So beschreibt das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron ihr prestigeträchtiges Luxushochhaus «Beirut Terraces» im Libanon. Der 119 Meter hohe Wohnturm wurde 2017 fertiggestellt und umfasst 130 Wohnungen, die bis zu 1000 Quadratmeter gross sind. Eines der Apartments steht derzeit zum Verkauf. Preis: 2,1 Millionen Franken.
Weniger gemütlich sind die obligaten Angestelltenzimmer in jeder Wohnung: Sie sind weniger als vier Quadratmeter gross, fensterlos und vom Rest der Wohnung abgeschirmt. Dies wird aus den Bauplänen ersichtlich, die die Architektin Valentina Aldo* diese Woche auf Twitter veröffentlichte.
Schweizer Stararchitekten bauen in Beirut Luxushochhäuser in denen das fensterlose (!) Bedienstetenzimmer mit 3.9m2 knapp grösser ist die Gästetoilette, aber kleiner als der Korridor oder jedes andere Bad in der Wohnung. Wahlweise auch 2 Betten in einem etwas grösseren Zimmer. pic.twitter.com/w6NkTNaoQK
— VAVAV (@vV_v_VvV_v_Vv) July 23, 2022
Die 34-jährige Baslerin arbeitete während der Planungsphase des Projekts bei Herzog & de Meuron, direkt beteiligt war sie jedoch nicht. Die Baupläne waren zu dieser Zeit auch für sie nicht ersichtlich. Im Zuge von Recherchen ist Aldo nun darauf gestossen. «Ich halte diesen Grundriss für unerträglich. Es sind menschenunwürdige Zellen. So sollte niemand leben müssen, selbst dann nicht, wenn sie fair bezahlt und gut behandelt würden. Solche Zimmer wären in der Schweiz niemals erlaubt.»
Tatsächlich schreibt das Bundesamt für Wohnungswesen vor, dass ein Zimmer für eine Person mindestens zehn Quadratmeter gross sein muss. In Deutschland sind es neun, im Vereinigten Königreich sieben. Vom Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter gibt es zudem eine Mindestnorm für Gefängniszellen: Vier Quadratmeter für jeden Bewohner einer mit mehreren Personen belegten Zelle – gleich viel wie die Hausangestellten in Beirut.
Auf Twitter sorgen die veröffentlichten Pläne für eine Welle der Entrüstung. Herzog & de Meuron gibt sich indessen auf Anfrage wortkarg: «Beim Projekt Beirut Terraces hatten wir dem Kunden andere Konzepte projektiert und empfohlen. Was hier jedoch realisiert wurde, war der ausdrückliche Wunsch der Bauherrschaft, und wurde auf dessen Anordnung ausgeführt.»
Weitere Nachfragen wurden nicht beantwortet.
Gebäude mit menschenunwürdigen Kleinsträumen gibt es viele im Libanon, so wie auch im ganzen Nahen Osten. Grund dafür ist das sogenannte Kafala-System, welches im Vorfeld der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar schon für etliche Schlagzeilen sorgte.
Im Kafala-System geraten Arbeitsmigrantinnen in eine Form der modernen Sklaverei, indem ein einheimischer Arbeitgeber die Bürgschaft für sie übernimmt. Gemäss Amnesty International gibt es im Libanon bis zu 400'000 Hausangestellte, die in diesem System gefangen sind. Meistens sind es Frauen aus Afrika und Asien.
«Die Bediensteten leben meist in sehr prekären Bedingungen», sagt Natalie Wenger von Amnesty International Schweiz. Oftmals müssten sie ihren Pass abgeben und können nicht frei entscheiden, wohin sie sich bewegen und was sie machen. «Der Arbeitgeber hat de facto die totale Kontrolle über ihr Leben.» Auch sexuelle Übergriffe würden gehäuft vorkommen.
Zum Fall des «Beirut Terraces» möchte sich die NGO nicht äussern, da sie den Fall nicht genauer untersucht habe. Nur so viel: «Hat Herzog & de Meuron diese Kammern im Wissen gebaut, dass dort Hausangestellte leben müssen, so haben sie zum Erhalt eines Systems beigetragen, das aus unserer Sicht abgeschafft werden sollte. Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene Wohnung.»
Für Valentina Aldo ist klar: Das Basler Architekturbüro hätte den Auftrag ablehnen müssen. «Wahrscheinlich hätte es dann einfach jemand anderes gemacht, aber gerade Herzog & de Meuron mit ihrem internationalen Renommee sollten ein solches System mit ihrer Arbeit nicht noch legitimieren.» Mit der Ablehnung des Auftrags könnte auch die Hemmschwelle für andere Architekten sinken, sich gegen solche Projekte zu entscheiden.
Die Architektin ist allgemein überzeugt, dass die Schweizer Architekturbranche zu apolitisch sei. «Die Szene ist ziemlich klein, man kennt sich und will niemandem auf die Füsse treten. Die Kollegen könnten ja in der nächsten Jury sitzen.» Dabei hätten Architekten eine grosse Verantwortung. «Sie gestalten die Gesellschaft mit ihren Bauten mit.»
Die Bekämpfung des Kafala-Systems im Nahen Osten gehört zu einem Schwerpunktprogramm des Schweizer Aussendepartements. 2020 hätte eine Vereinbarung mit der libanesischen Regierung in Kraft treten sollen, die einen besseren Schutz für Hausangestellte zum Ziel hatte. Jedoch bewirkten Rekrutierungsagenturen vor dem obersten Verwaltungsgericht einen Aufschub.
Seitdem ist die Regierung zurückgetreten, das Land befindet sich in einer politischen Krise. Gemäss «CH Media» verhandelt nun die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) mit dem neuen Minister einer geschäftsführenden Regierung. In Kraft getreten ist der Vertrag bis heute nicht.
*Name von der Redaktion geändert.