Wenn einer sich am Sonntag uneingeschränkt freuen durfte, dann war es Gerhard Pfister. Seine Mitte-Partei war die Siegerin der Wahlen in Zürich und Baselland. Sie konnte ihre Sitze in den Regierungen mühelos verteidigen. Im Zürcher Kantonsrat verzeichnete sie mit drei Sitzgewinnen den stärksten Zuwachs, im Baselbieter Landrat kam ein Sitz hinzu.
Beim Wähleranteil waren die Zugewinne nicht berauschend, dennoch kann Pfister zufrieden sein. Die von ihm vorangetriebene Fusion von CVP und BDP und der damit verbundene Namenswechsel haben nicht zu den befürchteten Abwanderungen geführt. Der Abschied vom ominösen «C» scheint im Gegenteil wie erhofft neue Wählerinnen und Wähler anzuziehen.
Den erfreulichen Sonntag für das politische Zentrum komplettiert der unerwartete Erfolg von Thomi Jourdan bei der Baselbieter Regierungsratswahl. Er besiegte nicht nur die favorisierte SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger, sondern verhalf der Dauerkleinpartei EVP erstmals in ihrer etwas über 100-jährigen Geschichte zu einem Mandat in einer Kantonsregierung.
Es ist das bemerkenswerte Fazit eines ansonsten wenig spektakulären Wahlsonntags. Während die Welt und besonders Europa von mannigfaltigen Krisen erschüttert werden, stärkt die Wahl-Schweiz die konstruktiven Kräfte im Zentrum. Zum Ärger etwa der NZZ, die die Mitteparteien, zu denen sie auch die Grünliberalen zählt, als «Wundertüten» schmäht.
Am anderen Ende des Gefühlsspektrums befand sich am Sonntag Grünen-Präsident Balthasar Glättli. Zwar konnte seine Partei ihre Regierungssitze genauso problemlos halten wie die Mitte. In beiden Kantonsparlamenten aber verzeichneten die Grünen Verluste. Man kann dies als eine Art logische Korrektur nach der «grünen Welle» von 2019 deuten.
Das Problem der Grünen aber reicht tiefer. Es fällt ihnen schwer, sich ausserhalb der Klimapolitik zu profilieren. Bei den meisten Themen marschieren sie im Gleichschritt mit der SP, und in der Europapolitik spielen sie «Versteckis». Glättlis Ziel, die Grünen bei den nationalen Wahlen zur drittstärksten Partei zu machen, wirkt illusorisch.
Angesichts ihres aktuellen Formstands müssen sie vielmehr befürchten, hinter der Mitte-Partei auf dem fünften Platz zu landen. Ihre Bundesratsambitionen müssten sich die Grünen in diesem Fall auf absehbare Zeit abschminken. Es ist für sie ein schwacher Trost, dass die «Klima-Allianz» im Zürcher Kantonsrat (SP, GLP, Grüne, EVP, AL) ihre Mehrheit ganz knapp verteidigen konnte.
Durchzogen verlief der Wahltag für die Grünliberalen. In Baselland waren sie die grossen Sieger, doch in ihrem Gründerkanton Zürich konnten sie entgegen den Umfragen nicht zulegen. Ihr Wähleranteil ist sogar leicht rückläufig. Auch die GLP hat ein Problem mit ihrem Profil. Sie heben sie einzig beim Thema Europa klar von den übrigen Parteien ab.
Es genügt eben nicht, sich als Auffangbecken für frustrierte FDP- und SP-Wählerinnen anzubieten. Denn seit Wladimir Putins «Gaskrieg» haben alle Parteien ausser der SVP den Handlungsbedarf bei den erneuerbaren Energien erkannt. Das zeigen die Bestrebungen in Bundesbern, den Ausbau von Solar-, Wasser- und Windkraft massiv zu beschleunigen.
Aus Sicht des Klimaschutzes ist das Ergebnis vom Sonntag deshalb weniger schlimm, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Und die wichtigste Weichenstellung in diesem Jahr ist die Volksabstimmung vom 18. Juni über den von der SVP bekämpften Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Sie wird zeigen, wie ernst die Schweiz die Klimakrise nimmt.
Wenig berauschend war der Wahlsonntag auch für SP und FDP. Die Freisinnigen verharrten in den Parlamenten beim Status quo, und ihr Versuch, den zweiten Regierungssitz in Zürich zurückzuerobern, scheiterte kläglich. So wird es nichts mit dem Ziel von Parteipräsident Thierry Burkart, die SP bei den Wahlen im Herbst vom zweiten Platz zu verdrängen.
Die Sozialdemokraten konnten in Zürich wider Erwarten einen Sitz hinzugewinnen. Ihre schlechten Umfrageergebnisse haben womöglich einen Mobilisierungseffekt ausgelöst. Im Baselbiet aber setzte sich der Abwärtstrend der letzten Jahre mit zwei Sitzverlusten fort. Die SP muss weiterhin froh sein, wenn sie im Herbst halbwegs ungeschoren davonkommt.
Bleibt noch die SVP. Sie hat in Zürich einen Sitz im Kantonsrat hinzugewonnen. Das aber kann die neun verlorenen Sitze von 2019 bei Weitem nicht kompensieren. Dabei haben ihre traditionellen Kernthemen Asylpolitik und Zuwanderung erstmals seit längerer Zeit an Dringlichkeit zugelegt. Bislang aber kann die SVP davon kaum profitieren.
Das mag am Personal liegen, bei dem die Volkspartei auch schon besser aufgestellt war. Vielleicht aber, und das wäre die hoffnungsvolle Interpretation, zieht ihre Masche immer weniger. So ist beim Thema Zuwanderung der Personalmangel für alle und jeden spürbar. Da genügt es nicht, Probleme bloss zu bewirtschaften, wie das die SVP mit Vorliebe macht.
Bis Oktober kann einiges passieren. Eine neue Flüchtlingswelle könnte wie 2015 der SVP Rückenwind verschaffen. Umgekehrt könnten die Öko-Parteien wie 2019 von einem heissen und trockenen Sommer profitieren. Wenn man aber die Wahlen vor allem in Zürich als Gradmesser für den landesweiten Wahlherbst nimmt, dann dürfte sich wenig ändern.
In den letzten vier Jahren ist enorm viel passiert. Wir haben die Rückkehr von Pandemie und Krieg erlebt, zwei vermeintlichen «Gespenstern» der Vergangenheit. Hinzu kommt die Klimakrise als ungelöstes Dauerproblem. Es ist bemerkenswert und durchaus erfreulich, dass die Schweiz in einem derart «instabilen» Umfeld auf politische Stabilität setzt.
Man darf den Status quo einfach nicht als Vorwand nehmen, um unbequeme Themen auf die lange Bank zu schieben. Zum Beispiel das angespannte Verhältnis zur EU oder den Umgang mit der Neutralität. Sonst rächt sich das irgendwann.
Doch was kriegt man im Artikel? Eine Kurzananlyse der Ergebnisse aller Parteien.
Dazu gibt es meine volle zustimmung.