Auf einem Parkplatz in einem Dättwiler Industriequartier steht einsam ein gelbes Schild mit einer Forderung: «Sechs Spuren neue Autobahn über der bestehenden Autobahn im oberen Stock. SCHWER Verkehr unten, LEICHT Verkehr oben.» Zwölf Spuren also. Dabei sind bereits die sechs und teilweise gar acht Spuren, für die Bundesrat Albert Rösti im Neunziger-Jahre-Bürokomplex aus Stahl und Glas hinter dem Parkplatz weibelt, hochumstritten.
Hier im Täfernhof am Rande Badens hat die kantonale SVP zum sogenannten Verkehrsgipfel eingeladen. Heisst konkret: Nationalrätin Martina Bircher spricht mit Bundesrat Albert Rösti über Verkehrspolitik. Doch natürlich ist dies in erster Linie ein Wahlkampfanlass: Bircher wirbt für sich und ihre Regierungsratskandidatur, Rösti für den Ausbau der Autobahnen, über die das Schweizer Stimmvolk bald abstimmt.
Mit mehr Spuren und drei neuen Tunnels wollen Bundesrat und Parlament sechs Engpässe auf Schweizer Autobahnen beseitigen. Kostenpunkt: Rund fünf Milliarden Franken. Weil die Umweltverbände das Referendum ergriffen haben, fällt der Entscheid am 24. November an der Urne.
Eine halbe Stunde lang kann der Verkehrsminister darlegen, warum es den Autobahnausbau aus seiner Sicht zwingend braucht: «Um den totalen Verkehrskollaps zu verhindern.» Auf drei Prozent des gesamten Strassennetzes zirkuliere 40 Prozent des gesamten Verkehrs, sagt Rösti. «Die Autobahnen sind die Schlagadern unseres Landes.» Er argumentiert etwa mit dem Ausweichverkehr, der Dörfer um die Engpässe stark belasten würden. Oder der Wirtschaft, die auf weniger Stau angewiesen sei.
Oft scheint es, als ob der Verkehrsminister in seinem Vortrag bereits auf allfällige Gegenargumente antwortet. Der Verlust an Ackerland? Ja, das sei bedauerlich. «Aber auch für die Landwirtschaft ist ein funktionierendes Strassennetz zentral.» Warum nicht den öffentlichen Verkehr ausbauen? Es brauche Strasse und Schiene. «Man sollte sie nicht gegeneinander ausspielen.» Mehr Strassen gleich mehr Verkehr? Falsch, es handle es sich nicht um neue Strassen, sondern nur um einen Ausbau von bestehenden. Die Kosten? Ja, die fünf Milliarden seien viel Geld, sagt Rösti. «Aber im Gegensatz zur Bahn trägt der Strassenverkehr seine Kosten selber.»
Der Auftritt vor den rund hundert Zuschauerinnen und Zuschauern ist ein Heimspiel für den Verkehrsminister. Rösti schüttelt Hände, lächelt in die Runde, posiert für Selfies. Und Moderatorin Martina Bircher kündigt an, ihr Interview mit dem Bundesrat werde kein heisser Stuhl à la SRF-«Arena», nein, ein Kaminfeuergespräch soll es werden. Die beiden Parteikollegen sitzen in weichen Polstersesseln, zwischen ihnen ein Tischchen mit Plastikkürbis und herbstlichem Blumenstrauss.
Bleibt in einer solchen Atmosphäre Platz für kritische Fragen?
Durchaus: SVP-Grossrat und Transportunternehmer Stefan Giezendanner kritisiert etwa die steigenden Abgaben für den Schwerverkehr. Ein anderer Zuschauer nervt sich über gesperrte Autobahnausfahrten im Kanton Uri, wenn er im Ferienstau vor dem Gotthard steht.
Doch der eigentliche Grund, warum die Umweltverbände das Referendum ergriffen haben, kommt nicht zur Sprache: der Klimawandel. Im Sommer 2023 hat das Schweizer Stimmvolk das Klimaschutzgesetz deutlich angenommen. Es verlangt Klimaneutralität bis 2050. Auch im Verkehr. Der Autobahnausbau steht für die Gegner im fundamentalen Gegensatz zum Volksentscheid.
Ruth Müri, Regierungsratskandidatin der Grünen, sagt etwa auf Anfrage: «Der Autobahnausbau widerspricht den Raumplanungs- und Klimazielen klar.» Der Ausbau sei viel zu teuer und kontraproduktiv, weil er mittelfristig nur neuen Verkehr verursache. «Zahlreiche Studien zeigen, dass ein Ausbau der Strassenkapazität zu einem proportionalen Anstieg des Verkehrs führt», so Müri.
Doch der einzige, der im Täfernhof die Klimaziele erwähnt, ist Rösti selber. Das Verhindern von Stau sei auch eine Klimaschutzmassnahme. «Weniger Stau bedeutet einen tieferen CO2-Ausstoss.»
Doch mit der letzten Frage aus dem Publikum wird die Umwelt doch noch angesprochen. Ein Mann mit weissem Kinnbart und wachem Blick steht auf und ergreift das Wort. «Bundesrat Rösti, Sie haben gesagt, dass der Strassenverkehr seine Kosten selber trage. Das Problem ist, dass dabei einige Umweltschäden entstehen. Wie gelten wir diese Kosten ab, die wir unseren Nachkommen hinterlassen?» Er nennt etwa den Pneuabrieb. Oder den Lärm.
«Natürlich gibt es externe Kosten», entgegnet Rösti. «Das gilt aber auch für die Eisenbahn.» Der Verkehr sei nun mal da, das könne er nicht ändern. Und die beste Massnahme gegen den Pneuabrieb, Lärm oder Emissionen sei das Verhindern von Stau. «Weniger Stau bedeutet einen tieferen CO2-Ausstoss.»
Röstis deutlichster Kritiker an diesem Abend heisst Hans Hauri und ist ein Umweltschützer der ersten Stunde. Seit der Gründung des Verkehrsclubs Schweiz (VCS) 1979 ist er Mitglied und setzt sich für nachhaltige Mobilität ein und setzt sich seither für nachhaltige Mobilität ein. Von 1980 bis 1984 stand Hauri dem VCS Aargau als Präsident vor.
Eine Viertelstunde später steht er auf dem Parkplatz vor dem Bürokomplex und sagt, solange man aus dem Egoismus der Jetztgesellschaft heraus denke, sei es schwierig, gegen Rösti anzukommen. «Er kennt seine Argumente und setzt sie gezielt ein.» Für ihn ist aber klar: «Wir hinterlassen unseren Nachkommen eine Wüste.» Warum er in seiner Frage an den Bundesrat den Klimawandel nicht erwähnt habe? «Nun ja, es ist ja eigentlich so offensichtlich.» (aargauerzeitung.ch/lyn)
Und jetzt will uns der Ölbert erklären, wir bräuchten zusätzliche Autobahnspuren und könnten auf den ÖV verzichten? Dumm, sehr dumm.