Irgendwo zwischen Biel und Les Breuleux muss sich eine Zeitmaschine befinden. Nur eine halbe Stunde dauert es von der Ausfahrt der A5 bis in den Wohnort der neuen SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Doch die 30 Minuten Autofahrt reichen für eine Reise in die Vergangenheit. In der 1500-Seelen-Gemeinde scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Irgendwann in den 70er- oder 80er-Jahren.
«Grand Rue» heisst die Strasse, die mitten durchs Dorf führt. Hier befinden sich einige Läden, Restaurants und das Gemeindehaus. Die meisten Häuser sind in die Jahre gekommen. Viel Charme versprüht der Ort auf den ersten Blick nicht.
Tritt man jedoch über die Türschwellen, ändert sich dieser Eindruck schnell. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Les Breuleux sind äusserst herzlich und strahlen jene Wärme aus, die man an diesem kühlen Dezembertag dringend benötigt.
Etwa Marino Filippini, der mit strahlendem Gesicht hinter den Lotteriescheinen seines Kiosks hervortritt. Er sei sehr «glücklich» über die Wahl Baume-Schneiders. Die neue Bundesrätin komme regelmässig in seinen Laden, erzählt er. «Immer am Sonntag kommen entweder sie oder ihr Mann hierher und kaufen Zeitungen», erzählt der Jurassier und verrät eine spezielle Vorliebe der neuen Bundesrätin: «Sie greift immer wieder zu den Rubbellosen.»
Er habe schon geahnt, dass Baume-Schneider gewählt würde, sagt Filippini. Schliesslich habe sie auch bei den Wahlen für den Kantons-, Regierungs- und Ständerat immer gewonnen.
Eine Kundin, die sich im Laden befindet, widerspricht: «Für mich war das eine grosse Überraschung.» Doch auch sie freut sich über die erste jurassische Bundesrätin der Schweizer Geschichte. Baume-Schneider sei im Dorf sehr beliebt, da sie so eine unkomplizierte und offene Art habe, erzählt sie.
Etwas weiter unten im Dorf befindet sich das Restaurant von Hakan Yildiz. Stolz zeigt er die frisch gestrichenen Wände des Lokals, das er vor Kurzem übernommen hat. Es gebe in der Ortschaft etwa drei, vier Restaurants, in denen die Leute verkehren würden, erzählt Yildiz. Das Pub, den Chinesen und seinen Kebab-Laden.
Bis jetzt durfte der Kebab-Verkäufer die prominenteste Bewohnerin der Ortschaft noch nie bedienen. «Ich bin erst seit einigen Monaten hier», sagt er. «Aber ich hoffe, dass die Bundesrätin bald einmal vorbeischauen wird.»
Es geht weiter die Strasse hinunter. Vorbei am asiatischen Restaurant, wo chinesische und japanische Speisen verabreicht werden. Der Chef empfiehlt unter anderem gebratene Langusten für 38 Franken, wie auf der vergilbten Menükarte in der Vitrine zu lesen ist.
Gleich nebenan befindet sich der Coiffeursalon von Nathalie. In einer Ecke steht eine Jukebox, auf der man für ein wenig Kleingeld Musik hören kann. Auch Nathalie gerät ins Schwärmen, wenn sie von Baume-Schneider erzählt, der sie schon einige Male die Haare geschnitten hat. Man kenne die Politikerin gut im Ort. «Bei den Dorffesten ist sie immer mit dabei», erzählt die Coiffeuse. Sie sei sehr volksnah.
Seit der Wahl von Mittwoch ist die städtische Schweiz nicht mehr im Bundesrat vertreten. Viele Politiker und Politikerinnen bezweifeln, ob das gut ist für die Schweiz. Der Kontrast zwischen den urbanen Zentren wie Basel oder Zürich und Les Breuleux könnte jedenfalls kaum grösser sein. Die Landwirtschaft ist im Ortskern allgegenwärtig. Wenige Schritte unterhalb des Coiffeursalons befinden sich Pferdestallungen.
Auf der anderen Strassenseite steht ein grosser Misthaufen. Für Baume-Schneider nichts Ungewöhnliches: Sie ist eine Bauerntochter und auf dem Land aufgewachsen.
Mitten durch die Ortschaft führen die Bahngleise. Allzu oft gehen die Barrieren jedoch nicht runter. Tagsüber hält der Zug nur zwei Mal in der Stunde. Einmal fährt er Richtung Le Noirmont und einmal Richtung Tavannes.
Auf der anderen Seite des Bahnübergangs betreiben Jacqueline Frésard und Raymond Prongué eine kleine Bäckerei. Sie empfangen uns freundlich und geben eine Runde Kaffee aus. 3.50 Franken kostet der normalerweise. Dafür bekommt man bei einem Zürcher Barista höchstens einen Bambus-Strohhalm.
Kuhmilch-Alternativen sucht man im Regal der Boulangerie vergebens. Dafür gibt es Gemüse aus der Konserve, Dosenthunfisch und Schokolade. Das Bäcker-Duo ist ebenfalls voll des Lobes für Baume-Schneider, die immer wieder zum Brotkauf vorbeikomme.
Sie hoffe, dass die Gegend jetzt bekannter und der Tourismus zunehmen werde, sagt Frésard. Es gebe nämlich einiges zu entdecken in der Region. Etwa den «Etang de la Gruère», wirft ihr Partner ein. «Der befindet sich nur zehn Minuten von hier.»
Auch einen Skilift mit vier Pisten gebe es in Les Breuleux, sagen die beiden. Langlaufen, Wandern und Biken könne man ebenfalls. Langsam verstehen wir, weshalb sich die Leute hier, fernab vom pulsierenden Stadtleben, wohlfühlen.
Der letzte Halt ist im Gemeindehaus von Les Breuleux. Dort treffen wir auf Alyson Tramaux, die gerade eine Lehre auf der Gemeinde macht. Heute gebe es noch keine Party für die frisch gewählte Bundesrätin, sagt sie. «Die ist für den 15. Dezember geplant.»
Wie alle Leute, die wir an diesem Mittwoch antreffen, ist auch Tramaux angetan von der Arbeit von Baume-Schneider. Die SP-Bundesrätin könne auch Leute überzeugen, die sich nicht unbedingt als links bezeichnen würden, erklärt die junge Jurassierin. «So kann sie auch bei den Landwirten punkten.»
Für immer möchte Tramaux nicht auf der Gemeinde in Les Breuleux arbeiten. Bald will sie ein Studium beginnen und Anwältin werden. Auch eine Karriere als Politikerin fasst sie bereits ins Auge. «Das würde ich gerne machen», sagt sie lachend und meint, dass sie im Dorf ja ein Vorbild habe.