Die Eingangstüre ist offen. Trotzdem wird der Besucher gebeten, zu klingeln. Damit der Besitzer weiss, dass jemand hereinkommt. Es ist nämlich nicht ganz einfach, Peter W. Imhof (75) im Reich seiner Bücher im Parterre und hinter den Regalen auf vier Stockwerken zu finden.
Er hat die alte Mühle in Zollbrück bei Langnau 2013 in Miete übernommen. In diesem Jahr sind damals die SCL Tigers abgestiegen. Aber das nur nebenbei.
In dieser alten Mühle lagern inzwischen eine halbe Million Bücher. Peter W. Imhof sagt:
Weil einst in den Mühlen Mäuse hausten – es gab ja reichlich Kornsäcke zum Annagen –, musste Peter W. Imhof beim Einzug erst den Kammerjäger kommen lassen. «Seither habe ich Ruhe.»
Die Bitte, doch zu klingeln, hat einen besonderen Grund. Die Brandversicherung hat Peter W. Imhof inzwischen zur Auflage gemacht, allen Besucherinnen und Besuchern die Fluchtwege aus den verschiedenen Stockwerken zu zeigen. Also fahren wir mit dem Lift Stockwerk für Stockwerk nach oben, und geduldig erklärt mir der Herr des Hauses, wo die Treppen und sonstigen Fluchtwege sind – zwei aus einem Fenster –, wenn es brennen sollte.
1944 ist die alte Mühle gebaut worden. Bis 2010 wird hier Getreide gemahlen. Aber heute rentieren die kleineren Mühlen nicht mehr. Die Landi Region Langnau – sie gehört zum Agro-Konzern Fenaco – hat das Gebäude an Peter W. Imhof vermietet. Zu einem vernünftigen Mietzins von rund 15'000 Franken im Jahr.
Aber nun ist die alte Mühle an einen Immobilien-Investor verkauft worden. Der will das Gebäude abreissen und Peter W. Imhof sollte bis Ende Oktober ausziehen. Dieser sagt, den Termin könne er nicht einhalten. Er hoffe, bei anstehenden Verhandlungen wenigstens eine Fristerstreckung zu bekommen. Nach wie vor habe er keinen neuen Standort gefunden. 1000 Quadratmeter müssten es schon sein. Und zu einem vernünftigen Preis.
Der Umzug – wenn er denn einen neuen Standort findet – wird eine gewaltige Aufgabe, die er allein nicht bewältigen kann. Wegen eines Augenleidens ist seine Schaffenskraft beeinträchtigt, und er sollte nicht zu schwere Lasten schleppen. Es ist die Suche nach einem neuen Standort und helfenden Händen.
Alles ist offen und das Ende dieser wunderbaren Bücher-Geschichte nicht ausgeschlossen. Wir können es polemisch auch so sagen: Profitgier bedroht eine kulturelle Institution.
Kulturelle Institution? Ja, das ist die Büchermühle geworden. Also eine Einrichtung mit gesellschaftlicher und kultureller Bedeutung. Das wird dem Besucher schnell klar. Es ist eng in der Büchermühle. Kein Ort für Menschen mit Platzangst. Aber es ist eine geordnete Enge. Kein Chaos.
Zwar sind nicht ganz alle Bücher registriert und eingeordnet. Es stehen einige Bananenschachteln voller Bücher herum, die noch nicht einsortiert sind. Was auf den ersten Blick überwältigend, fast chaotisch wirkt, ist in Tat und Wahrheit nach verschiedenen Sachgebieten wohlgeordnet und auf der Webseite www.buechermuehle.ch ist ein grosser Teil digital erfasst. Von Religion über Sport bis Militär und verschiedene geschichtliche Epochen. Abteilungen für Garten, Pflanzen, Länder oder technische Sparten.
Beispielsweise sind Bücher zur Schweiz nach Regionen und sogar Städten und Gemeinden aufgeteilt. Wer beispielsweise ein Buch zur Geschichte von Huttwil sucht – ein Städtchen mit rund 5000 Bewohnenden im bernischen Oberaargau – wird nach ein paar Minuten fündig.
Bücher zu einem Thema, zu dem es bloss rund zehn Exemplare gibt, sind in ein paar Minuten gefunden: Wahrlich, hier ist es problemlos möglich, die Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Die Literatur ist nach verschiedenen Epochen und natürlich berühmten Dichtern geordnet.
Die Abteilung über Jeremias Gotthelf ist quantitativ, aber auch qualitativ so umfangreich, dass sich eigentlich die Verantwortlichen des Gotthelf-Zentrums im nahen Lützelflüh intensiv um diesen literarischen Schatz bemühen müssten.
Peter W. Imhof lebt von seiner Rente, und mit dem Verkauf der Bücher kann er knapp die Miete bestreiten. Aus rein privater Initiative ist mit der Büchermühle ein Kulturgut mit internationaler Ausstrahlung geschaffen worden. Am Tag meines Besuches ist auch ein älterer Herr aus Deutschland da.
Im Gespräch stellt sich heraus: Er ist ein pensionierter Hochschuldozent aus Göttingen und kommt aus dem Staunen nicht heraus. In Deutschland gebe es keine vergleichbare Büchersammlung, und er schaue hier ab und zu vorbei. Dass sich weder private Gönner noch kulturelle Institutionen oder die lokale Politik um einen Erhalt der Büchermühle bemühen, wie beispielsweise um die SCL Tigers, ein anderes emmentalisches Kulturgut, ist eigentlich ein Kultur-Skandal.
Wenn niemand darüber berichtet, wird kaum eine Lösung gefunden.
Der Besuch ist mehr als ein Besuch, es ist ein Erlebnis! Schweiz eben.
Man sucht ein Buch und findet viele Bücher. Nur nicht DAS Buch. Oder vielleicht doch? Es gibt so unendlich viel zu entdecken. Und vielleicht hört man irgendwo ein Jubel: Juhuuuuuuuu, ig has gfunge! Und man freut sich für diese Person, als ob man selber fündig geworden wäre…
Ich bin stolz, dass ich dieses Juwel in diesem Jahr gefunden habe!!
So schön, gibt es solche etwas verrückten Ecken in der Schweiz! Schweiz eben!
Merci 1000! Und bitte bleibt uns doch erhalten!