Am 30. August 2024 hatte der Allgemein- und Sportmediziner aus dem Kanton Neuenburg eigentlich Grund zum Feiern: Ein runder Geburtstag stand an. Doch das Gesundheitsdepartement vermiest ihm die Festlaune. Zum 80. Geburtstag entzog es dem Mann die Berufsbewilligung. Es stützte sich auf das kantonale Gesetz. Es besagt, dass Medizinerinnen und Mediziner mit 80 Jahren den weissen Kittel ablegen müssen.
Der behördlich zwangspensionierte Arzt ist eine bekannte Figur. Während 22 Jahren wirkte er als Teamarzt von Neuenburg Xamax. Er kümmerte sich um Stars wie Heinz Hermann, Uli Stielike oder Alain Geiger, welche den Club in den 1980er Jahren zu zwei Meistertiteln führten. Im Fernsehen trat er als Experte auf. Sein Diplom erlangte er im Jahr 1970. Damals zählte die Schweiz erst 6,2 Millionen Einwohner, die Frauen durften noch nicht abstimmen.
54 Jahre und zahlreiche Weiterbildungen später arbeitete der Arzt noch immer in einem 60-Prozent-Pensum. In einem Fernsehinterview sagte er: «Wenn ich keine Leidenschaft für meinen Beruf spüren würde, hätte ich schon lange aufgehört.» Gegen 2000 Patientinnen und Patienten betreute er pro Jahr. Ein Facharzt für innere Medizin attestierte ihm beste Gesundheit. Nichts spreche dagegen, dass er weiterhin praktiziere. Zahlreiche Patienten teilten den Neuenburger Behörden mit, wie zufrieden sie mit seinen Leistungen seien. Seine fachlichen Kompetenzen bestreitet auch das Gesundheitsdepartement nicht, doch es liess sich nicht erweichen und pochte auf das Gesetz.
Dagegen wehrte sich der Mann juristisch. Doch am 24. September letzten Jahres schmetterte das Kantonsgericht Neuenburg den Rekurs ab und verwies auf das kantonale Gesundheitsgesetz: Ab 70 Jahren muss die Bewilligung alle drei Jahre erneuert werden, mit 80 Jahren ist Schluss. Das Kantonsgericht sah im Bundesgesetz Spielraum für eine fixe Altersguillotine. Darin steht, dass Kantone in «eigener fachlicher Verantwortung» bestimmte Einschränkungen für Medizinalberufe erlassen dürfen.
Das Kantonsgericht kritisierte den Arzt. Er habe schon seit April 2023 gewusst, dass eine Bewilligung nach dem 80. Geburtstag nicht verlängert würde. Trotzdem habe er sich nicht um eine Nachfolgelösung gekümmert. Erst zwei Monate vor Ablauf seiner Bewilligung habe er die Verlängerung beantragt und so die Behörden vor vollendete Tatsachen gestellt.
Am 14. April dieses Jahres kam die Wende. Das Bundesgericht hiess einen Rekurs des Arztes gut. Es kam zum Schluss, dass der Kanton Neuenburg gegen das übergeordnete Bundesgesetz verstösst. Denn darin ist nirgends die Rede von einer expliziten Altersgrenze. Und man kann eine solche auch nicht aus bestimmten Gesetzespassagen ableiten, so das Bundesgericht. Mit höchstrichterlichem Segen darf der Arzt damit wieder praktizieren.
Neuenburg kennt als einziger Kanton eine fixe Alterslimite. Das bedeutet aber nicht, dass die älteren Ärzte hierzulande nicht unter Beobachtung stünden. Die meisten Kantone erteilen ab 70 Jahren eine befristete Bewilligung, die regelmässig erneuert werden muss. So stellen sie sicher, dass die Mediziner und Medizinerinnen im AHV-Alter die Anforderungen an ihren Beruf erfüllen. Und die Standesregeln legen sinngemäss fest: Wenn ein Arzt realisiert, dass er nicht mehr auf der Höhe seiner Aufgabe ist, leitet er seine Patientinnen und Patienten an einen Kollegen weiter.
In öffentlichen Spitälern werden Ärzte in der Regel zwischen 65 und 67 Jahren pensioniert. Wechseln sie in eine private Praxis, sind sie der Alterslimite nicht mehr unterstellt. Die Branche reguliert sich auch selber. Die Schweizerische Gesellschaft für Chirurgie verfügt zum Beispiel über ein Programm zur Evaluation der chirurgischen Fähigkeiten von älteren Operateuren, wie die NZZ kürzlich berichtete. Jeder zehnte Chirurg ist älter als 65 Jahre.
Wann ist die Zeit gekommen, das Stethoskop an den Nagel zu hängen? Mit dieser Frage hat sich auch schon der Bundesrat befasst. Er halte eine fixe Altersgrenze für wenig sinnvoll, hielt er vor 10 Jahren in der Antwort auf einen Vorstoss der ehemaligen St.Galler GLP-Nationalrätin Margrit Kessler fest. Die gesundheitliche Entwicklung einer Ärztin und eines Arztes laufe individuell ab. Das Thema geriet auf die politische Agenda, nachdem der «Kassensturz» über missglückte Operationen eines damals 78-jährigen Schönheitschirurgen berichtet hatte. Nach den Medienberichten verhängte der Kanton Zürich ein vorläufiges Operationsverbot, später verzichtete der Arzt freiwillig darauf.
Fest steht: Der Anteil der Ärzte, die nach Erreichen des AHV-Alters weiterhin Patientinnen und Patienten betreuen, nimmt laufend zu. Gemäss der Statistik der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) waren im letzten Jahr 12,6 Prozent der 42'602 aktiven Mediziner 65 Jahre und älter. Die Statistik hält zudem faustdicke Überraschungen bereit. 452 Ärzte sind 80-jährig und älter, 41 davon haben sogar schon ihr 90. Lebensjahr hinter sich.
Arbeiten die betagten Mediziner noch immer regelmässig in einer Praxis? Dazu liefert die Statistik keine Antworten. FMH-Präsidentin Yvonne Gilli beobachtet: Je älter die Ärztinnen und Ärzte werden, desto kleiner wird ihr Patientenstamm. Die 90-Jährigen würden ihre Bewilligung oft behalten, um noch Familienangehörige und Bekannte pflegen zu können.
Gilli begrüsst das Bundesgerichtsurteil im Grundsatz. Die ehemalige Nationalrätin (Grüne, SG) hält starre Altersgrenzen für wenig sinnvoll. «Entscheidend ist, dass die Ärzte im Pensionsalter die nötigen Weiterbildungen absolvieren und weiterhin die Qualitätsanforderungen an ihren Beruf erfüllen», sagt sie.
Und sie weist auf einen anderen Punkt hin. Bald geht die Babyboomer-Generation in Pension. «Wir steuern auf einen krassen Ärztemangel hin», warnt Gilli. Auch deshalb sei die Gesellschaft auf gesunde ältere Ärztinnen und Ärzte angewiesen.
Politisch ist das Thema Altersgrenze nicht abgehakt. Der Neuenburger SP-Ständerat Baptiste Hurni prüft einen Vorstoss, der den Kantonen entsprechende Regelungen erlauben würde. Gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS wies er darauf hin, dass Notare im Kanton Neuenburg ihren Dienst mit 70 Jahren quittieren müssen. Auch Bundesrichterinnen und -richter dürfen von Gesetzes wegen nicht länger Urteile fällen. Es sei eigenartig, so Hurni, dass für Ärzte keine Beschränkung gelte.
Grundsätzlich gibt es in der Schweiz keine Altersgrenzen für berufliche Tätigkeiten. Einzelne Betriebe erlassen jedoch Regeln. Zum Beispiel Chauffeure der Postauto AG dürfen ab 70 Jahren nicht mehr ans Steuer sitzen. Bei den SBB gilt die gleiche Altersobergrenze für Lokomotivführer. Pilotinnen und Piloten der Swiss dürfen höchstens noch mit 61 Jahren im Cockpit Platz nehmen; einige arbeiten danach in einer Bodenfunktion weiter.
Wie rechtfertigte der Kanton Neuenburg die Alterslimite für Ärzte? Gesundheitsdirektor Frédéric Mairy (SP) betonte gegenüber RTS das Risiko eines plötzlichen gesundheitsbedingten Ausfalls. In einer Eingabe ans Kantonsgericht erwähnte das Gesundheitsdepartement den Fall eines Arztes, noch vor seinem 80. Geburtstag plötzlich schwer erkrankte. Dessen Kundschaft habe keinen Zugang mehr zu ihren Patientendossiers gehabt und sich in einer äusserst heiklen Lage befunden. Eine solche Situation könne eine Gefahr für die Gesundheit darstellen.
Der Anwalt des Arztes, der bis vor Bundesgericht für seine Zulassung kämpfte, sagte, nicht nur er, sondern auch seine Patientinnen und Patienten seien sehr erleichtert gewesen über den Entscheid aus Lausanne. Der Arzt habe einen guten Ruf, sei kompetent und werde sehr geschätzt. Und Claude-André Moser, ein seit geraumer Zeit pensionierter, aber noch immer praktizierender Mediziner aus La Chaux-de-Fonds, freute sich über die Nachricht aus Lausanne. «Meine Patienten wagen gar nicht mehr zu fragen, wann ich aufhöre.» Der Kanton Neuenburg wird die Karriere auf jeden Fall nicht mehr am 80. Geburtstag beenden. Er muss sein Gesetz anpassen. (nib/aargauerzeitung.ch)
In der Nachbarschaft lebt ein 95-Jähriger, der täglich Velo fährt und sich aktiv am Dorfleben beteiligt. Wer ihn nicht kennt, würde ihn auf höchstens 70 schätzen.
Mein Zahnarzt ist auch deutlich über 80. Aber er hat noch ruhige Hände und logischerweise viel Erfahrung. Mittlerweile arbeitet er nur noch zwei Tage pro Woche, aber ich würde nicht wechseln wollen.
Und sofern der Arzt in einem engmaschigen Turnus Kontrolliert wird sollte das in Ordnung gehen.
Dasselbe gilt auch fürs Autofahren. Letzthin hielt eine ältere Frau um die 80, direkt vor mir. Sie stieg mühsam aus, kam mit einem Brief mit sehr zittrigen Händen auf mich zu und bat mich ihren Brief einzuwerfen. Sie schaffte es nicht alleine den Schlitz hochzuhalten und mit der anderen Hand ihn einzuwerfen. Aber sie fuhr noch Auto und fuhr mit schnellem Tempo anschliessend davon. Ohne Worte.