Der Chefredaktor wehrt sich: «Niemand beeinflusst Blick!», schrieb Christian Dorer in fetten Lettern auf der Titelseite vom Dienstag. Zuvor hatte das Boulevardblatt zwei Tage zu den «CH Media»-Enthüllungen geschwiegen, wonach Ringier-CEO Marc Walder von Alain Bersets Ex-Kommunikationschef während der Coronakrise mit Infos «gefüttert» worden war.
Nun suchte Dorer den Befreiungsschlag: Man habe «keinerlei Weisungen von irgendwem erhalten, auch nicht vom CEO», hiess es. Ebenso «entschieden» verwahrte er sich «gegen die Unterstellung, wir hätten uns vom Innendepartement beeinflussen lassen». Allerdings lässt die Verteidigungsschrift des «Blick»-Chefredaktors einige Fragen offen.
So versteift sich Christian Dorer auf zwei Artikel zur Impfstoff-Beschaffung und zu geplanten Massnahmen-Lockerungen, die von «CH Media» erwähnt wurden und laut seiner Darstellung auf eigenen Recherchen basieren. Verschwiegen wird, dass der «Blick» während der Krise vor Bundesratssitzungen regelmässig auf Basis von Insider-Informationen berichtet hatte.
Schon lange wird gemutmasst, dass die Redaktion von Bersets Departement mit gezielten Indiskretionen beliefert wurde, um die Entscheide des Gesamtbundesrats und wohl auch die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Was genau geschah, wird sich vielleicht nie klären lassen, weil sich der «Blick» auf den journalistischen Quellenschutz berufen kann.
Der «CH Media»-Bericht zeigt jedoch, dass es einen regen Austausch zwischen Marc Walder und Alain Bersets Kommunikationschef und Spin Doctor Peter Lauener gab. Laut «Tamedia» sind mehr als 180 Kommunikationsvorgänge dokumentiert. Walder selbst sagte, er habe während der Pandemie «vielleicht wöchentlich» Kontakt mit Lauener gehabt.
Die Aussage stammt aus Einvernahme-Protokollen des Sonderermittlers Peter Marti, auf die «CH Media» Zugriff hatte. Auch Alain Berset war von Marti, gegen den nun selbst wegen möglicher Kompetenzüberschreitung ermittelt wird, zu einer Einvernahme nach Zürich aufgeboten worden. Dabei räumte er eine «gute Beziehung zu Herrn Walder» ein.
Der Ringier-CEO ist bekannt dafür, dass er die Nähe zu den Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Sport sucht, nicht unbedingt zur Freude der Journalisten seines Verlags. «Wenn man dann weiss, dass Walder diesen oder jenen Prominenten als seinen Buddy betrachtet, hat man als Redaktor eine Schere im Kopf», sagte einer von ihnen zu CH Media.
Alain Berset gehört zu diesem Kreis. Der telegene und eloquente Freiburger wird von den Ringier-Medien tendenziell sehr zuvorkommend behandelt. Daran ändert der eine oder andere kritische Kommentar oder der Kaktus der «Schweizer Illustrierten» für seinen Irrflug nach Frankreich wenig. Ähnliches hatten frühere Bundesräte erlebt.
Das war vor allem in den 1990er-Jahren der Fall und ist eng verbunden mit einem Namen: Frank A. Meyer. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Bieler hatte sich zum wohl einflussreichsten Journalisten in Bundesbern hochgearbeitet. Mit mehreren Bundesräten war er per Du. Besonders zwei von ihnen hatten es ihm angetan: Adolf Ogi und Flavio Cotti.
Mit dem SVP-Bundesrat pflegte Meyer eine Symbiose. Entsprechend wohlwollend war die Berichterstattung. Nur einmal kam es zu einer Irritation, als Ogi von Meyer angeblich zum Austritt aus der Blocher-SVP gedrängt wurde. Doch der Berner blieb standhaft (er ist bis heute Parteimitglied), worauf er vom «Blick» zeitweise härter angefasst wurde.
Das Zerwürfnis war nicht von Dauer. Nach wie vor erfreut sich Adolf Ogi bester Beziehungen zu den Ringier-Publikationen. Ein anderer «Liebling» des Verlags war CVP-Bundesrat Flavio Cotti. Von der «Schweizer Illustrierten» liess sich der Tessiner oft und gerne «ganz privat» porträtieren, etwa auf Wanderungen. Auch Verleger Michael Ringier schätzte ihn.
Allerdings war Cotti ein dankbares «Opfer» für Ringier. Der 2020 verstorbene Magistrat war bekannt für seine Mimosenhaftigkeit. Auf Kritik reagierte er empfindlich, was er mit einem ruppigen und teilweise verletzenden Führungsstil «kompensierte». Umso empfänglicher war er für Medien, die ihn mit Samthandschuhen anfassten.
Ab den 2000ern wurde das Verhältnis der Bundesräte zu den Ringier-Medien distanzierter. Frank A. Meyer zog nach Berlin und kommentierte die Schweizer Politik nur noch aus der Ferne. Auch das People-Modell der «Schweizer Illustrierten» hatte seinen Zenit überschritten. Symptomatisch dafür waren der Niedergang und letztlich das Ende der Miss-Schweiz-Wahl.
Doch das Ringier-Geschäft basiert immer noch auf Boulevard- und People-Journalismus. Das bedingt eine Nähe zu Prominenten, die sich dafür häufig offen zeigen. Oder versuchen, diesen Umstand für sich zu instrumentalisieren. Ob das bei der Lauener-Walder-Connection der Fall war, bleibt vorerst und vielleicht dauerhaft offen. Aber der Verdacht steht im Raum.
Wegen Walder ist die Medienlandschaft Schweiz auf bestem Wege, ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen als Regulator der Macht zu verspielen.
Anscheinend leben Medienleute wie Walder Eigeninteressen + persönliche Geltungsbedürfnisse aus in ihren Medienjobs statt sauberen Journalismus zu liefern.
Und letztlich spielt das ohnehin keine Rolle, weil die Weltwoche und die WOZ unterschiedliche Lieblinge haben. Als Konsument muss man halt einfach mehr als eine Zeitung lesen, um gut informiert zu sein. Auch das ist nicht wirklich ein Geheimnis.