Der Schweizer Armee gehen die Soldatinnen und Soldaten aus und auch im Zivilschutz mangelt es an Personal. Bis Ende des Jahrzehnts sollen bis zu 30'000 Personen fehlen, prophezeit der Bundesrat in einem Bericht. Viele treten ihren Militärdienst gar nicht erst an, andere wechseln in den Zivildienst.
Um dem drohenden Mangel entgegenzuwirken, tüftelt das Verteidigungsdepartement (VBS) derzeit an neuen Varianten der Dienstpflicht. In drei von vier vorgeschlagenen Modellen wird eine Dienstpflicht für Frauen in Betracht gezogen. Warum diese Modelle aktuell nicht allzu schlechte Chancen haben, zeigt der Blick auf vier verschiedene Ebenen.
In den letzten knapp 50 Jahren diskutierte die Politik immer wieder über eine Erweiterung der militärischen Dienstpflicht. Als die Schweizer Stimmbevölkerung 2013 mit 73,2 Prozent Nein-Stimmen die GSoA-Initiative zur Abschaffung der Wehrpflicht abschmetterte, wurde die Debatte über alternative Dienstformen erneut lanciert.
Auch der Bundesrat reagierte auf die Diskussion und beschloss, dass eine Studiengruppe die Zukunft des Dienstpflichtsystems unter die Lupe nehmen sollte. Der 2016 publizierte Bericht kam jedoch zum Schluss, dass das System nicht grundlegend geändert werden müsse und dass es falsch wäre, Frauen vor dem Hintergrund der Gleichstellung weitere Pflichten aufzuerlegen, solange sie nicht die gleichen Rechte hätten.
Seither ist jedoch viel passiert. Einerseits schrumpfen, wie eingangs erwähnt, die Personalbestände der Armee und des Zivilschutzes kontinuierlich. Andererseits ist mit Viola Amherd das erste Mal eine Frau an der Spitze des VBS. Amherd will den Frauenanteil in der Armee von den heutigen 0,9 auf 10 Prozent steigern. «Viele junge Leute, gerade Frauen, sagen, sie wollen nicht in die Armee, wären aber bereit, einen Dienst zu leisten. Es ist schade, wenn wir dieses Potenzial nicht nutzen», so die Walliserin.
Gemäss der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG) ist ein zehn prozentiger Frauenteil wohl nur möglich, wenn zukünftig auch Frauen dienstpflichtig werden. Mitte Juli sprach sich so denn auch SOG-Präsident Stefan Holenstein das erste Mal für eine Dienstpflicht für Frauen aus. «Es ist an der Zeit, dass beide Geschlechter im Militär dieselben Rechte und Pflichten haben», so Holenstein gegenüber der «NZZ am Sonntag».
Der Gesamtbundesrat zeigte sich besorgt über den drohenden Personalmangel. Im Parlament signalisierte er, dass ihm die Sicherung der Bestände von Armee und Zivilschutz wichtig sei. So wichtig, dass sogar die 2016 kaum beachtete Idee eines Bürgerdienstes wieder aufgewärmt wird. Dieser Dienst würde die Armee zwar nicht ersetzen, aber beeinflussen. Die Militärpflicht wäre nicht mehr vorrangig, sondern eine von mehreren Einsatzmöglichkeiten.
Auch die FDP findet Gefallen an der Idee des Bürgerdienstes und fordert im Parlament rechtliche Grundlagen dafür. In einem Bürgerdienst müsse die Armee besser aufzeigen, dass der Dienst in der Armee und im Zivilschutz durchaus attraktiv sei, so FDP-Ständerat Thierry Burkart.
Auch in der Bevölkerung stösst eine Ausweitung der Dienstpflicht auf grossen Anklang. 67 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer unterstützen 2021 eine Dienstpflicht für Frauen und Männer. Das sind 14 Prozentpunkte mehr als noch 2014. Das zeigte eine von der ETH Zürich jüngst publizierte Sicherheitsstudie. Am meisten Zustimmung erhielt das Modell, bei dem frei zwischen einem Militär-, Zivil- oder Sozialdienst gewählt werden kann.
Daneben steht in der Zivilgesellschaft auch der Genfer Verein «Service Cityoen» mit einer Initiative in den Startlöchern. Eine Gruppe aus ehemaligen und aktiven Armeeangehörigen, Zivildienstleistenden und Feuerwehrleuten will die Dienstpflicht neu gestalten und zu einem Staatsbürgerdienst für Mensch und Umwelt umwandeln. Am 1. August soll die erste Phase der Unterschriftensammlung beginnen.
Die Bilder verbreiteten sich wie ein Lauffeuer: Zivilschützer, die in Spitälern Betten aufbauten oder Impfstoff lieferten und Soldaten, die an den Grenzen aushalfen. Die Corona-Pandemie zeigte, wie wichtig der Einsatz von Armee, Zivildienst- und Schutz im Kampf gegen das Virus war. Der Zivilschutz sei ein «entscheidendes und unverzichtbares Instrument für die Bewältigung der Pandemie», schrieb auch das VBS im November.
Und auch die jüngsten Einsätze aufgrund der Hochwasser und Unwetter in der Schweiz sind gute Werbung für Armee und Zivilschutz. Denn sie zeigten: Man war schnell vor Ort und half der Bevölkerung, wo man konnte.
Zu guter Letzt tut sich auch einiges auf internationaler Ebene: Mehrere europäische Länder diskutieren derzeit über eine Wehrpflicht für Frauen und Männer. Als Schweden 2018 die Wehrpflicht wieder einführte, tat sie dies geschlechtsneutral. Und bereits 2016 rückten in Norwegen die ersten wehrpflichtigen Frauen in die Armee ein. Sie wurden in die Streitkräfte einberufen, nachdem das Parlament in Oslo 2014 die Wehrpflicht auf beide Geschlechter ausgedehnt hatte.
Obwohl sich längst nicht alle Politikerinnen und Politiker für eine Dienstpflicht für Frauen aussprechen, hat die Idee eines Bürgerdienstes noch nie so viel Unterstützung genossen. Hinzu kommt, dass auch die Bevölkerung klar signalisiert, dass sie einer Dienstausweitung positiv gegenübersteht. Und auch im Kampf gegen die Pandemie hat die Armee und der Zivilschutz viel gute Arbeit geleistet, die zeigt, dass solche Einsätze unverzichtbar und das nötige Personal enorm wichtig ist.
@Watson interesant wäre auch die Zustimmung nach Geschlechter. Sorrs war zu faul die Quelle danach durchzuforsten. 😅