In der Schweiz aus der Tourismus-Werbung lebt die Bevölkerung in Alphütten und Chalets. Die Realität hingegen besteht für die meisten Menschen aus Wohnblocks mit Waschküchen-Ordnung und einem jährlichen Mietzins in der Höhe eines Neuwagens. Etwa jeder siebte Einwohner lebt in einer der sechs Grossstädte mit über 100'000 Einwohnern, drei Viertel der Bevölkerung im urbanen Raum.
Mit der Coronakrise schien sich das wieder zu ändern. Plötzlich schrumpften viele Städte. Mit Massnahmen wie der Homeoffice-Pflicht sehnten sich Menschen nach mehr Wohnfläche, erklärte der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried im August 2021 das Phänomen gegenüber CH Media.
Nun liegen die definitiven Bevölkerungszahlen für die letzten beiden Jahre vor. Sie zeigen: Nur die Städte Bern und Genf verloren zwischen Ende 2019 und Ende 2021unter dem Strich Einwohner. Winterthur wuchs um über 1.5 Prozent, Luzern legte um fast 1 Prozent zu. St. Gallen, Lausanne, Zürich und Basel verzeichneten Wachstumsraten zwischen 0.5 und 1 Prozent.
In absoluten Zahlen am meisten zugelegt hat mit einem Plus von 2'324 Einwohnerinnen und Einwohnern Zürich. Es folgen Winterthur (+1797), Basel (+905), Lausanne (+878), Luzern (+783) und St. Gallen (+489). Weniger Einwohner als Ende 2019 haben hingegen Bern (-124) und Genf (-861).
Für Genf liegen die Zahlen erst bis Ende September 2021 vor. Dass die Stadt am untersten Ende der Liste liegt, überrascht nicht. Etwa die Hälfte der Bevölkerungsverluste geht auf Ausländerinnen und Ausländer zurück – also etwa Studierende, die wegen digitalen Vorlesungen nicht in die Stadt kamen oder Mitarbeiter von UNO & Co., die während der Pandemie ihren Zuzug verschoben.
Der zweite Grund für das Schrumpfen der Westschweizer Metropole ist, dass es zu vielen Wegzügen in die Agglomeration gekommen ist. Vorortsgemeinden wie Vernier, Pregny-Chambésy oder Cologny legten auch während der Pandemie kräftig zu, wie Daten des Kanton Genf zeigen.
Dieses Phänomen hat auch die Bundesstadt beobachtet – neben einer für Bern spezifischen Abnahme des diplomatischen Personals. «Die Wegzüge verzeichneten in vielen Monaten sehr hohe Werte», schrieb Thomas Holzer, Bereichsleiter Statistik der Stadt Bern letztes Jahr in einem Beitrag für den Städteverband.
Von einer Stadtflucht könne man nicht sprechen, aber es stelle sich die Frage, ob das Bevölkerungswachstum in den Städten als Folge der Pandemie in den nächsten Jahren gedämpft werde. Die Entwicklung des Homeoffice werde eine wichtige Rolle spielen. Den Wunsch nach mehr Wohnraum erfüllten sich die meisten in der Agglomeration, sagte Stadtpräsident von Graffenried.
Diese Entwicklung zeigt sich auch im Vergleich der Wachstumsraten der Städte und der Schweiz. Definitive Zahlen für das Jahr 2021 liegen noch nicht vor. Bekannt ist, dass die Bevölkerung im ganzen Land zwischen Ende 2019 und September 2021 um 1.3 Prozent zugenommen hat.
Nur gerade Winterthur mit 1.6 Prozent Wachstum dürfte gleich oder stärker gewachsen sein wie die Schweiz. Das liegt an vergleichsweise tiefen Mieten, einer regen Neubautätigkeit und einer hohen Attraktivität dank der Nähe und der Anbindung zum Wirtschaftsraum Zürich.
Andere Städte hingegen wurden gebremst. Zürich hatte etwa vor der Pandemie noch mit einem Plus von 8'000 Einwohnerinnen und Einwohner pro Jahr gerechnet. Ähnlich sieht es im Kanton Basel-Stadt aus: Dieser hatte in seinem mittleren Bevölkerungsszenario noch im Sommer 2021 prognostiziert, dass er Ende Jahr rund 850 Einwohnerinnen und Einwohner mehr zählen würde als es nun der Fall ist.
Die These, dass Städte weniger gefragt sind, trifft trotzdem nicht zu. Denn das Wachstum konzentriert sich nun in zentrumsnahen, urbanen Gemeinden. Im Kanton Zürich zeigt sich das beispielhaft. Ein starkes Wachstum verzeichneten letztes Jahr an die Stadt Zürich grenzende Gemeinden wie Fällanden (+4.6%), Uitikon (+4.7%) oder Dübendorf (+2.1%).
Dieser Trend ist seit Jahren zu beobachten. Zwischen 2010 und 2021 legten im Kanton Zürich in absoluten Zahlen neben Zürich und Winterthur Dübendorf und Opfikon am stärksten zu. Beide Gemeinden grenzen an die Stadt Zürich. Eine klar erkennbare Siedlungsgrenze gibt es nicht, die Orte sind neben der S-Bahn auch mit Tramlinien erschlossen.
Solche Orte wachsen nicht wegen der Flucht aufs Land, denn ländliche Qualitäten können auch sie nur eingeschränkt bieten. Stattdessen sind sie eine Art Überlaufventil, denn in den Städten sind freie Wohnungen noch immer Mangelware.
Das zeigt ein Blick auf die Leerwohnungsziffer. In Zürich lag sie im Juni 2021 bei 0.17 Prozent, in Winterthur bei 0.4 Prozent. In Bern war sie mit 0.54 Prozent tiefer als im Jahr zuvor. Genf und Lausanne kamen auf 0.7 Prozent. In Basel und Luzern lag der Wert bei 1.1 Prozent, nur in St. Gallen war die Situation mit einer Ziffer von 2.7 Prozent entspannter.
Gleichzeitig steigen die Mietpreise in den Städten weiter. In der Stadt Zürich sanken sie laut dem Mietpreisindex nur zwischen Juli 2020 und November 2020 geringfügig und sind seither wieder im Aufwärtstrend. Gleichzeitig wird in den Städten weniger gebaut als in Agglomerationen, weil weniger Bauland zur Verfügung steht.
Mit der Coronakrise trifft das kleine, teure Angebot in den Städten nun auf den vermehrten Wunsch nach einer grösseren Wohnung. Wer im Zentrum nicht fündig wird, erfüllt sich diesen Traum in der Nähe. Die Städte sterben also nicht, sie dehnen sich nur aus. (saw/aargauerzeitung.ch)
Dennoch, was hat sich gross geändert? Manche werden merken dass auf dem Land auch nicht alles grün ist und die Städte bleiben weiterhin attraktiv, da das Home Office eben dennoch nicht flächendeckend kommt, auch aus guten Gründen.
Ich lebe gerne in der Stadt, auch mit etwas weniger Platz, dafür alles fast direkt vor dem Haus (+Natur) ohne dass ich ein Auto benötige.