Herr Tanner, einzelne Kantone erlauben Grossanlässe noch, andere verbieten sie, obwohl keine Infektionen durch solche Veranstaltungen festgestellt wurden. Ein Schnellschuss einzelner Kantone?
In der ersten Welle hat die Taskforce gesagt, dass die Personenzahl reduziert werden muss, weil sich dort viele Menschen begegnen. Dann kam die Öffnung, und wir kommunizierten klar, dass, wenn gute Schutzkonzepte vorliegen, wieder mehr Zuschauer zugelassen werden können. Jetzt sind wir wieder in eine schwierige Situation geraten. Bundesrat Alain Berset hat die Weisung noch stehen lassen, in Anerkennung, dass viele Veranstalter grosse Anstrengungen unternommen haben, und auch, um den Menschen einen positiven Ausblick auf die Zukunft geben zu können. Die Kantone haben aber die Möglichkeit, in einer besonderen Lage die Veranstaltungen wieder einzuschränken. Das sind keine Schnellschüsse.
Der Kanton St.Gallen hat zum Beispiel anders entscheiden.
Das ist gut so. Wenn der Kanton St.Gallen sieht, dass er diese Verantwortung tragen kann, ist das richtig. Am Schluss müssen die Regierungen entscheiden: Wie viel Ausblick ermögliche ich den Menschen, und wo muss man Massnahmen anordnen? Das ist keine einfache Frage. Wir haben darauf vertraut, dass die Leute mit den Grundmassnahmen und den Masken im öffentlichen Verkehr zurechtkommen. Aber es sind alle müde geworden und ein bisschen entspannter. Das hat zur neuen Situation geführt, in der man sich fragen kann, ob es wieder striktere Massnahmen braucht. Die wissenschaftliche Taskforce hat das mit Ja beantwortet.
Sind denn weitere Strategien geplant?
Es nützt nichts, neue Richtlinien aufzutürmen, wenn die Grundmassnahmen nicht eingehalten werden. Wir haben die drei Vorschriften Hygiene, Distanz und Masken im öffentlichen Verkehr. Setzen wir noch fünf weitere drauf, sagen die meisten Menschen, jetzt reicht’s. Die Grundmassnahmen haben aber gewirkt, das hat sich im Frühling gezeigt. Jetzt darf man dabei nicht nachlassen. Aber mit dem rasanten Anstieg der Fälle, der Hospitalisationen und der Intensivfälle braucht es noch zusätzliche Massnahmen.
Einige Hoffnung setzt man auf Schnelltests.
Schnelltests werden sehr hilfreich sein, und man kann diese an verschiedenen Orten sehr sinnvoll einsetzen. Die Tests haben zwar eine geringere Sensitivität als die PCR-Standard-Tests, weisen aber auf die infektiösen Personen hin. An der Validierung dieser Schnelltests in der Schweiz wird mit Hochdruck gearbeitet, sie können nächstens eingesetzt werden. Die Tests können an diversen Orten, wie zum Beispiel an einem Flughafen, das Identifizieren von infektiösen Angesteckten vereinfachen oder Besuche in Heimen ermöglichen. Schnelltests sind Teil der Strategien, aber keine Wundermittel. Sie ermöglichen, dass man in verschiedenen Prozessen schnellere Entscheide treffen kann und unter Umständen eine Veranstaltung dann auch laufen lassen kann.
Einige Länder machen Massentests mit diesen Schnelltests. Machen diese auch in der Schweiz Sinn?
Möglich ist das schon. Ob diese etwas nützen, ist eine Frage des richtigen Einsatzes von Massentests. Es gibt Massentests, bei denen man ein ganzes Dorf durchtestet, und zum anderen sogenannte Klassentests, bei denen man die Infektiösen direkt in einer Gruppe sucht. Es geht bei beiden ums Gleiche. Man geht in eine Gemeinde oder Gemeinschaft, weil man dort vermutet, dass ein Superspreader-Event stattgefunden hat. Das machen wir in der Schweiz mit der Strategie von Surveillance-Response (Überwachen und Antworten) jetzt ja schon. So sucht man, wo Übertragungen stattfinden, und ergreift dort und darum herum Massnahmen. Schnelltests können bei dieser Strategie helfen.
Die Roche-Schnelltests müssen noch durch medizinisches Personal gemacht werden. Kommt auch der Selbsttest für zu Hause?
Ja, die sind in Entwicklung. Die sind noch nicht EU-zertifiziert und validiert. Natürlich möchte man solche Hometests für Covid-19. HIV-Tests kann man inzwischen schon zu Hause machen. Bei den Hometests gibt es aber noch eine zusätzliche Problematik. Man hat auch bei HIV gesehen, dass man die Leute mit dem klaren oder unklaren schicksalhaften Resultat nicht alleine lassen darf. Wichtiger sind bei Covid-19 derzeit deshalb die aktuellen 15-Minuten-Schnelltests, die noch vom Labor bearbeitet werden.
Müssen wir auf die Impfstoffe hoffen? Von den Schweizer Forschern hört man zur Zeit nicht viel.
Die Schweizer Impfstoffe sind noch nicht in den klinischen Phasen, und diese Phasen sind entscheidend für die Bewertung des Potenzials.
Besteht trotzdem Hoffnung?
Ja sicher. Aus jenen rund zehn internationalen Anwärtern, die jetzt im klinischen Versuch sind, wird sich ein 1.-Generationen-Impfstoff entwickeln. Mit diesem sind die Schweizer Impfstoffe nicht gestorben. Sie sind Teil der zweiten Generation, für die man aus der ersten Generation Lehren gezogen hat. Wenn alles gut geht, dann können wir bis Mitte nächstes Jahr mit einem 1.-Generationen Impfstoff rechnen.
Haben sich die Risikogruppen verändert?
Es gilt nicht mehr die strikte Alterseinteilung. Zur Risikogruppe gehört jemand, der älter ist und eine oder zwei Vorerkrankungen hat. Nicht mehr strikt 65. Es gibt auch 60-Jährige und Jüngere, die durch Vorerkrankungen und Belastungen Risikopatienten sind.
Weiss man, wie viele Menschen allein an Sars-CoV-2 sterben?
Da gibt es global grobe Zahlen. Zehn Prozent der Menschen sterben allein an Sars-CoV2. Dann gibt es je nach Region auf der Welt und Situation 10 bis 15 Prozent der Todesfälle, die eventuell falsch klassifiziert worden sind und wo Patienten eigentlich an etwas anderem gestorben sind als an Covid-19. Das sind die berühmten Geschichten der Verkehrstoten, die auch noch positiv waren. Etwa 80 Prozent sterben wegen einer Covid-Infektion, verbunden mit einer Begleit- und Vorerkrankung.
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Der Aufschrei war gross und alle wollten lieber denen zuhören, die sagten das ginge viel schneller, da gäbe es doch Tricks und Methoden.
Im Februar noch wurde kolportiert, ein Impfstoff könne im Herbst zur Verfügung stehen, dann wurde es November, dann Jahresende, jetzt Sommer 2021.
Seht der Realität in die Augen. Diese #$@&%*! Seuche wird uns noch 1-2 Jahre beschäftigen.
Wenn man die Schweiz innert 30 Tagen einmal durchimpfen würde wollen, müssten 286‘000 Impfungen am Tag gemacht werden (bzw. für 60% Herdenimmunität 172‘000). Logistisch überhaupt stemmbar?
Was nutzt Eigenverantwortung, wenn es Arbeitgeber gibt die erst dann Home-Office wieder zulassen, wenn der Befehl von Oben kommt? Generell habe wir auch gesehen, dass Selbstverantwortung bei uns nicht funktioniert, denn offensichtlich geht es dabei nur ums "Ich" und nicht mehr ums "Wir".
Ich hoffe es ist eine Impfung möglich, jedoch hat das HIV Virus uns eines anderen belehrt.