Die Covid-19-Taskforce sei zu handzahm, kommentierte diese Zeitung vor zwei Wochen. Sie unterlasse es, den Behörden und der Öffentlichkeit zu sagen, welche Massnahmen es jetzt bräuchte. Tempi passati. Auf Twitter schiessen einzelne Mitglieder jetzt scharf gegen die politische Führung des Landes.
Dass der Bundesrat an seiner Mittwochsitzung keinen rigideren Coronakurs verhängte und bis nächste Woche abwarten will, wie sich die jüngsten Massnahmen auswirken, kann Christian Althaus nicht verstehen. Der Professor für Epidemiologie an der Universität Bern kritisiert auf Social Media, es brauche mindestens zwei Wochen, bis die Wirkung einer Massnahme ersichtlich ist: «Nächsten Mittwoch sieht man also sowieso noch nichts. Was soll dieses sinnlose Zuwarten?», schrieb er an die Adresse von Bundesratssprecher André Simonazzi.
«Frustrierend», twitterte der frühere Taskforce-Chef Matthias Egger. Schon im Sommer, als die Fallzahlen wieder exponentiell anstiegen, hatte die Taskforce zu sofortigem Handeln aufgerufen.
Anfang Juli zeigte sie sich alarmiert und richtete dringende Empfehlungen an Politik und Bevölkerung. Zum Beispiel Clubs, Discos und Bars zu meiden. Die Basler Epidemiologin Emma Hodcroft bezeichnete Kurzlockdowns in einem Tweet als gute Möglichkeit, die Verbreitung des Virus einzudämmen, wenn die Situation aus dem Ruder läuft. «Genau», kommentierte Egger dazu. Der Bundesrat prüft derzeit solche Mini-Lockdowns.
Die eben noch handzahme Taskforce nutzt neuerdings den Kurznachrichtendienst, um dem Bundesrat an den Karren zu fahren. Nicola Low, Professorin für Epidemiologie an der Universität Bern, twitterte an die Adresse von Alain Berset und Lukas Engelberger, dem Präsidenten der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren: «Die Fallzahlen stiegen schon im Sommer exponentiell. Sie steigen jetzt exponentiell, weil wir damals nicht gehandelt haben.»
Christian Althaus wundert sich derweil über Justizministerin Karin Keller-Sutter, die gemäss dem «Tages-Anzeiger» zuerst wissen will, welche Kosten die einzelnen Lockdown-Varianten verursachen: «Ähm, hätte der Bundesrat nicht sechs Monate Zeit, diese Rechnungen anzustellen?»
Am Freitag, als der Kanton Zürich auf weitergehende Massnahmen eher überraschend verzichtete, legten Wissenschafter nach. Nicht alle aber sind in den sozialen Medien mit pointierten Wortmeldungen unterwegs. Nüchterner äussert sich der Basler Epidemiologe Marcel Tanner (siehe auch Interview unten). Dass der Kanton St.Gallen Grossanlässe weiterhin erlaubt, kommentiert Tanner wie folgt: «Das ist gut so. Wenn der Kanton St.Gallen sieht, dass er diese Verantwortung tragen kann, ist das richtig.»
Laut Tanner müssen die Regierungen entscheiden: «Wie viel Ausblick ermögliche ich den Menschen, und wo muss man Massnahmen anordnen?» Das sei keine einfache Frage. Tanner stellt fest, dass viele Leute in den vergangenen Wochen «müde und ein bisschen entspannter» geworden seien. «Das hat zur neuen Situation geführt, in der man sich fragen kann, ob es wieder striktere Massnahmen braucht.» Die Taskforce sei der Meinung: Ja
Oder wie Berset gesagt hat: „Es ist ein Unterschied eine Meinung zu haben oder eine Entscheidung zu verantworten“.