Schweiz
Coronavirus

Coronavirus: Science Taskforce greift den Bundesrat an

Von «frustrierend» bis «sinnloses Zuwarten» – die Taskforce greift den Bundesrat an

Die Regierung will bis Mittwoch warten, bis sie weitere Verschärfungen berät. Das provoziert Kritik von Wissenschaftern.
25.10.2020, 03:4525.10.2020, 13:17
Kari Kälin, Bruno Knellwolf / ch media
Mehr «Schweiz»
Epidemiologe und Mitglied der Covid-19-Taskforce des Bundes, Marcel Tanner,
Der Basler Epidemiologe Marcel Tanner hält sich mit Vorwürfen zurück.Bild: Annette Boutellier

Die Covid-19-Taskforce sei zu handzahm, kommentierte diese Zeitung vor zwei Wochen. Sie unterlasse es, den Behörden und der Öffentlichkeit zu sagen, welche Massnahmen es jetzt bräuchte. Tempi passati. Auf Twitter schiessen einzelne Mitglieder jetzt scharf gegen die politische Führung des Landes.

Dass der Bundesrat an seiner Mittwochsitzung keinen rigideren Coronakurs verhängte und bis nächste Woche abwarten will, wie sich die jüngsten Massnahmen auswirken, kann Christian Althaus nicht verstehen. Der Professor für Epidemiologie an der Universität Bern kritisiert auf Social Media, es brauche mindestens zwei Wochen, bis die Wirkung einer Massnahme ersichtlich ist: «Nächsten Mittwoch sieht man also sowieso noch nichts. Was soll dieses sinnlose Zuwarten?», schrieb er an die Adresse von Bundesratssprecher André Simonazzi.

«Frustrierend», twitterte der frühere Taskforce-Chef Matthias Egger. Schon im Sommer, als die Fallzahlen wieder exponentiell anstiegen, hatte die Taskforce zu sofortigem Handeln aufgerufen.

Anfang Juli zeigte sie sich alarmiert und richtete dringende Empfehlungen an Politik und Bevölkerung. Zum Beispiel Clubs, Discos und Bars zu meiden. Die Basler Epidemiologin Emma Hodcroft bezeichnete Kurzlockdowns in einem Tweet als gute Möglichkeit, die Verbreitung des Virus einzudämmen, wenn die Situation aus dem Ruder läuft. «Genau», kommentierte Egger dazu. Der Bundesrat prüft derzeit solche Mini-Lockdowns.

Die eben noch handzahme Taskforce nutzt neuerdings den Kurznachrichtendienst, um dem Bundesrat an den Karren zu fahren. Nicola Low, Professorin für Epidemiologie an der Universität Bern, twitterte an die Adresse von Alain Berset und Lukas Engelberger, dem Präsidenten der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren: «Die Fallzahlen stiegen schon im Sommer exponentiell. Sie steigen jetzt exponentiell, weil wir damals nicht gehandelt haben.»

nicola low
Nicola Low.Bild: zvg

Auf Konfrontationskurs in den sozialen Medien

Christian Althaus wundert sich derweil über Justizministerin Karin Keller-Sutter, die gemäss dem «Tages-Anzeiger» zuerst wissen will, welche Kosten die einzelnen Lockdown-Varianten verursachen: «Ähm, hätte der Bundesrat nicht sechs Monate Zeit, diese Rechnungen anzustellen?»

Am Freitag, als der Kanton Zürich auf weitergehende Massnahmen eher überraschend verzichtete, legten Wissenschafter nach. Nicht alle aber sind in den sozialen Medien mit pointierten Wortmeldungen unterwegs. Nüchterner äussert sich der Basler Epidemiologe Marcel Tanner (siehe auch Interview unten). Dass der Kanton St.Gallen Grossanlässe weiterhin erlaubt, kommentiert Tanner wie folgt: «Das ist gut so. Wenn der Kanton St.Gallen sieht, dass er diese Verantwortung tragen kann, ist das richtig.»

Laut Tanner müssen die Regierungen entscheiden: «Wie viel Ausblick ermögliche ich den Menschen, und wo muss man Massnahmen anordnen?» Das sei keine einfache Frage. Tanner stellt fest, dass viele Leute in den vergangenen Wochen «müde und ein bisschen entspannter» geworden seien. «Das hat zur neuen Situation geführt, in der man sich fragen kann, ob es wieder striktere Massnahmen braucht.» Die Taskforce sei der Meinung: Ja

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das empfiehlt die Science Task Force
1 / 16
Das empfiehlt die Science Task Force
Vorschlag der Covid Science Task Force am 23. Oktober 2020
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Corona-Hotspot Wallis: So erleben die Leute in Brig den Mini-Lockdown
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
43 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
SBP
25.10.2020 08:08registriert Mai 2018
Also die Taskforce macht sich lächerlich. Die hauen völlig unkoordiniert jeder seine eigenen Ansichten raus, fordern, fordern und tragen null Verantwortung. Salathé hat noch Mitte, Ende September gesagt, es sehe sehr, sehr gut aus und jetzt will die illustre Runde alles schon im Juli vorhergesehen haben. Ich weiss nicht, aber auf mich macht das keinen professionellen Eindruck, aus einer geschäftlich professionellen Sicht würde ich das eher als Hühnerhaufen bezeichnen.
20288
Melden
Zum Kommentar
avatar
dirtyharry
25.10.2020 06:22registriert März 2018
Jeden Morgen das Gleiche. Ich ertappe mich, wie die erste Handlung das Nachlesen ist, was heute für Szenarien diskutiert werden. Sommer verpennt? Naja, vielleicht wollte man einfach wieder einmal einigermassen normal leben?! Und was Herr Althaus betrifft, der BR muss alle Interessen abwägen. Und über seine Prognosen im Frühjahr liesse sich bestimmt auch noch diskutieren. Ich werde den Sonntag im Freien an der Sonne (ohne Maske) verbringen. Morgen ist dann ein neuer Tag mit neuen Nachrichten.
15374
Melden
Zum Kommentar
avatar
FromB
25.10.2020 07:21registriert Oktober 2020
Vielleicht sollten einige dieser „Task Force“-Mitglieder einfach mal still bleiben und ihren Job erledigen, anstatt politisieren zu wollen - das ist NICHT ihre Aufgabe und erweckt bei mir weder vertrauen noch Verstädnis, besonders jetzt wenn man neunmalklug mit Ratschlägen hervorkommt.
Oder wie Berset gesagt hat: „Es ist ein Unterschied eine Meinung zu haben oder eine Entscheidung zu verantworten“.
11571
Melden
Zum Kommentar
43
Was den Schweizerinnen und Schweizern am meisten Sorgen bereitet
Das Thema Gesundheit und Krankenkassen ist gemäss dem Sorgenbarometer der UBS die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer. Auch der Rest der Top-20-Sorgen der Bevölkerung ist stark materialistisch geprägt.

Auch 2024 hat das Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag der UBS die Schweizer Bevölkerung zu Sorgen und Identitätsmerkmalen des Landes befragt. Hauptsorge im laufenden Jahr waren Gesundheitsfragen und Krankenkassen. Dieses Thema hat im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozentpunkte auf neu 48 Prozent zugelegt, hiess es in einer Mitteilung vom Mittwoch.

Zur Story