Die Coronaprotokolle geben in der Schweizer Politik zu reden. Nachdem die «Schweiz am Wochenende» Details um die Zusammenarbeit von Alain Bersets Departement und dem Ringier-Verlag enthüllt hat, gibt es zahlreiche Stimmen, die Klarheit in dieser Sache verlangen. «Ich finde Bersets Darstellung nicht sehr plausibel», sagte FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR) der «Sonntags-Zeitung».
Es geht um die Frage, ob der Bundesrat tatsächlich nicht wusste, dass sein Kommunikationschef Peter Lauener immer wieder vertrauliche Informationen zur Coronapolitik an Marc Walder, den CEO von Ringier, weitergab. «Wenn Berset wirklich nichts mitbekommen hat, wäre das wiederum ein Führungsversagen», sagte Caroni.
Noch einen Schritt weiter ging im gleichen Artikel SVP-Nationalrat Alfred Heer: «Bundesrat Berset muss zurücktreten», sagte der Zürcher. Die Glaubwürdigkeit sei stark beschädigt und das Vorgehen habe mit «seriöser politischer Arbeit und unabhängigem Journalismus nichts zu tun», so Heer.
Berset hatte sich in der über sechsstündigen Einvernahme auf den Standpunkt gestellt, er habe nicht mitbekommen, dass Lauener Informationen an Walder und dessen «Blick» weitergab, oft über Laueners private Bluewin-E-Mail-Adresse. «Ich weiss es nicht. Ich kann es auch nicht wissen», sagte der Bundesrat auf die Fragen von Staatsanwalt Peter Marti.
Von Alain Berset liegt inzwischen die erste persönliche Reaktion vor. Auf Nachfrage des Westschweizer Radios RTS äusserte sich der Bundesrat am Samstag dazu. Berset sprach von «recht skandalösen» Indiskretionen. Damit meinte der SP-Bundesrat nicht die Vorgänge in seinem Departement während der Pandemie, sondern die Dokumente, die CH Media vorliegen und welche die «Schweiz am Wochenende» publik gemacht hatte. Inhaltlich ging Berset am Radio nicht darauf ein, da es um ein laufendes Strafverfahren gehe. Es gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.
Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) kritisierte gegenüber «Tele Züri» die Leaks zu den Leaks. Aber sie stellte klar: Sollten sich die Vorwürfe gegen den ehemaligen Kommunikationschef von Berset erhärten, verurteile sie die Indiskretionen. Im Strafverfahren ist Berset selbst nicht Beschuldigter, sondern wurde als Auskunftsperson befragt.
Lauener selbst arbeitet seit kurzem in einer Berner Beratungsfirma und hat auf Anfragen von CH Media zu den Protokollen bislang nicht reagiert. Mit den nun veröffentlichten Enthüllungen verdichten sich die Indizien, dass er vertrauliche Infos an Walder weitergegegeben hat. Sollte sein vorgesetzter Bundesrat davon gewusst haben, wird es zu einem «Fall Berset».
Zugleich ist es auch ein «Fall Ringier». Entsprechend kommentieren mehrere Zeitungen anderer Verlage den Fall. «Aus demokratiepolitischer Sicht ist die Affäre mehr als bedenklich», schreibt etwa Christina Neuhaus, Inlandchefin der NZZ. Es müsse nun alles «bis in den dunkelsten Winkel» ausgeleuchtet werden. Die Frage ist dabei, ob der «Blick» im Gegenzug für die Vorabinfos eine wohlgesinnte Berichterstattung versprach und so den Weg für die von Berset gewünschten Coronamassnahmen ebnete. «Nur schon der Verdacht, dass die verständnisvolle Grundstimmung während der Pandemie durch eine gefütterte Presse manipuliert gewesen sein könnte, reicht, um dieses Verständnis und das Vertrauen in das System zu untergraben», schlussfolgert Neuhaus.
Auch der Zürcher Kommunikationswissenschaftler Vincenz Wyss sieht die Medienbranche betroffen: «Das ist einfach nicht gut, diese mangelnde Distanz des ‹Journalismus› zur Politik. Das Spiel mit dem Feuer untergräbt die Glaubwürdigkeit der ganzen Branche», schreibt Wyss auf Twitter. «Der Journalismus sollte davon absehen, gebauchpinselt auf den Leim zu gehen.»
Das ist einfach nicht gut, diese mangelnde Distanz des „Journalismus“ zur Politik. Das Spiel mit dem Feuer untergräbt die Glaubwürdigkeit der ganzen Branche. https://t.co/sE9nWWJVCF via @NZZ
— Vinzenz Wyss (@VinzenzWyss) January 14, 2023
Im Fall Berset/Ringier seien «sämtliche journalistische Grundsätze mit Füssen getreten worden», urteilt die «Sonntags-Zeitung» ähnlich. Journalismus brauche «nicht die Nähe zu den Mächtigen, sondern eine kritische Distanz», kommentiert Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser. Dies gerade auch in Krisenzeiten. Die Glaubwürdigkeit des Ringier-Verlags sei arg beschädigt. «Diesmal werden ein paar warme Worte nicht genügen», schreibt Rutishauser. Durch Lauener sei es Berset gelungen «die Boulevardpresse in den Griff zu bekommen». Letztendlich brauche die Schweiz aber keine «Homestory-Helden», sondern angesichts der ungemütlichen Weltlage «einen starken Bundespräsidenten».
Fast alle Medienhäuser ausser Ringier selbst griffen die Enthüllungen der «Schweiz am Wochenende» auf. Roger Köppel strahlte dazu am Samstag eine einstündige Sondersendung von «Weltwoche daily» aus. Schweizer Radio und Fernsehen wartete vorerst ab, berichtete dann aber am Sonntag auch. (aargauerzeitung.ch)
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KOHL