Falls Alain Berset und die SP gehofft hatten, sie könnten die E-Mail-Affäre «aussitzen», so wurden sie am Samstag eines Besseren belehrt. Neben den zwei bislang bekannten Mails veröffentlichte die «Schweiz am Wochenende» weitere Ausschnitte aus der Korrespondenz zwischen Bersets Ex-Kommunikationschef Peter Lauener und Ringier-CEO Marc Walder.
Sie belegen, dass während der Coronakrise tatsächlich ein reger Austausch stattgefunden hatte. Und sie lassen darauf schliessen, dass der Gesundheitsminister womöglich stärker involviert war als bislang bekannt. Handfeste Beweise sind das nicht, und für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Aber der Druck auf den Bundespräsidenten nimmt zu.
Erste Rücktrittsforderungen stehen im Raum. «Berset sollte einen Schlussstrich ziehen», sagte SVP-Präsident Marco Chiesa dem «Blick». Er verwies auf den springenden Punkt: Entweder wusste Berset, dass sein Sprecher Ringier mit Informationen zu anstehenden Bundesratsentscheiden «versorgte» – oder er wusste nicht, was Peter Lauener tat.
Beides wäre hochproblematisch. Allerdings räumte Chiesa ein, man wisse «noch nicht genug». Das könnte dem Freiburger vorerst die Schmach eines Rücktritts ersparen. Zwar wird eine parlamentarische Untersuchung beantragt, und im Bundesrat soll gemäss der «Schweiz am Wochenende» eine Aussprache stattfinden. Aber Berset hat (noch) wenig zu befürchten.
Am Montag und Dienstag treffen sich die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) von National- und Ständerat. Ihre Aufgabe ist die politische Oberaufsicht über Bundesrat und Verwaltung. Auf dem Tisch liegt ein Antrag des Zürcher SVP-Nationalrats Alfred Heer, den Mailverkehr zwischen Lauener und Walder zu sichten. Er hatte Bersets Rücktritt gefordert.
Der Unmut unter vorab bürgerlichen Parlamentariern hat in den letzten Tagen stark zugenommen. Dennoch ist unklar, ob eine Untersuchung eröffnet wird. Es sei «offen, ob die Politik der Justiz überhaupt vorgreifen darf», schrieb die «NZZ am Sonntag». Die Ausgangslage ist verworren, denn in dieser Angelegenheit laufen gleich mehrere juristische Verfahren.
So wird gegen den Sonderermittler Peter Marti, der Alain Berset stundenlang einvernommen und Peter Lauener sogar in Untersuchungshaft genommen hatte, selber ermittelt. Es besteht der Verdacht, dass er bei den Abklärungen zu den Corona-Leaks seine Kompetenzen überschritten hatte. Lauener hat Strafanzeige gegen Marti eingereicht.
Es könnte sein, dass die Einvernahme-Protokolle, aus denen die «Schweiz am Wochenende» zitiert hat, juristisch niemals verwertet werden dürfen. Was das für die politische Untersuchung bedeutet, ist unklar. Die Verwaltung klärt gemäss der «NZZ am Sonntag» ab, wie die rechtlichen Möglichkeiten des Parlaments genau aussehen.
Mehrere Bundesratsmitglieder verlangen laut der «Schweiz am Wochenende» eine Aussprache zur Affäre, vermutlich schon in der Sitzung am Mittwoch. Alain Berset solle «nicht geschont» werden, heisst es. Denn immerhin steht der Verdacht im Raum, dass mit den Indiskretionen via «Blick» die Entscheide des Bundesrats in der Corona-Politik beeinflusst werden sollten.
Direkte Konsequenzen aber hat der amtierende Bundespräsident kaum zu befürchten. Denn Indiskretionen aus dem Bundesrat haben in den letzten Jahren generell zugenommen, nicht nur aus dem Departement Bersets. Sie sind ein deutliches Indiz, dass es um das Vertrauen und die Gesprächskultur innerhalb des Gremiums nicht zum Besten bestellt ist.
Die Bundesratsmitglieder – ausser die beiden «Neulinge» Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti – müssten sich zu einem gewissen Grad an der eigenen Nase nehmen. Ausserdem sind die nicht so glorreichen Sieben im Endeffekt dennoch aufeinander angewiesen. Auch das spricht gegen ein zu hartes Vorgehen gegen Alain Berset.
Ausserdem deutet einiges darauf hin, dass der Freiburger im Dezember das Departement wechseln wollte, damit aber bei der SVP/FDP-Mehrheit aufgelaufen ist. Dies könnte ebenfalls zu einer gewissen «Beisshemmung» führen. Deshalb dürfte über die Aussprache – wenn überhaupt – höchstens mit einem dürren Communiqué informiert werden.
Selbst wenn sich eine GPK-Untersuchung verzögern sollte und der Bundesrat es bei einer «Ermahnung» belässt, ist Alain Berset höchstens temporär aus dem Schneider. Denn die Affäre wird nicht verschwinden, und am 12. Dezember muss sich der SP-Magistrat bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrats im Amt bestätigen lassen.
Vor Abwahlen schreckt das Parlament eigentlich zurück, vor allem nach den Erfahrungen mit Ruth Metzler und Christoph Blocher. Aber nach Bersets Skandalen könnte die Hemmschwelle sinken. Vieles hängt auch vom Ergebnis der Wahlen am 22. Oktober ab. Wenn es zu einem Rechtsrutsch kommt, könnte es für Berset eng werden.
Als Beispiel dient Eveline Widmer-Schlumpf. Die Bündner BDP-Finanzministerin wäre wohl gerne länger als acht Jahre im Bundesrat geblieben. Doch als sie nach den Wahlen 2015 realisieren musste, dass es für die Wiederwahl wohl nicht mehr reichen würde, trat EWS zurück. Ein ähnliches Szenario im Fall von Alain Berset ist keineswegs ausgeschlossen.
Cédric Wermuth, der Co-Präsident der SP, zeigte sich in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF «felsenfest davon überzeugt», dass seine Partei Ende Jahr mit Elisabeth Baume-Schneider und Alain Berset beide bisherigen SP-Bundesräte zur Wiederwahl vorschlagen werde. Eine Wette darauf abschliessen aber sollte man besser nicht.
Reisst euch am Riemen und macht Politik FÜR die Schweiz.
Inhalt: immer noch gleich dürftig wie zu vor.
Neuigkeiten: Keine, die man nicht schon wusste