Könnte man eine Stadt umarmen, ich hätte es getan. Ich hätte Basel umarmt zum Abschied, und zwar so fest, dass dieser lustige Fleck am Rhein gar keine Luft mehr gekriegt hätte. Mit meiner Liebe hätte ich ihn erdrückt, weil er mir acht wundervolle Jahre lang ein Zuhause war.
Diese Worte hat mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben, als ich mit 21 Jahren St.Gallen verliess, um im verheissungsvollen Westen zu studieren. Sie hatte den Rhein im Kopf, als sie mir ihre Weisheit unterbreitete, diesen dreckigen Fluss, der voll sei von Chemikalien der Novartis, der Roche, und wie diese Konzerne alle heissen.
Es brauchte vier ganze Jahre, bis ich mich in den Rhein traute. Neben der befürchteten Unfruchtbarkeit war da noch die Vorstellung, dass man vielleicht auch Opfer von körperlicher Deformierung werden könnte, wenn man mit Rheinwasser in Berührung kommt. Dem ist nicht so.
Tilo Ahmels heisst der Mann, der verantwortlich ist für dieses eigentümliche Bild, das man im Sommer sieht, wenn man aufs Wasser schaut: Er hat den Wickelfisch erfunden. Ich habe immer gehört, Ahmels sei Student und megareich geworden wegen dieser Wahnsinnsidee mit dem wasserdichten Schwimmsack. Ich musste aber lesen, dass besagter Tilo 48 Jahre alt ist und darum wohl eher kein Student mehr, (auch nicht vor 13 Jahren, als sein Wickelfisch das Licht der Welt erblickte). Aber er war einmal Student in Leipzig. Und dann ist er in den 90er-Jahren nach Basel gekommen und hat den Baslern diesen legendären Schwimmsack beschert. Darin kann man seine Wertsachen verstauen und dann damit den Rhein hinuntersausen. Schwimmen tut man eigentlich nicht. Es ist mehr so ein Treiben. Und es ist ganz wunderbar.
Menschen setzen sich ja oft ans Wasser, wenn sie irgendeine Antwort suchen. Der Rhein ist dafür nicht geeignet. Unzählige Male hab ich das versucht. Aber er ist zu schnell. Man kann seine Gedanken auf seiner Oberfläche nicht ordnen. Er reisst alles auseinander. Und dann schafft er die Fetzen auf seinen kaffeetrüben Wogen fort. Den seelischen Abfall kann man also sehr gut im Rhein entsorgen. Und man muss sich auch keine Sorgen machen, dass er je wieder zurückkehrt. Die Chemie zersetzt alles restlos.
Adieu, lieber Rhein. Ich versuch's jetzt mal am Züri-See.
Basel hat sich unheimlich schnell wie mein Zuhause angefühlt. Das war so, weil diese Stadt so ziemlich alle, selbst St.Galler, liebevoll bei sich aufnimmt. Auch wenn ihre Einwohner das mit dem Dialekt immer und überall und stundenlang diskutieren wollen. Sie sind überzeugt davon, dass sie am allerwunderbarsten sprechen. Und das muss man ihnen dann auch sagen, sonst sind sie furchtbar verstimmt. Manche sogar tagelang beleidigt. Dazu kommt, dass sie fest daran glauben, am besten Hochdeutsch zu können. So völlig ohne Schweizer Akzent. Es gibt fast nichts, was weniger stimmt. Mit ihren eigentümlichen Vokalfärbungen bringen sie kein sauberes Hochdeutsch hin. Einfach nicht.
Aber dafür haben sie eigene lustige Sachen:
Adieu, Baseldeutsch. Am allerbesten hat mir allerdings immer der Dialekt im Laufental gefallen.
Meine vierte und letzte Basler Wohnung lag an der Bärenfelserstrasse. Die ist ganz nah am Rhein und ganz nah an der Friends Bar. Der strategisch absolut beste Punkt in ganz Basel. Die Friends Bar tröstet alle, die nach dem eigentlichen Ausgang noch immer in den Ausgang wollen. Alle «i will no nid heime go»-Menschen, alle «d'Nacht isch no jung»-Liebhaber, alle verlorenen Seelen, die sich gegen das unerbittliche Morgengrauen verschworen haben, sammeln sich hier und drängen sich um Mustafas Juke-Box. Nur wer den Trick kennt, hat eine Chance, sein Lied zu hören, denn immer haben schon 50 andere vor einem irgendeinen anderen Mist zusammengewählt. Und Mustafa steht seit Jahren gut gelaunt hinter dem Tresen. Irgendwann hat er sein Ziegenbärtchen abgeschnitten, das er immer so hübsch gezöpfelt hatte. Irgendwann frage ich ihn, warum er das getan hat.
Adieu, unersetzbare Friends Bar.
Ein anderer Ort, der mir liebevoll in Erinnerung bleiben wird, ist Mr. Müslüms New Point Bar. Das ist kein Füdlischuppen und auch kein Kebabladen. Es ist einfach eine heruntergekommene Knelle an der Elsässerstrasse. Dort habe ich manchmal einen Whiskey getrunken mit meinem guten Freund. Nicht, weil der Whiskey da besonders gut war, sondern wegen der Stammgäste. Jeden Abend war da ein steinaltes Ehepaar. Zumindest glaube ich, dass sie verheiratet waren, denn sie haben nie miteinander geredet. Das macht man nur, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat. Weil alles war zwischen denen schon gesagt. Also sassen sie einfach nur so da. Vor ihrem Bierstiefel, den sie miteinander teilten.
Adieu, Mr. Müslüms New Point Bar. Für dich gibt es vielleicht eine Alternative, aber ohne dieses rührende Pärchen.
Das Paddys darf natürlich auch nicht unerwähnt bleiben. Immer bumsvoll. Und immer bumsvoll mit sturzbetrunkenen und grölenden Menschen. Auf eine Frau kommen gefühlte (und man fühlt sie wirklich, es ist sehr eng da drin) 57 Männer. Das ist der Irish Pub, bei dem auch die Hells Angels ihre von Motorenöl verschmierten Finger drin haben. Lustig war es da, bis ich irgendwann zu alt wurde. Aber bevor ich zu alt wurde, durfte ich dort zuerst noch den lustigsten Iren überhaupt kennenlernen. Er hiess Padraig und wo immer er ging, machte er den Spagat. Und das trotz seiner Fülligkeit. Er tanzte wie ein Gott und trank niemals Alkohol. Er kam von Limerick, und weil da alle Alkoholiker seien, sei er dem Zeug nie besonders friedselig gegenübergestanden. Im Sommer ging er manchmal zurück nach Hause, um «shelves» zu bauen, wie er sagte. Vielleicht für die vielen Flaschen, die dort getrunken werden.
Adieu, Paddys. Schön war die Zeit.
Sie geistert durch die Gassen der Stadt und schwebt den Gängen der Uni Basel entlang. Sie ist überall und nirgends. Und sie grinst. Immer. Die «Grinsefrau» ist ein sehr mysteriöses Wesen. Man erzählt sich, sie wolle die Energie der Menschen einfangen. Sieht man sie, streckt sie die Arme aus und dreht sie so, dass die Handinnenflächen zu sehen sind. Es ist irgendwie beängstigend. Aber ich glaube, sie meint es gut.
Adieu, Grinsefrau.
Seit einer Woche wohn ich jetzt in Zürich. Meine Mutter freut das, denn die Zürcher haben nicht so viel Chemie und sind darum sehr zeugungsfähig. Ich glaube allerdings nicht, dass es nur darauf ankommt.
Eine rührende, unterhaltsame Liebeserklärung, welche Lust macht die Stadt der unfruchtbaren kennenzulernen. Danke
Herzlich Regina