Visuelle Weltreise an der Fassade des Bundeshauses – doch ein Land fehlt
Von Bern zum Eiffelturm nach Paris, weiter zu den Pyramiden von Gizeh, dann zum Taj Mahal in Indien: In 30 Minuten führt die Lichtshow Rendez-vous Bundesplatz um die Welt und projiziert bekannte Wahrzeichen auf die Fassade des Bundeshauses.
Was die Besuchenden nicht wissen: Auf eine Destination mussten die Organisatoren verzichten. «Es hiess, Tibet sei zu politisch, bereist doch ein anderes Land», sagt Brigitte Roux, die Organisatorin der Lichtershow Rendez-vous Bundesplatz. «Und dann ging die Reise halt nach Thailand», so Roux weiter. Das sei früh genug im Herstellungsprozess gewesen, der Tausch des Reiseziels war kein Problem. «Wie bei den anderen Motiven auch, wollten wir eigentlich Monumente und Wahrzeichen Tibets zeigen», erklärt Roux.
In der Show erscheint jetzt ein thailändischer Buddha - die Besucherinnen und Besucher landen in Thailand statt in Tibet. Noch bis zum 22. November wird die Lichtshow täglich aufgeführt. Immer um 19, 20 und 21 Uhr. Die Aufführungen dauern jeweils eine halbe Stunde.
Gegen eine Reise nach Tibet
Interveniert hat die Verwaltungsdelegation der Parlamentsdienste. Sie untersagte den Halt in Tibet und bewilligte darum die erste Version des Storyboards nicht. Erlaubt seien nur Projektionen «ohne politische Absichten», heisst es seitens der Parlamentsdienste.
«Mit Tibet werden politische Fragen assoziiert, insbesondere da es sich um eine Projektion an die symbolträchtige Fassade des Parlamentsgebäudes handelt», schreiben die Parlamentsdienste auf Anfrage weiter.
«Das ist ein Einknicken des Parlaments»
Der Entscheid sorgt für Kopfschütteln: «Es ist ein Einknicken des Parlaments gegenüber dem Begehren Chinas», sagt Fabian Molina, Co-Präsident der parlamentarischen Gruppe Tibet. «Zudem ist es eine Beschneidung der Kunstfreiheit, wenn tibetische Landschaft und Kultur in der Bundesstadt nicht gezeigt werden dürfen», so Molina weiter. Er kann nicht verstehen, was problematisch daran ist, wenn Besucherinnen und Besucher visuell in die tibetische Kultur eintauchen.
«Tibet aus chinesischer Perspektive ist immer eine politische Angelegenheit», sagt Ralph Weber, der Professor für European Global Studies an der Universität Basel. Der Bund wisse, dass man sich bei Angelegenheiten in Bezug auf Tibet die Finger verbrennen könne, so Weber. China versuche das Narrativ über Tibet zu kontrollieren und reagiere auf allerlei, was der Linie der Kommunistischen Partei nicht entspricht, führt der China-Experte aus.
«Die Sache ist bemerkenswert ironisch», meint Weber. «Vermutlich hätte man mit den Projektionen die landschaftliche Schönheit Tibets gezeigt – Bilder, die China so wohl auch zeigen würde und eigentlich den Propagandabemühungen entsprechen.»
Es stelle sich die grundlegende Frage, inwiefern das Parlament dadurch den Willen anderer Länder nicht nur akzeptiert, sondern auch Folge leiste, sagt Weber.
Zusammenfassend sagt der Wissenschaftler: «Wenn die offizielle Schweiz diesem sensiblen Thema so begegnet, dass man es für «zu politisch» deklariert, dann heisst das übersetzt, dass man sich dafür entschieden hat, den Interessen der Volksrepublik im vorauseilenden Gehorsam Priorität einzuräumen.»
Interessen Chinas beeinflussen die Unterstützung Tibets
1950 setzte China der Autonomie Tibets ein Ende und unterwarf die gesamte Region seiner Kontrolle. Die wachsende Unzufriedenheit der Tibeterinnen und Tibeter über die zunehmende Unterdrückung endete 1959 schlussendlich in einer Revolte. Der Dalai Lama, das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, flüchtete ins Exil nach Indien, gefolgt von zahlreichen Anhängerinnen und Anhängern. Im September 1965 gründete China die autonome Region Tibet. Eine autonome Verwaltung der ethnischen Minderheit existiert in der Praxis nicht. Die chinesische Zentralregierung herrscht über das Gebiet.
Die Beziehung zu Tibet stand zunächst im Zeichen von humanitärer Hilfe, als die Schweiz in den Sechzigerjahren tausende Geflüchtete aufnahm. Es folgte prompt die Reaktion des chinesischen Botschafters. Er beschwerte sich beim Aussendepartement, dies sei eine politische Aktion gegen China. Seither ist die Beziehung mit Tibet belastet, immer wieder musste sich der Bundesrat rechtfertigen, er verwies jeweils auf die humanitäre Tradition der Schweiz.
Auch wenn die Schweiz die tibetische Gemeinschaft kulturell und humanitär unterstützt, erkennt sie Tibet offiziell als Teil Chinas an. «Je bedeutender die Wirtschaftsbeziehungen zu China werden, desto weniger wird die Unterstützung der tibetischen Sache und der damit verbundenen Werte», beobachtet Ralph Weber.
Immerhin: Beim Lichtspektakel auf dem Bundesplatz in Bern kommt nicht nur Tibet nicht vor, auch China wird nicht gezeigt.
