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4 Irrtümer, die den Triumph von Baume-Schneider ausmachten

Bundesraetin Elisabeth Baume-Schneider und Alt Bundesraetin Simonetta Sommaruga werden in der Aula des Progr von Parteimitgliedern gefeiert am Empfang durch die SP Fraktion, am Mittwoch, 7. Dezember 2 ...
Wird beklatscht: Elisabeth Baume-Schneider, 7. Dezember 2022.Bild: keystone

Wie Baume-Schneider in den Bundesrat kam – 4 Irrtümer, die ihren Triumph ausmachten

Die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider zur Bundesrätin ist die ganz grosse Überraschung. Es ist die Geschichte einer Aufholjagd. Vor allem aber ist ihr Erfolg auch das Resultat einer Kaskade von Irrtümern.
08.12.2022, 06:47
Benjamin Rosch und Anna Wanner / ch media
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Frenetischer Jubel von links, höflicher Applaus von rechts, offene Münder auf der Pressetribüne. Als Nationalratspräsident Martin Candinas am Mittwochmorgen die Sensation verkündet, gewählt sei Elisabeth Baume-Schneider aus dem Jura, ist das Erstaunen greifbar. Kaum jemand hat es für möglich gehalten, dass «EBS» die Favoritin Eva Herzog aus Basel überholen könnte. Es ist der Höhepunkt in einer Serie von Irrtümern:

Auf eine Romande hat niemand gewartet

Die neu gewaehlten Bundesraete Elisabeth Baume-Schneider SP-JU, links, und Albert Roesti, SVP-BE, freuen sich zusammen nach der Ersatzwahl in den Bundesrat durch die Vereinigte Bundesversammlung, am M ...
Die neuen Bundesräte: Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti nach ihrer Wahl am 7. Dezember 2022.Bild: keystone

Kommissionszimmer 286 des Bundeshauses am zweiten November, es läuft die Pressekonferenz der SP-Parteileitung. Das Präsidium aus Mattea Meyer und Cédric Wermuth macht sofort Nägel mit Köpfen. Man wolle ein reines Frauen-Ticket, sagen sie. Bewerberinnen aus allen Regionen seien eingeladen, ihren Hut in den Ring zu werfen. «Es ist für uns absolut denkbar, dass zwei Romands die SP repräsentieren», sagt Wermuth. So recht glauben will ihm niemand.

Sofort folgt in den Medien der Reflex: Aber dann wäre die Deutschschweiz ja untervertreten. Das Szenario einer «lateinischen Mehrheit» wird zum Mantra dieser Bundesratswahl, immer mit dem Verweis, dass die Bundesversammlung das nicht wolle. Auch, weil sich die FDP früh gegen eine Romande ausspricht und auf die Verfassung pocht: Dort sei ausdrücklich von einer angemessenen Vertretung der Landessprachen im Bundesrat die Rede. In den Kandidatinnenkarussells tauchen fast ausschliesslich Deutschschweizerinnen auf. Von Anfang an ist Eva Herzog die Favoritin, später Kronfavoritin. Baume-Schneider kommt selten bis gar nicht vor.

In der öffentlichen Debatte spielen derweil die ausschliessenden Kriterien eine wesentlich grössere Rolle als der Einschluss der Romandie. Daniel Jositschs Frust bricht sich in einer Gleichstellungsdebatte über benachteiligte Männer Bahn und nimmt damit viel Raum ein. Bis zuletzt ringt die SP mit dem unkontrollierbaren Selbstverständnis des Zürcher Ständerats - aber eigentlich sind sogar seine 58 Stimmen gestern in der Bundesversammlung ein Nebenschauplatz dieser Bundesratswahl. Jositsch hatte nie den Hauch einer Chance, auf das Ticket der SP zu kommen. Und keine einzige Partei hatte je den Drang, jemanden abseits des Tickets ernsthaft in die Landesregierung zu befördern. Dennoch schafft es Jositsch, die Debatte um die SP-Nomination zu dominieren.

Vielleicht deshalb geht unter, was sich in der Fraktion der Genossinnen und Genossen tatsächlich abspielt. Als Evi Allemann, Berner Regierungsrätin, auf den Plan tritt und ihre Bundesratsambitionen ankündigt, hat die Deutschschweiz ihr Duell gefunden. «Evi gegen Eva» titelt der «Tages-Anzeiger», andere tun es ihm gleich. Die Realität ist eine andere.

Drei Wahlgänge braucht es an der Fraktionssitzung vom 26. November, bis Baume-Schneider und Herzog als Siegerinnen hervorgehen. Im ersten landet Eva Herzog auf dem letzten, im letzten auf dem ersten Platz. Die Stimmenanzahl bleibt dabei immer unverändert: 24. So viele Unterstützerinnen und Unterstützer hat sie in ihrer eigenen Partei, es ist ziemlich genau die Hälfte. Im ersten und zweiten Wahlgang liefern sich Allemann und Baume-Schneider ein Kopf-an-Kopf-Rennen, weil die Romands und die Unterstützerinnen von Allemann jeweils beide Namen aufschreiben. Herzogs Fangemeinde hingegen schreibt nur einen Namen auf das Zweierticket.

Nach dem zweiten Wahlgang wird dies auch dem Lager von Baume-Schneider klar. Jetzt wählen auch sie überwiegend nur noch ihre Favoritin. Das vorherige Bündnis bricht, die Stimmenzahl sinkt, Allemann fliegt raus. Sie hatte nie mehr als vielleicht zwei Handvoll Unterstützende in der eigenen Fraktion um sich scharen können. Am nächsten Tag erscheint in der «NZZ am Sonntag» ein grosses Porträt: Es ist über Eva Herzog. Daneben ein deutlich kleinerer Artikel, der Baume-Schneiders Nomination als Achtungserfolg würdigt. Überschrift: «Überraschungskandidatin Baume-Schneider».

Die SP lanciert eine Alibikandidatur

Schwarznasenschaf.
Der Präsident des Bauernverbandes, Markus Ritter, spricht euphorisch über die Jurassierin mit einem Faible für Schwarznasenschafe.Bild: Imgur

Anders in der Westschweiz. «Le Matin Dimanche» liefert gleichentags ein Interview mit Baume-Schneider über zwei Seiten. Am Montag doppeln «Tribune de Genève» und «24 Heures» aus dem Haus Tamedia nach. «Ce n'est pas à nous de tuer la championne romande», lautet der Titel des Meinungsstücks: Es ist nicht an uns, die Romande zur Strecke zu bringen. Im Pamphlet für die französischsprachige Genossin stehen Sätze wie «Seien wir rachsüchtige Minderheiten!». Es ist ein Aufruf zu einer lateinischen Omertà, von der Deutschschweiz unbemerkt.

Und tatsächlich halten die Romands zu ihrer Kandidatin, nicht nur in der SP. Auch bei den Grünen findet die Jurassierin Unterstützung bei den Französischsprachigen. Gar in der FDP hat Baume-Schneider mit den beiden Waadtländern Olivier Feller und Olivier Français früh starke Fürsprecher. Doch die Romands alleine reichen für die Mehrheit nicht.

So wird der Wahlkampf aufs Ende hin plötzlich aufregend. Elisabeth Baume-Schneider kann am ersten Montag der Session im Hearing des Bauernverbands punkten. Präsident Markus Ritter spricht euphorisch über die Jurassierin mit einem Faible für Schwarznasenschafe. Man habe genau gemerkt, welche der beiden Kandidatinnen die Lebensrealitäten der Landwirtschaft aus eigener Erfahrung kenne, heisst es. Diese Stimmung werde nun in die verschiedenen Fraktionen «diffundieren». Ritter, der als Nationalrat für die Mitte politisiert, sollte Recht behalten. Aber so einfach ist es nicht. Und die Deutschschweizer Medien sehen die Aufholjagd von Baume-Schneider bereits nach wenigen Tagen wieder beendet.

Geberkantone werden berücksichtigt

Bundesratskandidatin Eva Herzog, Staenderaetin SP-BS, links, und Bundesratskandidatin Elisabeth Baume-Schneider, Staenderaetin SP-JU, am Ende des Hearings der Bundesratskandidatinnen waehrend der Dele ...
Die beiden Konkurrentinnen beim Hearing der Juso, 19. November 2022. Bild: keystone

Inzwischen hat die Session gestartet. Ein wichtiger Streitpunkt: die Verteilung der OECD-Steuereinnahmen. Selten kommt es vor, dass die Schweiz plötzlich mit mehr Geld rechnen darf. Unter der Bundeshauskuppel streiten sich die Parteien, ob Bund oder Kantone den Löwenanteil behalten darf – je nach Schätzung immerhin zwischen 1.5 und 2.5 Milliarden Franken. Die Mitte ist gespalten. Die Nationalratsfraktion sähe das Geld gerne beim Bund, aber im Ständerat gilt die Meinung: mehr Macht den Kantonen.

Für Basel-Stadt ist die Abstimmung von immenser Bedeutung. Zusammen mit Zug gehört der Halbkanton zu den grossen Profiteuren, wenn die Unternehmenssteuern für Konzerne steigen. So wichtig ist die Abstimmung, dass sogar die Basler SP-Nationalräte Sarah Wyss und Mustafa Atici von der Parteilinie abweichen. Eva Herzog sowieso, sie gehört zu den grössten Verfechterinnen einer Lösung, die mehr Geld für die Kantone vorsieht.

Am Montag vor der Bundesratswahl reist eine Delegation aus Basel nach Bern. Regierungspräsident Beat Jans (SP), Vize Lukas Engelberger (Mitte) und der ehemalige Baselbieter Ständerat Claude Janiak wollen für Herzog weibeln. In der Galerie des Alpes bauen sie drei Tischchen auf und kommen mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern ins Gespräch. Unter ihnen ist Markus Ritter.

Die Strategie verfängt nicht. Am Ende spricht sich die Mitte-Partei zwar für die Basler Lösung der OECD-Millionen aus, aber Sympathien für die Bundesratswahl hat Basel-Stadt keine dazugewonnen. Im Gegenteil. Manche sagen: Geben wir Basel das Geld, und dafür dem Jura den Bundesratssitz. Tout Bâle dachte, als finanzstarker Geberkanton hätte die Stadt einen Sitz in der Landesregierung verdient. Dabei gibt es schlicht keinen politischen Druck, Basel zu berücksichtigen.

Eva Herzog kann bei den Bürgerlichen punkten

Die neue Bundesraetin Elisabeth Baume-Schneider, SP-JU, rechts, wird von der unterlegenen Bundesratskandidat Eva Herzog, SP-BS, umarmt, nach der Ersatzwahl in den Bundesrat durch die Vereinigte Bundes ...
Mitglied der FDP-Fraktion: «Herzog war langweilig, Baume-Schneider war chaotisch.»Bild: keystone

Mit dem Malus der übervorteilten Städterin startet Eva Herzog in die entscheidende Phase des Wahlkampfs: die bürgerlichen Hearings am Dienstagnachmittag. Als Ständerätin ist sie der Vereinigten Bundesversammlung nicht besser bekannt als ihre Konkurrentin. Dabei gelten funktionierende Netzwerke als Grundlage für eine erfolgversprechende Bundesratswahl und Herzog ist bekannt für ihre klaren Konturen.

Doch in den Hearings bei den anderen Parteien hinterlassen weder Herzog noch Baume-Schneider einen überragenden Eindruck. Herzog gelingt es nicht, die ihr zugeschriebene fachliche Kompetenz im entscheidenden Moment abzurufen, heisst es aus der FDP und der Mitte-Partei. Inhaltlich überzeugt zwar auch Baume-Schneider nicht wirklich. Doch sie punktet mit ihrer flapsigen Art. «Herzog war langweilig, Baume-Schneider war chaotisch», sagt ein Mitglied der FDP-Fraktion. Die Jurassierin gewinnt mit ihrer Herzlichkeit immer mehr Anhängerinnen und Anhänger. Auch bei der SVP hat Herzog Mühe.

Plötzlich sind Politiker enttäuscht, dass Herzog gar nicht so bürgerlich politisiere, wie linke Gegner ihr gerne unterstellen. Kommt dazu: Herzog wirkt durchsetzungsfähig. An Simonetta Sommaruga hat sich die SVP ein Jahrzehnt abgearbeitet. Soll das nun weitergehen? Für manche SVP-Mitglieder ist die Wahl von Baume-Schneider die Retourkutsche für die Wahl von Guy Parmelin: Den Feind schwächen.

Auch unter Freisinnigen dreht der Wind. Nach dem Hearing tritt Fraktionspräsident Damien Cottier kurz vor die Medien. Er sagt: Es seien beide Kandidatinnen wählbar. «Aber sollte es Baume-Schneider schaffen, wäre die SP in der Pflicht, die lateinische Mehrheit schnell zu korrigieren.» Die Botschaft ist klar: Eine Wahl von «EBS» erhöht den Druck auf Gesundheitsminister Alain Berset, das Alphatier der Linken. Dass Berset später mit einem schlechten Resultat ins Regierungspräsidium gewählt werden sollte, passt perfekt ins Bild.

Am Mittwochmorgen schreiten die Mitglieder der Bundesversammlung zur Wahl einer SP-Bundesrätin. Weil die Wahl geheim ist, lässt sich nicht sagen, wer wegen einer lateinischen Mehrheit, wegen landwirtschaftlichen Sympathien, persönlichen Animositäten oder taktischen Überlegungen den Namen von Elisabeth Baume-Schneider auf dem Wahlzettel notiert. Am wahrscheinlichsten ist bei jedem und jeder einzelnen eine Vielzahl von Gründen. So fügte sich ein Mosaik, das niemand überschaut hat - bis es fertig war. Und gewählt ist mit 123 von 245 Stimmen: Elisabeth Baume-Schneider, neue Bundesrätin aus dem Kanton Jura.

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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Eisvogel
08.12.2022 08:08registriert Februar 2019
Zitat aus dem Artikel: "Man habe genau gemerkt, welche der beiden Kandidatinnen die Lebensrealitäten der Landwirtschaft aus eigener Erfahrung kenne, heisst es. "
😁Also mein Vater war Lokführer, ich kenne die Lebebsrealität der Angestellten im ÖV gut. Zu was genau täte mich das als Bundesrätin qualifizieren? 😁
Ist es als Bundesrätin/Bundesrat nicht wichtiger, überhaupt um unterschiedliche Lebensrealitäten zu wissen? Der Rest ist dann Dossierkenntnis, Wissen, der Blick für Zusammenhänge, Überzeugungskraft und Teamfähigkeit.
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Triumvir
08.12.2022 08:54registriert Dezember 2014
Tiere, sozial Benachteiligte und der Normalbürger haben endlich eine angemessene Lobby im Bundesrat und das finde ich grossartig! Ich bin deshalb richtig glücklich über die Wahl von Frau Baume-Schneider.
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Bruno Wüthrich
08.12.2022 08:42registriert August 2014
Ein interessanter Artikel, der vor allem auch zeigt, dass man nie jemanden unterschätzen sollte. Auch nicht eine sogenannte Alibi-Kandidatin.

Ich finde es schön, wurde Baume-Schneider gewählt. Ich hätte allerdings auch mit Herzog (oder Jositsch) gut leben können.

Und sollte Baume-Schneider - was ja immer wieder zumindest als Meinung durchsickert - tatsächlich nur eine Alibi-Kandidatin gewesen sein, so freue ich mich tierisch, dass dieses Manöver der strategisch nicht gerade mit allen Wassern gewaschenen SP-Strategen zünftig in die Hose gegangen ist.
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