Die Entwicklung der Corona-Lage in der Schweiz ist derzeit schwierig einzuschätzen. Die USA stufen die Schweiz aufgrund steigender Infektionszahlen bereits als Corona-Risikoland der Stufe vier ein. Das ist die höchste Warnstufe.
Hauptgrund für den Anstieg dürfte die tiefe Durchimpfungsrate sein. Das Problem sei, dass das Virus besonders unter den Ungeimpften sehr schnell zirkuliert. Der Bundesrat hat darauf reagiert und letzte Woche mögliche Massnahmen den Kantonen vorgelegt. Die Kantone hatten bis Montag Zeit, Stellung zu beziehen.
Heute wird entschieden, welche Massnahmen in Zukunft gelten. Wie diese Massnahmen aussehen könnten, wer sich dafür und dagegen ausspricht – und was sonst noch gefordert wird:
Der Bundesrat hat den Kantonen vorgeschlagen, die heute in Diskotheken und Tanzlokalen bestehende Zertifikatspflicht auf alle Innenbereiche von Restaurations-, Bar- und Clubbetrieben auszudehnen. Davon ausgenommen sind Terrassen sowie Aussenbereiche.
Die Zertifikatspflicht soll für Gäste, nicht aber für das Personal gelten. Für diese gilt weiterhin eine Maskenpflicht. Nur wenn sämtliche Mitarbeitenden die Zertifikatspflicht erfüllen, dürfe auch das Personal auf die Maske verzichten.
Ausserdem soll das Covid-Zertifikat auch bei Veranstaltungen in Innenbereichen wie Konzerte, Theater, Kino, Sportveranstaltungen und Privatanlässen wie Hochzeiten eingeführt werden.
Auch der Eintritt in Museen, Zoos, Fitnesscentern, Kletterhallen, Hallenbäder, Aquaparks, Thermalbäder, Billardhallen oder Casinos soll nur noch mit Zertifikat erlaubt sein.
Aus Gründen des Grundrechtsschutzes sind religiöse Veranstaltungen, Bestattungen sowie Anlässe zur politischen Meinungsbildung bis maximal 30 Personen von der Zertifikatspflicht ausgenommen. In Innenbereichen gilt weiterhin eine Maskenpflicht.
Übernachtungen im Hotel sollen nicht unter die Zertifikatspflicht gestellt werden, da die Nutzung von Hotels auch Personen offen stehen sollen, die kurzfristig keinen Zugang zu einem Test haben. Beim Hotelrestaurant hingegen soll die Zertifikatspflicht gelten.
Die generelle Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen, Läden sowie im öffentlichen Verkehr soll weiterhin gelten.
Der Tourismuskanton Graubünden forderte in seiner Antwort die Ausweitung der Zertifikatspflicht auf den ÖV, für Einkaufsläden und die Arbeitswelt. «Alles oder nichts», lautet die Devise. Die Bündner stehen mit ihrer Forderung aber ziemlich alleine da. Die anderen Kantone fordern erst eine Ausweitung der Zertifikatspflicht, wenn eine Überlastung der Spitäler drohe.
Eine weitere Forderung kommt aus der Westschweiz. Der Bundesrat solle prüfen, wie Restaurants, Clubs und sonstige Institutionen entschädigt werden könnten, wenn deren Umsätze wegen der Zertifikatspflicht einbrechen.
Das ist der viel diskutierte Punkt. Der Bundesrat hat durchsickern lassen, dass er die Ausweitung des Zertifikats erst in Kraft setzen möchte, wenn eine Überlastung des Gesundheitswesens droht. Wann er die Spitäler als überlastet sieht, dazu hat er keine Angaben gemacht. Vor einigen Wochen gab er 120 Hospitalisierungen pro Tag als kritische Grösse an. Derzeit sind wir bei 54. Allerdings werden bereits jetzt in einzelnen Spitälern Operationen verschoben.
Am Dienstagabend berichteten Blick und Tagesanzeiger, dass sich der Bundesrat mit einem definitiven Entscheid noch Zeit lassen werde. Grund dafür: Die Hospitalisationen steigen doch nicht so schnell, wie noch letzte Woche befürchtet.
Deswegen werde Gesundheitsminister Alain Berset seinen Bundesrats-Kollegen am Mittwoch noch keinen Antrag auf Ausweitung der Zertifikatspflicht unterbreiten. Wie der Bundesrat entscheidet, wird sich am Mittwochnachmittag zeigen.
Auf politischer Ebene stimmen alle Parteien ausser der SVP der Ausweitung der Zertifikatspflicht als Schutz vor einer Überlastung des Gesundheitswesens zu.
Auch die Kantone folgen – soweit bekannt – dem Bundesrat. Grundsätzlich ist keiner der Kantone der vorsorglichen Ausdehnung abgeneigt. Die meisten Kantone sprechen sich jedoch nur für eine Verschärfung aus, sofern es aufgrund der Hospitalisierungen keine andere Option gibt. Zusätzlich wünscht man sich einheitliche Regeln, sodass kein kantonaler Flickenteppich entsteht.
Abgelehnt wird die Ausweitung der Zertifikatspflicht vom Schweizerischen Gewerbeverband. Dafür fehle die gesetzliche Grundlage, teilte er mit. Als Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit sei die Massnahme verfassungswidrig.
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse befürwortet die Massnahme genauso wie der Schweizerische Arbeitgeberverband und der Hotelier-Verband Hotelleriesuisse. So lasse sich ein Lockdown abwenden, argumentieren sie.
Das ist derzeit kein Thema. Auf einen Shutdown, die Schliessung ganzer Brachen oder Verbote von bestimmten Aktivitäten, wolle man anders als in den früheren Infektionswellen in Zukunft verzichten, sagte Berset vor einer Woche.
Im Hinblick auf die Herbstferien müsse man sich überlegen, was nötig sei. «Da könnte auch die Reisequarantäne wieder eine Rolle spielen», sagte Berset der «NZZ am Sonntag». Ob und wie die Reisequarantäne eingeführt wird, muss erst noch diskutiert werden.
Weiss ich nach der PK