
Sag das doch deinen Freunden!
Es ist starker Tobak, den der Deutsch-Pakistaner Shams Ul-Haq in der aktuellen Ausgabe der «SonntagsZeitung» beschreibt. Ul-Haq hat sich als pakistanischer Asylbewerber ins Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen eingeschleust und schwere Vorwürfe gegen die Securitas, das Staatsekretariat für Migration (SEM), die Asylorganisation Zürich und das Grenzwachtkorps erhoben:
Die erhobenen Vorwürfe stammen meist nicht aus erster Hand. Andere, bezüglich untergetauchter Terroristen, die sich in Kreuzlingen aufhalten sollen etwa, lesen sich so: «Hier in Keuzlingen ist mir ein Mann aufgefallen, von dem ich aufgrund des Verhaltens sagen kann, dass er entweder früher einmal für eine terroristische Organisation gearbeitet hat oder gar hier als aktives Mitglied untergetaucht ist.» Auch Schlepper und Drogenhändler hielten sich im EVZ Kreuzlingen auf.
Mit Ton- oder Bildaufnahmen hat Ul-Haq die Vorwürfe nicht erhärtet und sie auch nicht weiter abgeklärt. Im Einleitungstext zu seiner Reportage ist das auch so deklariert: «Sowenig wie die Neuankömmlinge in einer Schweizer Asylunterkunft die Behauptungen anderer Asylsuchender überprüfen können, sowenig hat Shams Ul-Haq den Anspruch, deren Schilderungen zu verifizieren.»
Nun tauchen erste Zweifel an Ul-Haqs Darstellungen auf. So kolportiert Ul-Haq, dass es «für die Kinder und Minderjährigen, die ohne Eltern in die Schweiz kommen, kein Unterhaltungsprogramm» gebe. Dem widerspricht der EVZ-Seelsorger Hanspeter Rissi. «Dem ist nicht so, ein Kollege von mir ist zuständig dafür», sagt Rissi im St.Galler Tagblatt.
Eine andere Angestellte des Empfangszentrums stellt auf Anfrage eine rhetorische Gegenfrage: «Im EVZ Kreuzlingen arbeiten Befrager und Protokollierer des SEM, Asylanwälte, Seelsorger, Securitas, Angestellte der Asylorganisation Zürich und die Polizei schaut auch regelmässig vorbei: Glauben Sie wirklich, wenn dort solche Zustände herrschten, liesse sich das länger als drei Tage geheim halten?»
Auch Doris Fiala, Zürcher FDP-Nationalrätin und Vizepräsidentin der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission, hegt Zweifel am Inhalt der Undercover-Reportage. «Es ist schon sehr effizient, wenn man innert weniger Tage in einem komplett fremden Umfeld exakt denjenigen Sicherheitsangestellten findet, der gegen seinen eigenen Arbeitgeber vom Leder zieht und angebliche Misshandlungen von Asylsuchenden bestätigt», sagt Fiala.
Fiala, seit 2008 auch Mitglied der Kommission für Migration, Flüchtlinge und Vertriebene im Europarat, fordert eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe Ul-Haqs. «Wenn die Schilderungen erfunden oder nur halbwahr wären, müssten diese zwingend öffentlich korrigiert und als Stimmungsmache entkräftet werden. Würde ein unabhängiger Bericht die Vorwürfe erhärten, müsste es natürlich Konsequenzen haben», sagt Fiala.
Das SEM, die Securitas, die Polizei, das Grenzwachtkorps und die für die Betreuung der Asylsuchenden zuständige Asylorganisation Zürich (AOZ), reichen den Fall derweil wie eine heisse Kartoffel von Stelle zu Stelle weiter. Das SEM regt an, «dass sich die ‹SonntagsZeitung› oder der Zeuge bei den zuständigen Polizeibehörden melden, damit die gerichtspolizeilichen Ermittlungen eingeleitet werden können». Die Securitas will intern abklären, ist aber laut Mediensprecher Urs Stadler, «als Dienstleisterin des SEM nicht in der Position, eine unabhängige Untersuchung zu den erhobenen Vorwürfen zu fordern oder in die Wege zu leiten». Die AOZ verweist auf das SEM und die Kantonspolizei Thurgau wartet, bis eine entsprechende Anzeige eingeht, dann handle sie «konsequent», teilt ihr Sprecher Andy Theler mit.
«SonntagsZeitungs»-Chefredaktor Arthur Rutishauser hält fest, dass es im Wesen der verdeckten Reportage liege, «dass nicht alles Gesehene vor Ort verifizierbar ist, sonst fliegt man auf». Der Entscheid, eine Anzeige einzureichen, sei allenfalls Sache des Reporters und das SEM habe man mit den Vorwürfen detailliert konfrontiert. «Es ist nun am SEM, untersuchen zu lassen, ob sich die Situation im EVZ Kreuzlingen so darstellt, wie beschrieben oder nicht», sagt Rutishauser. Shams Ul-Haq hält auf Anfrage fest, dass er keine Anzeige machen werde, weil er aufgrund des Quellenschutzes keine weiteren Angaben machen könne.
Stattdessen bietet Ul-Haq watson seine Dienste an: «Haben Sie Interesse an einer kompletten Geschichte aus einem anderen Flüchtlingsheim in der Schweiz?»