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Die Marktmacht von Migros und Coop provoziert Widerstand

Le logo de la Coop et le logo de la Migros sont photographies cote a cote sur un batiment commercial commun ce mardi 23 aout 2016 sur la place de la Sallaz a Lausanne. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)
Die beiden Detailhändler Migros und Coop dominieren den Schweizer Detailhandelsmarkt.Bild: KEYSTONE

Nach Rivella-Rausschmiss: Die Marktmacht von Migros und Coop provoziert Widerstand

Migros und Coop dominieren den Schweizer Detailhandelsmarkt. Produzenten müssen sich ihrem Diktat fügen, Konsumenten weniger Wettbewerb hinnehmen. Jetzt appellieren Experten an die Weko.
17.04.2021, 17:0318.04.2021, 14:06
gabriela jordan / schweiz am wochenende
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In Werbungen wird Konsumenten gern eine heile Welt präsentiert, die so nur selten existiert. Im Fall von Coop und Migros flimmern zum Beispiel lächelnde Produzenten über den Bildschirm, die sich glücklich schätzen, die Detailhandelsriesen mit ihren Produkten beliefern zu dürfen. Dass es hinter den Kulissen aber oft heftig brodelt, bekommt man als Konsument erst zu spüren, wenn das gewünschte Produkt nicht mehr an der gewohnten Stelle im Regal zu finden ist.

So geschehen vor ungefähr einer Woche, als eine Migros-Kundin das Produkt Rivella Refresh nicht finden konnte. Weil sich Rivella nicht dem Preisdruck der Migros fügen wollte, kippte die Detailhändlerin kurzerhand Rivella Refresh, Rivella Grüntee und Focuswater aus dem Sortiment. «Die Migros stellt beim Preis Forderungen, die wir so nicht erfüllen können und wollen. Wir haben keine Lust, uns erpressen zu lassen», sagte Rivella-Geschäftsführer Erland Brügger gegenüber der «Sonntagszeitung», die den Preisstreit publik gemacht hatte. Die Migros nahm keine Stellung.

UNDATIERTES HANDOUT - VISUALISIERUNG - Ab Fruehling 2016 zeigt sich Rivella in einem neuen Kleid. Im Bild: Die neuen 50cl Flaschen aller Rivella Geschmacksrichtungen. (PHOTOPRESS/Rivella)
Die Rivella-Sorte Holunderblüte ist im Detailhandel noch erhältlich. Drei andere Produkte wurden jedoch aus dem Migros-Sortiment entfernt.Bild: PHOTOPRESS

Dass Migros und Coop aus verhandlungstaktischen Gründen einzelne Produkte oder ganze Marken aus dem Sortiment schmeissen, kommt immer wieder vor. Zu spüren bekamen dies etwa schon der Ovomaltine-Hersteller Wander oder grosse Konzerne wie Nestlé, Mars oder L’Oréal. Zu dem radikalen Mittel greifen die beiden Händler, weil sie es sich schlicht leisten können: Die Marktkonzentration im Lebensmittelhandel ist hierzulande so hoch wie in keinem anderen Land. Migros und Coop haben einen Marktanteil von rund 70 Prozent. In Deutschland teilen sich die vier Unternehmen Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe und Aldi gleich viel.

Markenverband kritisiert Detailhändler scharf

Coop und Migros können somit fast alles fordern, was sie wollen, für Hersteller gibt es schliesslich keine wirkliche Alternative. Wenn die beiden Detailhändler dadurch ausländische Lieferanten und Markenproduzenten wie Coca Cola oder Nivea daran hindern, in der Schweiz ein Vielfaches ihrer normalen Preise zu verlangen und ungeniert die hierzulande hohe Kaufkraft abzuschöpfen, ist das sicher gut und für Konsumenten ein Gewinn. Wenn sie sich jedoch mit inländischen Herstellern anlegen, wird die Geschichte komplizierter.

Zu welchem Narrativ der Verband der Schweizer Markenhersteller Promarca greift, ist klar: Verbands-Chefin Anastasia Li-Treyer, die auch als Gegnerin der Fair-Preis-Initiative auftrat, spricht in der Öffentlichkeit jeweils von den tiefen Margen der Hersteller. Markenprodukte in den Ladenregalen unterzubringen, sei schwierig genug, sagt sie jetzt gegenüber CH Media. Das Sortiment der Migros besteht aus 80 Prozent Eigenmarken, jenes von Coop aus 50 Prozent – bald sollen es 60 Prozent werden. Der Platz wird also noch knapper. Häufig lassen Migros und Coop Eigenmarken allerdings auch extern produzieren, besonders Coop, da es nur wenige eigene Fabriken hat.

Hersteller spricht von Verdrängung und Ideenklau

Ein Hersteller, der anonym bleiben will, wählt noch deutlichere Worte: «Die Vertriebskanäle sind zu mächtig und müssten zerschlagen werden.» Er produzierte jahrelang für die Migros, bis diese entschied, selber in seinem Segment aktiv zu werden. «Aufgrund ihrer Grösse können Migros und Coop nach Belieben in neue Geschäftsfelder vordringen. Das kann sonst niemand. Gewerbebetriebe können dem nichts entgegensetzen und werden so zunehmend aus dem Markt verdrängt.»

Da in der Industrie und im Gewerbe anders als im geschützten Agrarsektor der freie Markt spielt, lässt sich das Verschwinden von Marktplayern nicht verhindern. Was der Hersteller weiter über den in der Branche gängigen Ideenklau erzählt, ist trotzdem stossend:

«Weil Hersteller Rezepturen offenlegen müssen, ist es für Händler ein Leichtes, Produkte zu kopieren.»

Bei der Migros ist diese Liste bekanntlich lang: Mivella statt Rivella, Café Zaun statt Kaffee Hag, Eimalzin statt Ovomaltine oder Mirador statt Aromat. Die Hersteller sowie Li-Treyer von Promarca sind daher der Ansicht, dass die Wettbewerbskommission (Weko) dringend etwas gegen das Duopol unternehmen müsste. «Die Weko scheint zumindest den Lebensmittelhandel in der Schweiz nicht im Griff zu haben», so Li-Treyer.

Auch Patrick Krauskopf, früherer Vize-Direktor der Weko und jetzt Professor für Kartellrecht an der ZHAW, findet, dass die Weko in dieser Branche aktiv werden sollte – allerdings aus anderen Gründen. Die schwierige Position der Hersteller streitet er zwar nicht ab, ein viel grösseres Problem sieht er infolge des Duopols jedoch im mangelnden Wettbewerb. Konsumenten profitieren demnach deutlich weniger als in anderen Ländern von Innovationen und vielfältigen Sortimenten – oder eben auch von tiefen Preisen. Durch die Discounter Aldi Suisse und Lidl habe der Preiswettbewerb zwar zugenommen, aber nur in einem kleinen Teil der jeweiligen Sortimente. Krauskopf sagt:

«Das Duopol hinterlässt deutlich seine Bremsspuren. Ich persönlich bin damit gar nicht zufrieden.»

Ex-Weko-Vizedirektor: «Untersuchung der Marktmacht wäre zweckmässig»

Nun lässt sich diese volkswirtschaftliche Realität nicht einfach so ändern. Auch kann die Weko ohne konkrete Hinweise, dass Coop oder Migros ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen – und etwa unangemessene Preise oder Geschäftsbedingungen erzwingen –, keine Untersuchung einleiten. Laut Krauskopf sind die Anforderungen dafür eher hoch, nicht nur in der Schweiz, sondern bei Wettbewerbsbehörden in ganz Europa. Er sagt aber: «Eine Muster-Untersuchung der Marktmacht von Coop und Migros wäre schon heute möglich und vermutlich zweckmässig. Schliesslich hat es seit Jahren keine Entscheide gegen sie gegeben.» Denn viele KMU seien existenziell von den beiden Detailhandelsriesen abhängig.

Ein Entscheid steht aber zumindest kurz bevor: Seit einem Jahr beobachtet die Weko die Beschaffung der Migros – aufgrund einer Anzeige des Verbands Promarca. Die Marktbeobachtung wurde aufgrund von Hinweisen eröffnet, wonach die Migros ab Frühjahr 2019 eine grössere Anzahl ihrer Lieferanten dazu aufgefordert habe, die Verkaufspreise an Migros ohne entsprechende Gegenleistung substanziell zu senken, heisst es bei der Weko. Es könnte sich um ein missbräuchliches Verhalten handeln, die Abklärungen stünden kurz vor Abschluss.

Rivella und Migros verhandeln weiter

Je nach Ausgang könnten die Hersteller oder die Konsumenten jubeln. Während Hersteller auf weniger Preisdruck hoffen, vertritt der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm die Seite der Konsumenten: «Solange es keine Zeichen von Marktmissbrauch gibt, ist Preisdruck gerechtfertigt», sagt er. Er weist ausserdem auf den Unterschied von Standardprodukten und Spezialprodukten hin: Kippt ein Händler lediglich einige teurere Spezialsorten aus dem Sortiment, mit denen Hersteller für gewöhnlich eine höhere Marge zu erzielen versuchen, ist das etwas anderes, als wenn er als Druckmittel sämtliche Artikel der Marke auslisten würde.

Dies trifft auch auf Rivella zu: Aussortiert wurden lediglich Spezialsorten wie Rivella Refresh, die umsatzstarken Sorten Rivella rot und blau stehen bei der Migros weiterhin in den Regalen. Somit dürften auch jetzt die wenigsten Konsumenten von dem Preisstreit mitbekommen haben. Im Hintergrund brodelt es derweil weiter.

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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Smacun
17.04.2021 18:57registriert Februar 2016
Der frühere Vize-Direktor der Weko ist auch ein lustiger Krauskopf. Jetzt fordert er eine Untersuchung des Duopols. Zu seiner Zeit bei der Weko war es ja wohl noch schlimmer, bevor Aldi und Lidl in die Schweiz kamen. Aber damals bekam er wohl noch ab und zu einen Geschenkkorb von den beiden orangen Riesen. 🤷‍♂️
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tempolibero
17.04.2021 17:57registriert August 2018
Gut gibts mit den deutschen Discounter endlich ein bisschen Wettbewerb.
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fw_80
17.04.2021 17:45registriert Juni 2015
Der erste Text ist doppet drin 😬
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