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Oeschinensee: Ein Tag am Tourismus-Hotspot der Schweiz

Oeschinensee
Ein Tag am Oeschinensee: Das war schon lange ein Ziel.Bild: Kilian Marti

Overtourism-Hotspot Oeschinensee: 7 Dinge, die mir aufgefallen sind

Der Oeschinensee gilt als einer der schönsten Orte der Schweiz – und zeigt, was Massentourismus in den Bergen bedeutet. 7 Punkte, die mir bei einem Tagesausflug aufgefallen sind.
26.08.2025, 18:0826.08.2025, 18:08
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Ich hatte den Oeschinensee oberhalb von Kandersteg schon seit 2018 auf meiner Bucketlist – lange bevor er zum Social-Media-Hotspot wurde.

Mittlerweile verspricht der Bergsee Influencern Millionen Klicks: Der Hashtag #Oeschinensee zählt fast 20’000 Clips auf TikTok, einzelne Videos sind bereits über 70 Millionen Mal geschaut worden.

Diesen Sommer wollte auch ich den türkisblauen See sehen, der von steilen Wiesen, Gletschern und schneebedeckten Gipfeln umrahmt ist. Mit diesem Plan war ich wohl nicht allein. Der Tagesausflug zum Oeschinensee hat mir vor Augen geführt, was Massentourismus in den Bergen bedeutet.

Verkehrschaos im Tal

Von Zürich fährt man mit dem Zug via Bern bis zum Bahnhof in Kandersteg. Von dort dauert es noch 15 Minuten zu Fuss oder 5 Minuten mit dem Bus zur Gondelbahn. Ich musste eine bestimmte Gondel erwischen und entschied mich deshalb für den rappelvollen Bus, mit einem Stehplatz direkt neben dem Chauffeur.

«Ist der Bus an einem Montagmorgen immer so voll?», fragte ich ihn. «Immer», meinte er. Und fügte an: «Am Wochenende ist es noch schlimmer. Oft dauert die Busfahrt länger als der Fussweg. Das Problem sind aber nicht die ÖV-Nutzer, sondern die SUVs, die unser Dorf verstopfen.»

Oeschinensee
Dauert fünf Minuten: Bus vom Bahnhof bis zur Bergbahn.Bild: Kilian Marti

Und tatsächlich sieht man schon weit vor der Talstation eine Autokolonne, in der jeder wartet, einen Parkplatz zugewiesen zu bekommen.

Kandersteg im Dauerstau. Ironisch, dass der oberste Verkehrsminister der Schweiz hier aufgewachsen ist: Bundesrat Albert Rösti, ein erklärter Fan des Individualverkehrs. «Er könnte hier wirklich mal was machen», sagte der Chauffeur und schmunzelte.

Bundesrat Albert Roesti posiert fuer die Fotografen an einem Sommergespraech in seiner Heimatregion, am Mittwoch, 10. Juli 2024, im Oeschinensee, in Kandersteg. Der Vorsteher des Departements fuer Umw ...
Posiert vor dem Oeschinensee: Bundesrat Albert Rösti.Bild: keystone

Gondelbahn nur mit Reservation

Dass ich eine bestimmte Gondel erwischen musste, hatte einen Grund: Ich buchte das Billett von Zürich bis zur Bergstation Oeschinen am Abend vor dem Ausflug in der SBB-App. Dort stach mir etwas ins Auge: «Reservation für Oeschinengondel dringend empfohlen.» So etwas hatte ich für eine Gondelbahn noch nie gelesen. Die Hin- und Rückfahrt mit der Gondelbahn kostete ohnehin bereits 35 Franken ohne Halbtax. Die ganze Strecke von Zürich bis zur Bergstation 195 Franken. Wollten die noch mehr Geld von mir?

Und tatsächlich zeigte ein Blick auf die Website der Bergbahn, dass es «in der Sommersaison notwendig ist, neben dem ÖV-Ticket ein Zeitfenster für die Bergfahrt zu reservieren.» Ohne Reservation könne es zu Wartezeiten kommen – und in «Ausnahmefällen ist eine Beförderung nicht (!) möglich.» Diese Regelung gilt erst seit diesem Jahr.

Obwohl mich das Easyjet-Feeling störte, dass ich alles noch dazubuchen musste, um überhaupt meine Reise starten zu können, tat ich es. Zum Glück gab es für eine Bergfahrt zwischen 10 Uhr und 12 Uhr noch 80 freie Tickets, zwischen 12 und 14 Uhr war bereits alles ausgebucht. 5 Franken kostete mich die Reservation.

Freizeitpark-Feeling

Nach 10 Minuten Fahrt in der Gondel erreichte ich die Bergstation. Hier, auf 1680 Metern über Meer, hatte ich das Gefühl, ich wäre gerade im alpinen Disneyland angekommen. Es gibt Frozen Iced Coffee, eine Rodelbahn, Menschen mit Selfiesticks und sogar einen kleinen Bus und ein Elektrotaxi, welche die Touristen direkt ans Ufer des Oeschinensees fahren.

Eine Informationstafel vor der die instabilen Flanke des Spitze Stei, fotografiert oberhalb vom Oeschinensee bei Kandersteg, am Samstag, 9. August 2025. Das Dorf Kandersteg ist durch einen moeglichen  ...
Was man alles machen kann im alpinen Disneyland: Eine Karte weist darauf hin.Bild: keystone

20 Minuten würde es dauern, die rund 1,6 Kilometer perfekt präparierten Kiesweg von der Bergstation bis zum Seeufer zu laufen, sagt Google Maps. Doch das Taxi-Geschäft läuft: Ich sehe viele Touristinnen und Touristen mit Kinderwagen, Flipflops oder einfach wenig Lust zum Laufen, die für 10 Franken pro Fahrt in die zwei Shuttlebusse einsteigen.

Den Shuttlebussen muss man dann als Wanderer immer ausweichen, weil sie alle paar Minuten an einem vorbeifahren.

Warteschlangen auf den Wanderwegen

Mein Ziel war der Rundweg Heuberg, weil man von dort aus die beste Aussicht auf den Oeschinensee haben soll: acht Kilometer Strecke, 400 Höhenmeter, offiziell rund drei Stunden. Zu Beginn der Route warnen Schilder: gutes Schuhwerk, kein Kinderwagen, Steinschlaggefahr.

Der Panoramaweg ist stellenweise so schmal, dass sich zwei Personen nicht kreuzen können. Also bleibt man ab und zu an einer breiteren Stelle stehen, lässt eine Gruppe vorbeiziehen – und hört dabei fast ausschliesslich «Thank you». Kein «Danke» oder «Merci».

Wie eine Wanderung fühlte sich das nicht mehr an. Eher wie eine Warteschlange im Zickzack. So gross war die Masse an Touristen, die mir entgegenkam. Und als sich dann noch ein Mountainbiker durchzwängte – obwohl Radfahren im Oeschinenseegebiet ausdrücklich verboten ist –, war das Chaos perfekt.

Oeschinensee
Mittendrin ein «illegaler» Velofahrer: Rundweg Heuberg oberhalb des Oeschinensees.Bild: Kilian Marti

Selfie-Mutprobe am Abgrund

Entlang des Panoramawegs gibt es immer wieder Bänke, die zum Verweilen einladen würden. Wäre da nicht das Dauer-Shooting.

Neben meinem Mittagsrastplatz inszenierten zwei englischsprachige Männer gerade das perfekte Erinnerungsfoto. «One more step», rief der eine mehrmals, und trieb den anderen immer näher an den Abgrund. Mit diesem Treiben waren die beiden nicht die Einzigen. Auf dem ganzen Wanderweg beobachtete ich ständig, wie Touristen möglichst auf dem letzten Absatz vor dem Abgrund posierten. Es wirkte wie eine Mutprobe: Wer wagt sich am weitesten vor für das perfekte Selfie?

Selbst wer keine Pausen auf den Bänken einlegt, kann sich dem Fotoshooting-Zwang nicht entziehen. Ich behaupte: Jede und jeder, der oder die den Rundweg macht, wird mindestens einmal gebeten, ein Foto für jemanden zu schiessen.

Oeschinensee
Die guten Seiten: Ich habe Fotos für Touristen gemacht und im Gegenzug auch ein tolles Bild erhalten. Bild: kilian marti

In Flipflops auf dem Alpen-Catwalk

Viele Menschen verwechseln die Wanderung am Oeschinensee anscheinend auch mit einem Laufsteg. Der Panoramaweg wirkt teils wie eine Modenschau für alle Sorten von Schuhen, die es gibt. Von Hightech-Bergstiefeln über brandneue weisse Sneakers bis zu abgetragenen Flipflops oder Sandalen ist alles zu sehen.

epa12291325 Tourists walk above the Oeschinen Lake (Oeschinensee), located at 1,578 meters above sea level, on a very hot summer day, above Kandersteg, in the Bernese Oberland, Switzerland, 09 August  ...
Touristen am Oeschinensee: Nicht alle tragen die empfohlenen Bergschuhe für den Panoramaweg.Bild: keystone

Obwohl die Bergbahnen auf ihrer Website klar empfehlen, Bergschuhe für den Panoramaweg zu tragen.

Dass diese Schuh-Experimente nicht immer gut ausgehen, konnte ich am Nachmittag gleich live beobachten.

Rega-Einsatz

Auf dem Weg hinunter zum See machte ich beim Berghaus Unterbärgli eine Pause. Plötzlich tauchte ein Rega-Helikopter auf, schwebte über einem Felsen wenige Meter von der Hütte entfernt und setzte einen Arzt ab. Der eilte zu einer Frau, die am Boden sass. An ihren Füssen: weisse Sneakers.

Oeschinensee
Rettung mit dem Helikopter: Am Nachmittag konnte ich einen Rega-Einsatz beobachten.Bild: Kilian Marti

Während der Heli kurz auf einer flachen Stelle weiter unten landete, untersuchte der Arzt die Frau, die sich anscheinend am Fuss verletzt hatte. Es ging ihr zum Glück gut genug, sodass sie mit ihm ein paar Meter den Hang hochhumpeln konnte. Dort wurden beide wieder in den Helikopter eingeladen und flogen davon.

Ich fragte die Wirtin, ob solche Rega-Einsätze Alltag seien am Oeschinensee. Sie zuckte nur mit den Schultern. Dann sagte sie: «Wenn man bedenkt, mit was für Schuhen die Leute hier hochlaufen, dann sind es weniger Rega-Einsätze, als man erwarten würde.»

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129 Kommentare
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mitchfuchs
26.08.2025 18:25registriert Mai 2020
2018 war lange bevor der Oeschinensee zum Hotspot wurde? Genau mein Humor. Wolltest du versuchen, dich rechtzufertigen, warum du zum Massentouri wurdest, obwohl du glaubst, du seist keiner😉
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Schlaf
26.08.2025 18:24registriert Oktober 2019
«Die Hin- und Rückfahrt mit der Gondelbahn kostete ohnehin bereits 35 Franken ohne Halbtax. Die ganze Strecke von Zürich bis zur Bergstation 195 Franken.»

195 Stutz…
4 Personen wollen von Zürich an die Bergstation.
Warum die wohl nicht überlegen, mit dem Zug dahin zu fahren, wenn jemand davon ein PW hat und die Prüfung dazu🤷🏼‍♂️

Es steht einfach in keinem Verhältnis.
Auch mit Halbtax.
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FeyssPalmer
26.08.2025 18:27registriert Dezember 2024
Am schönsten ist der Oeschinensee dort, wo es für die meisten zu anstrengend wird oder gewöhnliche Tagestouristen aus Zeitgründen nicht hingelangen.

An den Schuhen muss es nicht liegen, Trittsicherheit ist vor allem eine Frage der Fitness und Erfahrung. Der Heuberg ist für gewisse Leute auch mit bestem Schuhwerk zu anspruchsvoll und gefährlich . Für andere in Trail-Schuhen kein Problem…
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