Simonetta Sommaruga hat als Bundesrätin einige Niederlagen in Volksabstimmungen erlitten. Die wohl bitterste war das Nein zum CO2-Gesetz am 13. Juni 2021. Es scheiterte an der ländlichen Bevölkerung, die nichts wissen wollte von höheren Benzinpreisen. Es ging um etwa zehn Rappen, was mit Blick auf die heutigen Preise an den Zapfsäulen absurd wirkt.
Für den Klimaschutz in der Schweiz war das Nein ein schwerer Rückschlag. Er werde auf Jahre hinaus blockiert sein, hiess es in ersten Reaktionen der enttäuschten Verlierer. Doch nur zwei Jahre später, am 18. Juni 2023, findet die nächste Abstimmung statt. Es geht um das Klima- und Innovationsgesetz (KIG), zumeist als Klimaschutz-Gesetz bezeichnet.
Es wurde vom Parlament im letzten Herbst verabschiedet als indirekter Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Abgelehnt wurde es nur von der SVP, die das Referendum ergriffen hat, weshalb es in zwei Monaten zur Abstimmung kommt. Die Dynamik wirkt einigermassen verblüffend, doch sie zeigt, dass die Politik den Handlungsbedarf beim Klima erkannt hat.
Im Mai 2016, rund ein halbes Jahr nach der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens, schlug der Umweltjournalist Marcel Hänggi die Lancierung einer Volksinitiative vor, um der Politik bei der Umsetzung des Abkommens «Beine zu machen». Im Januar 2019 wurde die Gletscher-Initiative gestartet und schon im November des gleichen Jahres eingereicht.
Der Titel ist clever gewählt, denn kaum ein Faktor illustriert die Klimakrise in der Schweiz so deutlich wie das allmähliche Verschwinden der Gletscher. Im letzten, sehr trockenen Sommer erreichte es ein Ausmass wie nie zuvor. Das hat die Wahrnehmung der Initiative beeinflusst. Bei ihrer Lancierung galt sie als radikal. Heute wirkt sie geradezu moderat.
Das geforderte «Netto-Null»-Ziel bis 2050 wurde vom Bundesrat übernommen. Auch in der Wirtschaft fand ein Umdenken statt. Bei der Ankündigung bezeichnete Economiesuisse die Gletscher-Initiative als «brandgefährlich». Als sich der Nationalrat letztes Jahr für den Gegenentwurf aussprach, schrieb der Dachverband: «Heute ist ein guter Tag für das Klima.»
Dabei folgt der Gegenvorschlag weitgehend den Vorgaben der Initiative. Einzig das Verbot fossiler Brenn- und Treibstoffe ab 2050 (mit wenigen Ausnahmen) wurde nicht berücksichtigt. Trotzdem stehen die Initianten um Marcel Hänggi aus Überzeugung hinter dem Gesetz. Bei einem Ja am 18. Juni wird die Gletscher-Initiative zurückgezogen.
Am Dienstag trat das Ja-Komitee, in dem alle grossen Parteien ausser der SVP vertreten sind, vor die Medien. Der Zürcher GLP-Nationalrat Martin Bäumle gab die Richtung vor: «Statt auf neue Verbote und Steuern setzt das Klimaschutz-Gesetz auf Investitionen und Innovationsförderung. Davon profitieren Unternehmen und Bevölkerung gleichermassen.»
Das Klimaschutz-Gesetz operiert anders als das abgelehnte CO2-Gesetz mit Subventionen statt Lenkungsabgaben. Diese werden von Liberalen als marktwirtschaftliches Instrument angepriesen. In der Realität verstehen viele das Konzept nicht. Sie sehen nur höhere Preise, vor allem wenn die Rückerstattung wie heute via Krankenkassenprämien erfolgt.
In der «reinen» Marktlehre ist das beste Mittel gegen den Klimawandel ein Preis auf dem emittierten CO2. In der Praxis stösst es häufig auf Vorbehalte, aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen. Immer mehr Länder verlegen sich deshalb auf Innovationsförderung mit Subventionen, etwa die USA mit dem letztes Jahr verabschiedeten Inflation Reduction Act.
Konkret sieht das Klimaschutz-Gesetz vor, den Ersatz von Öl- und Gasheizungen sowie von elektrischen Widerstandsheizungen mit 200 Millionen Franken pro Jahr zu fördern, befristet auf zehn Jahre. Es setzt auf Anreize statt Verbote, dennoch wird es von der SVP und vom Hauseigentümerverband bekämpft und als «Stromfresser-Gesetz» diffamiert.
Das Nein-Komitee, dem auch Freisinnige angehören, bekämpft das Gesetz mit dem Argument, eine Annahme heisse «massiv mehr Strombedarf und tausende Franken Mehrkosten pro Haushalt im Jahr». Dabei sind Wärmepumpen günstiger und effizienter als Öl-, Gas- und vor allem Elektroheizungen. Diese sind die wahren «Stromfresser».
Verschwiegen wird zudem, dass das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, kurz Mantelerlass genannt, den Ersatz von für sieben Milliarden Franken pro Jahr importiertem Erdöl und Erdgas durch einheimischen Strom anstrebt. Es befindet sich auf guten Wegen und geht exakt in die Richtung des Klimaschutz-Gesetzes.
Am Freitag wird Sommaruga-Nachfolger Albert Rösti vor den Medien das Ja von Bundesrat und Parlament zum Klimaschutz-Gesetz erläutern. Er befindet sich in einer heiklen Lage: Als SVP-Nationalrat hatte Rösti das Gesetz bekämpft. Er sass auch im Referendumskomitee. Nun muss er es als zuständiger Bundesrat dem Stimmvolk «verkaufen».
Rösti ist jedoch Pragmatiker genug, dass man ihm den Seitenwechsel zutraut. Vorsorglich hat er für die Medienkonferenz am Freitag «Verstärkung» aufgeboten: den Walliser Staatsrat Roberto Schmidt als Kantonsvertreter, Katrin Schneeberger, die Direktorin des Bundesamts für Umwelt (Bafu), und Benoît Revaz, den Direktor des Bundesamts für Energie (BFE).
Die Schweiz ist bei den Klimazielen nicht auf Kurs. Der Ausstoss von Treibhausgasen ist 2021 um knapp drei Prozent angestiegen, teilte das Bafu kürzlich mit. Das lag am kalten Winter und am Bevölkerungswachstum. Die SVP schlachtet die «masslose Zuwanderung» aus, doch die Schweiz will und muss ohnehin von fossilen Energieträgern wegkommen.
Das «Netto Null»-Ziel bis 2050 bleibt ein Kraftakt. Das Klimaschutz-Gesetz leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Die Ablehnung des CO2-Gesetzes vor zwei Jahren konnte man noch als «Betriebsunfall» abtun. Für die Abstimmung vom 18. Juni gilt diese Ausrede nicht mehr. Sie wird zur Stunde der Wahrheit, ob die Schweiz den Klimaschutz ernst nimmt.
Ist Ironisch gemeint....