
Die entschädigte Mutterschaftszeit in der Schweiz beträgt 14 Wochen. Viele steigen erst später wieder ins Berufsleben ein.Bild: keystone/shutterstock/watson
Nur jede fünfte Mutter kehrt nach der gesetzlich vorgesehenen Mutterschaftszeit an den Arbeitsplatz zurück. Eine Juristin, eine Projektleiterin und eine Pflegefachfrau erzählen, wie sie den Wiedereinstieg erlebt haben.
09.06.2025, 09:5809.06.2025, 09:58
Plötzlich steht der sogenannte Mutterschaftsurlaub in der Schweiz politisch unter Druck. Ginge es nach der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N), sollen Eltern 16 Wochen Elternzeit frei untereinander aufteilen können. Zu teuer sei ein Ausbau der Mutterschafts- und Vaterschaftszeit.
Mit dieser «Flexibilisierung» stellt die Kommission auch den fixen Anteil der Mutter infrage, der zurzeit 14 Wochen beträgt. Dabei bleiben vier von fünf Müttern nach der Geburt schon jetzt länger zu Hause – meist auf eigene Kosten.
Drei Mütter erzählen, wie es ist, früh wieder in den Beruf einzusteigen. Und was sie in dieser Zeit gebraucht hätten.
Mutterschaftsurlaub in der Schweiz
Seit 2005 haben gebärende Mütter in der Schweiz Anspruch auf einen
entschädigten Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen nach der Geburt. Die Entschädigung wird über die Beiträge an die Erwerbsersatzordnung finanziert. Sie beträgt
80 Prozent des Einkommens und maximal 220 Franken pro Tag.
Nur
18 Prozent der Mütter, die vor der Geburt ihres Kindes erwerbstätig waren,
steigen 14 Wochen nach der Geburt wieder in den Beruf ein. Nach 16 Wochen ist knapp jede dritte wieder erwerbstätig, nach 22 Wochen die Hälfte. Das hat eine
Befragung von 2’741 Müttern im Jahr 2017 ergeben.
Die Mehrheit der Frauen verlängert den Mutterschaftsurlaub
auf eigene Kosten durch einen unbezahlten Urlaub.
Sandra, 16 Wochen: «Ich hatte das Gefühl, ich lasse mein Kind im Stich»
21. Oktober 2024. Sandra Schuler (34) hat eine schwierige Geburt. Es kommt zum Notkaiserschnitt, eine Woche liegt sie im Spital. Die ersten zehn Tage kann sie kaum alleine aufstehen. Eigentlich hätte sie kurz darauf alleine zurechtkommen müssen. Der Vaterschaftsurlaub in der Schweiz beträgt zwei Wochen.
Ihr Mann ist wegen einer Umschulung in den ersten Wochen aber mehrheitlich zu Hause, erledigt den Haushalt, holt den kleinen Sohn Max aus seinem Bettchen, unterstützt Sandra, wo er kann. «Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich das geschafft hätte, wenn er nach zwei Wochen wieder gearbeitet hätte», sagt Sandra heute, acht Monate später.

Sandras Sohn Max kam im vergangenen Herbst zur Welt.Bild: zvg
Damals, nach der Geburt, hängt Sandra zwei Wochen Ferien an den 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub an. Während der Schwangerschaft denkt sie: «Vier Monate sind unglaublich lang.» Doch dann vergeht die Zeit wie im Flug. Sie braucht die Zeit: um sich zu erholen, aber auch, um sich in der neuen Rolle zurechtzufinden.
«Man ist nicht mehr derselbe Mensch, der man vorher war.»
Am 10. Februar, 16 Wochen nach der Geburt ihres Sohnes, geht Sandra wieder zur Arbeit. Sie steigt Vollzeit in ihren Beruf als Juristin ein. Das hat auch finanzielle Gründe. Ihr Mann verdient zu dieser Zeit nicht voll.
Der Einstieg ist mühsam: Sandra hadert mit der Trennung von ihrem Sohn, sie hat Angst, dass es ihrer Bindung schaden könnte. Dazu kommen Unverständnis und negative Reaktionen am Arbeitsplatz. Sie hört zum Beispiel: «Wieso hast du überhaupt Kinder, wenn du wieder arbeiten gehst?» oder «Ich könnte das nicht».
Hätte sie die Möglichkeit gehabt, wäre sie gerne länger zu Hause geblieben: Ein halbes oder ein dreiviertel Jahr hätte sie optimal gefunden. Doch diese Frage stellt sich nicht für sie. Und dennoch fühlt sie sich, als müsse sie sich ständig rechtfertigen: «Ich fühlte mich wie die schlimmste Mutter der Welt», sagt sie heute.
Jetzt, mit etwas Distanz, kann sie die negativen Reaktionen und ihre eigene Situation besser einordnen: «Man kann es niemandem recht machen: nicht, wenn man zurückgeht, und auch nicht, wenn man zu Hause bleibt.» Damals verunsichern sie diese Aussagen: «Ich hatte das Gefühl, ich lasse mein Kind im Stich.» Dabei ist es gerade andersherum: Sie geht arbeiten, damit ihr Sohn alles hat, was er braucht.
In der ersten Zeit nach dem Mutterschaftsurlaub fühlt sie sich aber unverstanden, die Kritik trifft sie in einer empfindlichen, verwundbaren Phase. Ihre Familie und ihr Freundeskreis unterstützen sie, sagen ihr, dass es ihrem Sohn gut gehe. Das hilft.

Sandra haderte mit dem Wiedereinstieg in den Beruf. Bild: zvg
An ihrem Arbeitsplatz erhält Sandra auch Unterstützung, vor allem von jenen Vorgesetzten, die selbst Eltern sind. Trotzdem: Sie spürt die Erwartung, von Anfang an voll zu funktionieren.
«Man erwartet von Müttern, dass sie ab diesem Moment nur noch arbeiten und nicht mehr Mütter sind.»
Was das mit der Psyche macht, werde oft vernachlässigt, sagt Sandra: «Alle sprechen von den körperlichen Folgen einer Geburt, aber es ist auch eine psychische Belastung.»
Das zeigt auch die Statistik: Suizid ist eine der häufigsten Todesursachen ab Beginn der Schwangerschaft bis zu einem Jahr nach der Geburt. Und es gibt Hinweise darauf, dass auch die Umstände des Mutterschaftsurlaubs eine Rolle spielen: So kam eine Studie von The Lancet 2023 zum Schluss, dass sich grosszügigere Mutterschaftsurlaubs-Regelungen positiv auf die psychische Gesundheit von Frauen auswirken.
Sandra wünscht sich darum vor allem eine Sensibilisierung in der Gesellschaft für die psychische Belastung, der Mütter nach der Geburt ausgesetzt sind. Und ein Verständnis für unterschiedliche Lebensmodelle und -situationen: «Ich wünschte mir, dass sich die Leute mit ihrem Urteil zurückhalten.»
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Laura, 16 Wochen: «Noch nie hat sich etwas so jenseits von Urlaub angefühlt»
Laura Amstutz (37) lacht auf, als sie das Wort «Mutterschaftsurlaub» hört. «Noch nie hat sich etwas so jenseits von Urlaub angefühlt.» Sie spricht darum von «Mutterschaftszeit» oder «Elternzeit».
Ihre eigene Mutterschaftszeit liegt vier Jahre zurück: Im März 2021 kommt ihre Tochter zur Welt. Wie Sandra bezieht auch Laura nach der Mutterschaftszeit zwei Wochen Ferien, bevor sie wieder in ihren Beruf einsteigt. Sie arbeitet in einem Museum und bei einer Stiftung, zusammengerechnet in einem Pensum von 80 Prozent. Laura pendelt von Luzern nach Lenzburg, tageweise arbeitet sie im Home-Office. Sie fühlt sich gestresst.

Laura startete 16 Wochen nach der Geburt ihrer Tochter wieder ins Erwerbsleben.Bild: zvg
Die meisten Mütter in ihrem Umfeld seien sechs Monate nach der Geburt wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt. Auch Laura fragt sich manchmal, ob sie sich mehr Zeit hätte einplanen sollen, ob sie es «richtig» macht. «Aber ich konnte es vorher nicht wissen», sagt sie heute.
Auch finanzielle Überlegungen hätten bei der Planung der Mutterschaftszeit mitgespielt. Denn mit der Elternschaft ergeben sich neue Kosten, und auch das Sicherheitsbedürfnis steige: «Man muss in viele Dinge investieren.» Gleichzeitig werden in der Mutterschaftszeit nur 80 Prozent des Lohnes ausbezahlt.
Dabei freut sie sich damals auch, nach der Babypause wieder arbeiten zu gehen. Darauf, wieder mit Erwachsenen zu reden: «Und zwar nicht nur über Pampers und Milchpumpen.»
Im Rückblick merkt sie: Es war zu viel, zu früh. Obwohl ihr Arbeitgeber sie damals unterstützte, war der Wiedereinstieg schwierig. Da ist der körperliche Aspekt: Etwa ein Jahr dauert es, bis sich der Körper nach einer Schwangerschaft wieder rückbildet. So erlebte es auch Laura: «Man ist nicht einfach direkt wieder topfit.» Dazu kommt der psychische Druck, Erwartungen von allen Seiten zu erfüllen:
«Ich fühlte mich sehr schnell sehr überfordert. Man muss es allen recht machen – im Job, zu Hause und überall.»
Hätte ihr eine längere Mutterschaftszeit geholfen? Rückblickend sagt Laura, dass es wohl etwas Druck herausgenommen hätte.

Lauras Tochter kam im Frühling 2021 zur Welt. Bild: zvg
Je 18 Wochen pro Elternteil, wie es die Familienzeitinitiative fordert, fände sie aber «gerade gut». Wichtig ist ihr vor allem, dass es eine Elternzeit, also eine bezahlte Auszeit für beide Elternteile, gibt. Denn:
«Elternsein ist Teamwork. Wenn das nicht von Anfang an passiert, wird es schwierig.»
Dass das Parlament zurzeit über eine Elternzeit zulasten des Anteils der Mutter diskutiert, kann sie hingegen nicht nachvollziehen: «Das ist absurd. Die Elternzeit sollte nicht dazu dienen, die Eltern gegeneinander auszuspielen.»
Mira*, 14 Wochen: «Stillen und Arbeiten – das ging nicht auf»
Herbst 2023. Miras* (29) Tochter ist 14 Wochen alt, als diese ihre Arbeit wieder aufnimmt. Mira arbeitet für einen Pflegedienst in der Ostschweiz. Sie macht Abendschichten, damit sie sich mit ihrem Mann die Betreuung aufteilen kann: Sie schaut am Tag, er am Abend.
Eigentlich arbeitet sie 50 Prozent. Weil ihr Arbeitgeber die Pläne wochenweise macht, ist sie in einer Woche aber auch mal 70 Prozent eingeteilt.
Und es gibt ein weiteres Problem: Miras Tochter nimmt die Flasche partout nicht an. Also stillt Mira weiter. Im ersten Jahr nach der Geburt haben Mütter gesetzlich festgelegte Zeiten zum Stillen oder um Milch abzupumpen. Mira geht während ihrer Schicht also nach Hause zum Stillen.
Das klappt nicht immer, denn Planbarkeit in ihrem Beruf ist schwierig: «Du weisst nie, was passiert, wenn du mit Menschen arbeitest», sagt Mira. Manchmal dauert es länger oder sie schafft es gar nicht nach Hause. Und selbst, wenn alles klappt und sie ihre Tochter stillen kann, weint diese, wenn Mira wieder geht, lässt sich durch nichts beruhigen.

Symbolbild. Mira* wurde im Sommer 2023 zum zweiten Mal Mutter. Bild: E+
Miras Tochter weint manchmal mehrere Stunden am Stück, wenn Mira fort ist. Ruhe kehrt erst ein, wenn Mira sie stillt. «Manchmal reichte es auch schon, dass ich sie gehalten habe», erzählt Mira zwei Jahre später.
«Stillen und Arbeiten – das ging einfach nicht auf.»
Damals, knapp vier Monate nach der Geburt, ist die Situation untragbar. Mira ist psychisch am Anschlag. Sie sucht sich Hilfe bei ihrem Arzt, der sie krankschreibt.
Sechs Monate nach der Geburt versucht sie es nochmals. Sie mag ihren Job, geht eigentlich gerne zur Arbeit. Aber die Probleme wiederholen sich. Ihr Arzt schreibt sie wieder krank. Am Arbeitsplatz ist kaum Verständnis für ihre Situation da, sagt Mira. Bald darauf erhält Mira die Kündigung.
«Sie wollten Mitarbeitende, die arbeiten können», sagt Mira heute. Gesetzlich ist die Kündigung damals erlaubt. Denn Mira ist bereits während der Schwangerschaft eine Zeit lang krankgeschrieben, mit den Abwesenheiten nach der Geburt hat sie so viele Absenzen, dass ihr Arbeitgeber sie entlassen darf.
Auch Mira spricht von der inneren Zerrissenheit und dem Druck, die sie in der Zeit vor der Kündigung gespürt hat: «Du musst arbeiten, gleichzeitig hast du zu Hause aber ein Kind, das dich braucht. Ich war überfordert.» In dieser Situation hätte sie sich mehr Verständnis und Unterstützung von ihrem Arbeitgeber gewünscht.
Und eine gesetzliche Lage, die den unterschiedlichen Bedürfnissen von Müttern und Kindern Rechnung trägt: «Man weiss nie, wie das Kind wird», sagt sie. So oder so reiche ein Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen aber nicht aus, findet Mira. In ihrem Fall hätte es ein Jahr gebraucht.
«Länger zu Hause bleiben kann nur, wer finanziell gut gestellt ist. Sonst geht es einfach nicht.»
Miras Mann kann damals wegen einer grosszügigen Regelung beim Arbeitgeber nach der Geburt ihrer Tochter zwei Monate zu Hause bleiben. Er schaut jeweils zum älteren Kind, während Mira manchmal stundenlang stillt, um das Kind zu beruhigen. «Alleine hätte ich es nicht geschafft», sagt Mira.
Heute hat sich die Situation etwas entspannt. «Jetzt geht es», sagt Mira. Sie stillt immer noch, mittlerweile kann aber auch der Vater die Kleine beruhigen. Vor zwei Monaten hat Mira eine neue Stelle angetreten. Ihre Tochter ist bald zwei Jahre alt.
*Name geändert
Und jetzt du: Welche Erfahrungen hast du im Mutterschaftsurlaub und beim Wiedereinstieg ins Berufsleben gemacht?
Ein längerer Mutterschaftsurlaub würde das auch Niedrigverdienern ermöglichen.
Zusätzlich war da noch der Babyblues...
Ich finde es absolut unverständlich von den rechten, die Eltern gegeneinander ausspielen zu wollen. Weil genau darauf zielt ihr Vorschlag ab.