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Ein Dok-Film
besiegelte ihr Schicksal. Am 6. März 2008 lief «Die Abwahl» im
Schweizer Fernsehen. Der Film schilderte die «Geheimoperation»,
die zur Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher am 12. Dezember 2007
und zur Inthronisation der damaligen Bündner SVP-Finanzdirektorin
Eveline Widmer-Schlumpf als Nachfolgerin geführt hatte. Im Vorfeld
der Ausstrahlung gab es Anzeichen für eine Annäherung, vielleicht
gar Versöhnung zwischen der «Verräterin» und ihrer Partei.
Danach war alles
anders. Der Film suggerierte, Widmer-Schlumpf sei aktiv an einem von
SP und CVP organisierten Komplott beteiligt gewesen, um Blocher aus
der Landesregierung zu werfen. Die Empörung in der SVP war riesig.
2011 schilderte der ehemalige Bündner SP-Nationalrat Andrea
Hämmerle, der als Bindeglied zwischen den «Verschwörern» und
EWS gewirkt hatte, in einem Buch eine nüchternere Version. Er habe
Widmer-Schlumpf erst am Samstag vor der Wahl in die Pläne
eingeweiht, sie habe sich während des gesamten Prozesses passiv
verhalten.
Da war der Mist bereits geführt. Damals war die SVP-Zentrale nicht in der
Lage, Mitglieder direkt auszuschliessen. Dafür waren die
Kantonalparteien zuständig. Die Bündner Sektion weigerte sich
jedoch, «ihre» Eveline vor die Tür zu stellen. Am Ende musste die
gesamte SVP Graubünden rausgeworfen werden. Gemeinsam mit
abtrünnigen Bernern, darunter Bundesrat Samuel Schmid, formierte sie
sich in der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP).
Von da an sass
Eveline Widmer-Schlumpf als Vertreterin einer Kleinpartei im
Bundesrat. Es war eine Hypothek, an der sie schwer zu tragen hatte.
Wäre sie noch in der SVP, dann könnte sie ihrer Wiederwahl am
9. Dezember vermutlich ohne Sorgen entgegenblicken. Nun musste die
59-Jährige ihren Verzicht auf eine erneute
Kandidatur bekannt geben. Vermutlich hätte sie gerne weiter gemacht. Doch ihre Zeit ist abgelaufen.
An ihrer Popularität liegt es nicht. Diese war zwar auch schon grösser (im schwierigen Jahr 2008 wurde sie zur «Schweizerin des Jahres» gewählt), trotzdem geniesst sie immer noch ein hohes Ansehen. Dafür ist auch ihr Leistungsausweis verantwortlich. EWS gilt als fleissig und kompetent, sie kennt ihre Dossiers bis aufs Komma genau.
Ihre ersten Jahre im Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) verliefen nicht reibungsfrei. Sie überwarf sich mit ranghohen Mitarbeitern, und bei der Umstrukturierung des Migrationsamtes verursachte sie ein Chaos, das ihre Nachfolgerin Simonetta Sommaruga aufräumen musste.
Ihre grösste
Leistung vollbrachte Widmer-Schlumpf, als sie neben dem EJPD auch das
Finanzdepartement leitete, weil Amtsvorsteher Hans-Rudolf Merz nach
einem Herzstillstand ausser Gefecht war. Im Herbst 2008, auf dem
Höhepunkt der Finanzkrise, musste die Grossbank UBS notfallmässig vom Staat
gerettet werden. Die «Knochenarbeit» leisteten
Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand und Peter Siegenthaler, der
Chef der Finanzverwaltung. Dennoch war man froh, das die politische
Leitung bei Widmer-Schlumpf lag und nicht beim notorisch
überforderten Merz.
Nach dessen
Rücktritt 2010 konnte die Tochter des früheren SVP-Bundesrats Leon
Schlumpf ihr Wunschressort übernehmen. Die negativen Schlagzeilen
wurden seltener, EWS trieb den Umbau des Finanzplatzes Schweiz nach
der Finanzkrise und dem Ende des Bankgeheimnisses voran. Selbst der
Schiffbruch der Lex USA im Parlament war kein
Beinbruch. Die Banken kamen bei der Bereinigung ihrer
Steuer-Altlasten mit der US-Justiz glimpflich davon.
Am Grundproblem von
Eveline Widmer-Schlumpf änderte dies nichts. Das System Schweiz ist
darauf ausgerichtet, die grossen politischen Kräfte in der
Landesregierung einzubinden. Als Vertreterin einer Kleinpartei war
und blieb die Bündnerin eine Anomalie. Ihr war das von Anfang an
bewusst. An ihrer Medienkonferenz nach der Wahl hatte sie
erklärt, sie habe im Gespräch mit Andrea Hämmerle betont, man
könne «nicht ohne Fraktion in Bern politisieren».
Ohne starke
Hausmacht war Widmer-Schlumpf auf Gedeih und Verderben abhängig von
der Mitte-links-Koalition, der sie ihr Amt verdankte. Entsprechend
stimmte die frühere SVP-Frau brav auf
deren Linie ab. Eine Marionette war sie deshalb nicht, aber eine
eigenständige Politik konnte sie auch nicht betreiben. Wenn
SP-Präsident Christian Levrat die «Kollegialität» von EWS
hervorhob, hatte dies einen säuerlichen Beigeschmack.
Eveline Widmer-Schlumpf war isoliert und verhielt sich entsprechend. Während sie privat als herzlich und offen beschrieben wird, wurde sie im Amt als kalt und berechnend wahrgenommen. «Sie misstraut allen und verschanzt sich in ihrem Büro», sagte der Zuger CVP-Nationalrat und bekennende EWS-Gegner Gerhard Pfister dem «Tages-Anzeiger». Als die Mitte bei den Wahlen vor vier Jahren gestärkt wurde, konnte sie sich halten. Mit der neuen Konstellation war dies nicht mehr gegeben.
Das Schicksal ihres Vorgängers wollte Eveline Widmer-Schlumpf keinesfalls erleiden. Sie hatte keine andere Wahl, als den Rückzug anzutreten. Acht Jahre war sie im Bundesrat, gleich lang wie ihr Vater. Das zumindest kann ihr niemand nehmen. In der Finanzpolitik hat sie bedeutende Spuren hinterlassen. Nun hat sie genügend Zeit für ihre Enkelkinder. Und die Schweizer Politik kann zur Normalität zurückkehren.