Die Parteien sind radikaler geworden. Vor allem in der Europapolitik kommt es kaum mehr zu Einigungen. Wie tief der Graben ist, hat Politikwissenschaftlerin Denise Traber untersucht.
04.12.2015, 07:1104.12.2015, 07:38
Sven Altermatt<br data-editable="remove">
Es ist ein hehrer Vorsatz, den sich Christa Markwalder genommen hat. Die neue Nationalratspräsidentin will ihr Amtsjahr unter das Motto «Respekt» stellen. Das sei umso wichtiger in einem «polarisierten Parlament», sagte sie in ihrer Antrittsrede.

Christa Markwalder am 2. Dezember in Bern.
Bild: KEYSTONE
Dass dies in der Praxis nicht ganz so einfach ist, dürfte Markwalder nur zu gut wissen. Die gern zitierte Polarisierung schwelt längst: Die Bundesratsparteien waren sich in den beiden vergangenen Legislaturen deutlich weniger einig als zuvor. Das belegt eine neue Untersuchung der Politikwissenschafterin Denise Traber von der Universität Zürich. Wie tief der Graben bei manchen Themen ist, zeigt sie mit einer Fülle von Erkenntnissen:
- Seit 1996 werden die Abstimmungsdaten im Nationalrat elektronisch erfasst. Bis 2007 standen bei sieben von zehn Gesetzesvorlagen alle Bundesratsparteien dahinter. Zwischen 2007 und 2013 wurde nicht einmal mehr die Hälfte aller Vorlagen von ihnen allen unterstützt.
- Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist das, was Traber als «zunehmende Isolierung der SVP» bezeichnet: Noch 1996 stellte sich die Mehrheit der SVP-Fraktion bei jeder zehnten Abstimmung gegen die anderen Bundesratsparteien. 2013 hat die SVP fast jede dritte Vorlage nicht mehr mitgetragen.
- Auch die SP opponiert häufig bei den Detailberatungen. Doch bei den Schlussabstimmungen zeigt sie sich im Vergleich zur SVP eher kompromissbereit.
- Was die Polparteien SP und SVP eint: In ihren Kernthemen positionieren sie sich radikaler. Die SVP beharrt in der Europapolitik und bei der Migration öfters auf ihren Positionen, die SP bei der Wirtschaftspolitik. Die Sozialdemokraten stimmen hier bei jeder zweiten Vorlage nicht mit den anderen Bundesratsparteien. Stellen sie sich nicht hinter einen Kompromiss, schmälert dies ihren Einfluss auf die Gesetze, entspricht aber eher dem Willen der Wähler.
- Bei der Europapolitik spricht Traber gar von einem «dramatischen Rückgang der grossen Koalition». In den beiden vergangenen Legislaturen waren sich die Bundesratsparteien nicht einmal bei jedem sechsten europapolitischen Geschäft einig. Zum Vergleich: Zwischen 1999 und 2003 koalierten die Parteien noch bei mehr als jeder zweiten der entsprechenden Vorlagen.
Bürgerliche sind gespalten
Die Schweiz ist das Land der Konkordanz, alle sollen ihren Teil beitragen. Im Idealfall heisst das: Möglichst viele beteiligen sich an einem Entscheid, und am Ende gibt es eine einvernehmliche Lösung. Doch die «Politik der Kompromisse» krankt.
Die bürgerlichen Parteien sind in wichtigen Fragen gespalten. Wie stark wird die SVP bei diesen auf ihrem Oppositionskurs beharren? Für Denise Traber ist das eine der entscheidenden Fragen in der neuen Legislatur.
(Nordwestschweiz)
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