Seit Samstag steht fest, wer am 7. Dezember zur Wahl für die Nachfolge von Ueli Maurer (SVP) und Simonetta Sommaruga (SP) im Bundesrat antreten wird. Die SP-Fraktion nominierte ein Zweierticket mit den Ständerätinnen Elisabeth Baume-Schneider (Jura) und Eva Herzog (Basel-Stadt). Auf der Strecke blieb die Berner Regierungsrätin Evi Allemann.
Das Wahlverfahren zeigte, dass die Furcht im Herzog-Camp vor einem «Päckli» von Bernern und Romands nicht unbegründet war. Im dritten und entscheidenden Wahlgang aber wurde Allemann klar distanziert. Das hatte seine Logik: In den vier öffentlichen Hearings hinterliess sie den schwächsten Eindruck der drei Bewerberinnen.
Eine Woche zuvor hatte die SVP-Fraktion ihr Zweierticket mit Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt nominiert. Der Zürcher alt Nationalrat setzte sich ganz knapp gegen den Berner Ständerat Werner Salzmann durch. Damit tritt die Bundesratswahl in die heisse Phase. An diesem und am kommenden Dienstag finden Hearings mit den Bundeshausfraktionen statt.
Geht man davon aus, dass eine «wilde» Kandidatur keine Chance hat (die Lust auf solche Machtspiele dürfte sich in der Bundesversammlung in Grenzen halten), läuft es auf die offiziellen Nominationen hinaus. Wir loten die Chancen der Kandidierenden von SVP (die Maurer-Nachfolge wird am 7. Dezember zuerst geregelt) und SP aus:
+ Der Berner Nationalrat und ehemalige Parteipräsident ging von Anfang an als Favorit ins Rennen. Er ist politisch breit aufgestellt und ein erfahrener Networker und Dealmaker.
+ Er ist klar auf SVP-Linie und dennoch kompromissfähig. Auf der menschlichen Ebene gibt es kaum jemanden im Parlament, der schlecht über Rösti reden würde. Er könnte für eine bessere Stimmung im heute ziemlich dysfunktionalen Bundesrat sorgen.
+ Er hat trotz seines Images als Auto- und Öllobbyist mitgeholfen, der Solar-Offensive in der Herbstsession zum Durchbruch zu verhelfen. In der Kommission soll er sich gemäss Tamedia deswegen sogar mit SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi gezofft haben.
+ Ein «Tolggen» im Reinheft ist sein Scheitern als Direktor des Milchverbands. Kaum einer der damals Beteiligten aber gibt ihm gemäss der NZZ die Schuld daran. Damit dürften ihm die Stimmen der einflussreichen Bauernlobby sicher sein.
+ SVP-Doyen Christoph Blocher hat ihn für wählbar erklärt. Trotzdem gilt Rösti nicht als Mann von Blochers Gnaden. Er vertritt die traditionell eher staatstragende Berner SVP.
- Rösti ist ein eifriger Ämtlisammler. Das lässt Fragen nach seiner Unabhängigkeit aufkommen. Seine Einkünfte hat er bis zur Bundesratskandidatur nicht offengelegt.
- Nach der Niederlage der SVP bei den Wahlen 2019 warf er den Bettel als Parteipräsident hin. Zuvor war er schon mit Kandidaturen für den Berner Regierungsrat und den Ständerat gescheitert.
+ Der ehemalige Nationalrat wäre der erste offen homosexuelle Bundesrat. Mit ihm als Stadtzürcher würde die traditionell schwach vertretene urbane Schweiz in die Regierung einziehen.
+ Als Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich hat er sich einen Ruf als brillanter und analytisch denkender Kopf erarbeitet.
- Vogt hat das Image eines Ein-Themen-Politikers. Er ist ausserhalb seines Spezialgebiets, der Juristerei, kaum in Erscheinung getreten.
- Er war für die «Ehe für alle», ist gesellschaftspolitisch ansonsten aber eher konservativ. Die Schlagerparade sagt ihm mehr zu als die Street Parade.
- Vogt war Urheber der Selbstbestimmungs-Initiative, die in letzter Konsequenz darauf abzielte, dass die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention aufkündigen sollte.
- Nachdem er in der Rechtskommission heftig angegangen wurde, verliess er das Zimmer mit Tränen in den Augen. Das lässt Fragen nach seinem Nervenkostüm aufkommen.
- Als Nationalrat war Vogt sogar in der eigenen Fraktion ein Aussenseiter. Bei seinem Rücktritt im vergangenen Jahr sagte er, er habe sich im Parlament wie ein Tennisspieler auf dem Fussballplatz gefühlt. Im Bundesrat aber ist Teamwork gefragt.
- Zu seinem Image als Einzelkämpfer passt auch, dass er sich bislang offenbar kaum um Allianzen oder ein Lobby-Netzwerk bemüht hat. So aber wird man nicht Bundesrat.
+ Sie war 2002 bis 2015 Bildungsdirektorin des Kantons Jura. Seit 2019 ist sie Ständerätin. Damit verfügt sie über Exekutiverfahrung, und man kennt sie in Bundesbern.
+ Sie kommt aus einem Kanton, der noch nie im Bundesrat vertreten war. Baume-Schneider hofft auf Stimmen aus anderen Rand- und Gebirgsregionen.
+ In den Hearings überzeugte sie mit ihrer offenen und jovialen Art. Diese Qualitäten könnten ihr im Bundesrat zugutekommen.
- Baume-Schneider wäre das dritte Bundesratsmitglied aus der Romandie. Zusammen mit dem Tessiner Ignazio Cassis hätten die «Lateiner» damit die Mehrheit, was bei manchen Deutschschweizern Abwehrreflexe auslösen wird.
- Sie spricht sehr gut Schweizerdeutsch, hat aber Mühe mit dem Hochdeutschen.
- Sie begann ihre politische Laufbahn bei der Revolutionären Marxistischen Liga (RML). Während des Kalten Kriegs wäre sie damit unwählbar gewesen, und auch heutzutage dürften sich viele Bürgerliche mit ihrem linken Profil schwertun.
+ Ihr politisches Profil ist weitgehend identisch mit jenem von Baume-Schneider. Sie war von 2005 bis 2020 Finanzdirektorin des Kantons Basel-Stadt. Seit 2019 ist sie Ständerätin.
+ Herzog gilt als pragmatisch und führungsstark. Sie übernahm als Historikerin das Finanzdepartement und machte auch in den Augen vieler Bürgerlichen einen guten Job.
+ Eva Herzog führte die zuvor defizitäre Staatskasse auch dank der guten Konjunktur in die schwarzen Zahlen und machte den Halbkanton zum Nettozahler im Finanzausgleich.
+ Basel-Stadt war trotz seiner Wirtschafts- und Finanzkraft seit bald 50 Jahren nicht mehr im Bundesrat vertreten.
+ In Juso-Kreisen gilt sie wegen ihrer Nähe zur Pharmabranche und zum «rechten» SP-Flügel als unwählbar, doch bei der bürgerlichen Parlamentsmehrheit wird ihr das mehr nützen als schaden.
- Herzogs Ausstrahlung ist eher spröde. Die Herzen fliegen ihr nicht zu. Ihr Verhältnis zu den Medien gilt als angespannt, auch aufgrund schlechter Erfahrungen.
- Bei (Rechts-)Bürgerlichen gibt es Vorbehalte gegen das rotgrüne, im Dreiländereck gelegene Basel, das einen regen Austausch mit den deutschen und französischen Nachbarn pflegt.
Bis zur Wahl dauert es noch etwas mehr als eine Woche. Im Prinzip ist noch einiges möglich. In der Realität aber sollte man sich darauf einstellen, dass Albert Rösti und Eva Herzog in den Bundesrat gewählt werden. Sie können sich fast nur noch selbst schlagen.
Wer progressiv sein will muss also an die Street Parade, zwingend, weil logisch und weil wir nicht in Kategorien denken wollen und so...