesrat

Viola Amherd, left, Minister of Defence of Switzerland, talks with Alain Berset, right, President of the Switzerland before a bilateral meeting at the 53rd annual meeting of the World Economic Forum,  ...
Vizepräsidentin Viola Amherd und Alain Berset am WEF.Bild: keystone

Mehrere Bundesratsmitglieder verlangen laut der «Schweiz am Wochenende» eine Aussprache zur Affäre, vermutlich schon in der Sitzung am Mittwoch. Alain Berset solle «nicht geschont» werden, heisst es. Denn immerhin steht der Verdacht im Raum, dass mit den Indiskretionen via «Blick» die Entscheide des Bundesrats in der Corona-Politik beeinflusst werden sollten.

Direkte Konsequenzen aber hat der amtierende Bundespräsident kaum zu befürchten. Denn Indiskretionen aus dem Bundesrat haben in den letzten Jahren generell zugenommen, nicht nur aus dem Departement Bersets. Sie sind ein deutliches Indiz, dass es um das Vertrauen und die Gesprächskultur innerhalb des Gremiums nicht zum Besten bestellt ist.

Die Bundesratsmitglieder – ausser die beiden «Neulinge» Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti – müssten sich zu einem gewissen Grad an der eigenen Nase nehmen. Ausserdem sind die nicht so glorreichen Sieben im Endeffekt dennoch aufeinander angewiesen. Auch das spricht gegen ein zu hartes Vorgehen gegen Alain Berset.

Ausserdem deutet einiges darauf hin, dass der Freiburger im Dezember das Departement wechseln wollte, damit aber bei der SVP/FDP-Mehrheit aufgelaufen ist. Dies könnte ebenfalls zu einer gewissen «Beisshemmung» führen. Deshalb dürfte über die Aussprache – wenn überhaupt – höchstens mit einem dürren Communiqué informiert werden.

Die Neuwahl

ARCHIVBILD ZUM RUECKTRITT VON SIMONETTA SOMMARUGA --- Der Gesamtbundesrat mit den Mitgliedern Ueli Maurer, Simonetta Sommaruga, Alain Berset, Guy Parmelin, Ignazio Cassis, Viola Amherd, Karin Keller-S ...
Die Vereidigung des Bundesrats nach der letzten Gesamterneuerungswahl am 11. Dezember 2019.Bild: keystone

Selbst wenn sich eine GPK-Untersuchung verzögern sollte und der Bundesrat es bei einer «Ermahnung» belässt, ist Alain Berset höchstens temporär aus dem Schneider. Denn die Affäre wird nicht verschwinden, und am 12. Dezember muss sich der SP-Magistrat bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrats im Amt bestätigen lassen.

Vor Abwahlen schreckt das Parlament eigentlich zurück, vor allem nach den Erfahrungen mit Ruth Metzler und Christoph Blocher. Aber nach Bersets Skandalen könnte die Hemmschwelle sinken. Vieles hängt auch vom Ergebnis der Wahlen am 22. Oktober ab. Wenn es zu einem Rechtsrutsch kommt, könnte es für Berset eng werden.

Als Beispiel dient Eveline Widmer-Schlumpf. Die Bündner BDP-Finanzministerin wäre wohl gerne länger als acht Jahre im Bundesrat geblieben. Doch als sie nach den Wahlen 2015 realisieren musste, dass es für die Wiederwahl wohl nicht mehr reichen würde, trat EWS zurück. Ein ähnliches Szenario im Fall von Alain Berset ist keineswegs ausgeschlossen.

Cédric Wermuth, der Co-Präsident der SP, zeigte sich in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF «felsenfest davon überzeugt», dass seine Partei Ende Jahr mit Elisabeth Baume-Schneider und Alain Berset beide bisherigen SP-Bundesräte zur Wiederwahl vorschlagen werde. Eine Wette darauf abschliessen aber sollte man besser nicht.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Schlechte Noten für den Bundesrat – gleich vier ungenügend
1 / 10
Schlechte Noten für den Bundesrat – gleich vier ungenügend
Nur noch jeder zweite ist mit der Arbeit des Gesamtbundesrats laut einer neuen Umfrage zufrieden oder eher zufrieden. Ende 2021 lag dieser Wert noch 15 Prozentpunkte höher. Doch nicht nur das Gesamtgremium, auch die einzelnen Bundesräte büssten seit Dezember 2021 an Beliebtheit ein, wie aus einer am 29. August 2022 publizierten Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» hervorgeht.

quelle: stefano spinelli
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Gesamtes Insta-Live-Interview mit Alain Berset
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
29 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
HappyUster
23.01.2023 15:55registriert August 2020
Diese Indisketionen im Bundesbern sind ein Ärgernis! Egal welches couleur, das darf einfach nicht Sein!

Reisst euch am Riemen und macht Politik FÜR die Schweiz.
374
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bits_and_More
23.01.2023 15:08registriert Oktober 2016
Ich denke eher, dass die Affäre der SP, welche schon vorher nicht auf der Höhe war, weitere Stimmen im Herbst kosten wird und Stimmen zu den Grünen wandern. So könnte sich ein Sitz von SP nach Grün schieben.
4615
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tokyo
23.01.2023 14:48registriert Juni 2021
ein neuer Artikel im Rahmen des Kampagnen-Journalismus.
Inhalt: immer noch gleich dürftig wie zu vor.
Neuigkeiten: Keine, die man nicht schon wusste
6436
Melden
Zum Kommentar
29
Scroll dich durch den Stauporn – und du wirst schneller (vorwärts-)kommen
Sie ist fast so bekannt (und zuverlässig) wie das Schweizer Sackmesser: die Blechlawine vor dem Gotthard an Festtagen im Frühling. Und das schon seit Jahren. Eine kurze Zeitreise gegen die Langeweile.

Und dann kamen dann schon bald die ersten Staus ...

Zur Story