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Grundsätzlich mutiert ein Virus ständig. Das Risiko, dass durch eine Variante die Massnahmen nicht mehr ausreichen, bleibt also latent. Mit dem Überwachungssystem könne man allerdings erkennen, sobald eine Variante in genügend grosser Menge auftritt, und die Schweiz gehöre zu den Spitzenreitern, was die Nachweise betreffe, erklärte das BAG am Dienstag. Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit, nahm dabei auch Stellung zur Situation mit den Varianten: «80 Prozent der nachgewiesenen Infektionen sind auf diese Varianten zurückzuführen.»
Die Virus-Mutationen sind in der Schweiz also weiterhin auf dem Vormarsch. Wie Emma Hodcroft, Epidemiologin an der Universität Bern, gestern Abend ebenfalls bestätigte, breitet sich in der Schweiz insbesondere die britische Variante B.1.1.7 sehr schnell aus und macht schon rund 80 Prozent der Fälle aus (dunkelrot):
Beim aktuellsten Stand am 8. März dominierte die britische Variante mit 79 Prozent, ein Monat zuvor waren es noch 50 Prozent, zu Beginn des Jahres rund 10 Prozent.
Das ist leider schwierig vorherzusagen, da die Infektionslage unsicher ist. Die Zahl der Ansteckungen stieg zuletzt leicht. Das BAG teilte an der Medienkonferenz gestern mit, dass die Zahlen sich innert vier Wochen verdoppeln werden. Womit wir bei täglich knapp 3000 Fällen Mitte April wären.
#B117 and other VOC evolution in #Switzerland. March 16.
— b117science (@b117science) March 16, 2021
- red dots estimate daily VOC numbers from product of estimated share of VOC from BAG and daily case numbers from @BAG_OFSP_UFSP
- red line is the 7 day moving average of the dots
- blue line for non-VOC
- black is total pic.twitter.com/eUCJjwpt4w
Eine dritte Welle sei momentan nicht auszuschliessen. Mathys wollte aber am Dienstag nicht eindeutig sagen, dass die dritte Welle begonnen habe, auch wenn es viele Modelle gibt, die darauf hindeuten.
Das letzte wissenschaftliche Update der Task Force des Bundes stammt vom 9. März. Dort wird bekräftigt, dass mit zunehmender Häufigkeit der B.1.1.7-Mutation grössere Anstrengungen nötig werden.
Dabei sei die Genfersee-Region der Gesamtschweiz in der Dynamik rund eine bis zwei Wochen voraus. Im aktuellen Modell der Task Force nehmen die Fälle mit B.1.1.7 weiterhin zu. Die tatsächlichen Fallzahlen liegen ungefähr auf dieser Kurve, auch wenn sie zwischendurch etwas abflachten (Achtung, die Grafik unten hört Ende Februar auf).
Das ist noch nicht endgültig geklärt. Am Montag wurde eine Studie in die Richtung veröffentlicht, demnach sei die Sterblichkeit innert vier Wochen nach dem positiven Test bei einer Infektion mit der B.1.1.7-Variante höher. Als Beispiel: Bei einem 55- bis 69-jährigen Mann steigt sie von 0,6 auf 0,9 Prozent. Was sich nicht nach viel anhört, obwohl die Zunahme hoch liegt.
Auch andere Hinweise deuten darauf hin, dass die Sterblichkeit höher ausfällt. Patrick Mathys erklärte am Dienstag darauf angesprochen: «Die britische Variante kann tatsächlich tödlicher sein, wir warten da auf weitere Studien.» Die Erkenntnisse würden in den nächsten Wochen belastbarer werden.
Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit, will keinen fixen Prozentsatz nennen, den es für Herdenimmunität benötigt. Sicher ist: Erreicht wird sie, wenn genügend Personen entweder Antikörper durch eine Infektion gebildet haben oder durch eine Impfung.
Auch bei der Herdenimmunität spielen die Varianten eine Rolle. Mathys holt aus: «Wir gehen davon aus, dass die ursprüngliche Variante eine Übertragungszahl von 3 bis 3,5 hat, das heisst: Jede Person steckt ohne Massnahmen circa 3 bis 3,5 Personen an.»
Um ohne Massnahmen (selbstlimitierend) leben zu können, müsste die Übertragungszahl auf unter 1. «Dafür müssten ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung immun sein», so Mathys.
Bei der Variante B.1.1.7 geht man momentan von einem Übertragungsvorteil von ungefähr 50 Prozent aus. Eine Person steckt rund 4,5 weitere an. «So sind wir bei 80 Prozent oder noch mehr, die immun sein müssten für die Herdenimmunität.» Diese 80 Prozent sind aber bekanntlich nicht das kurzfristige Ziel. Aktuell steht der Schutz der Risikogruppen im Fokus. Wie viele Personen sich in der Schweiz tatsächlich impfen werden, ist auch nach mehreren Befragungen noch ziemlich unklar.
Die Vakzine von Pfizer/BioNTech und Moderna schützen auch vor der B.1.1.7-Variante. Bei den Varianten aus Südafrika und Brasilien wirken die Impfstoffe nach aktuellen Erkenntnissen nicht mehr so gut. Das Präparat von AstraZeneca schützt gegen die südafrikanische Variante nur noch schwach, Pfizer/BioNTech und Moderna reduziert.
Praktisch in allen untersuchten Ländern entwickelt sich die B.1.1.7-Variante dominant. In Deutschland etwa wird mit einem starken Anstieg der Fallzahlen durch das B.1.1.7-Virus gerechnet, wie RKI-Statistiker Andreas Hicketier kürzlich twitterte:
Unsere neue Modellierung zur Ausbreitung von #B117 im heutigen @rki_de Lagebericht. Ist einfach eine Exponentialkurve, die perfekt passt. In 4 Wochen haben wir eine höhere Inzidenz als zu Weihnachten. #DritteWelle https://t.co/KmgspQ6DjC @m_hoehle @c_drosten @CiesekSandra pic.twitter.com/AeO5zKkCXi
— Andreas Hicketier (@and_hi_) March 12, 2021
Auch Emma Hodcroft publizierte ihre Analyse mit den Anteilen der B.1.1.7-Variante, welche zeigt, wie sich diese Mutation unter anderem in Deutschland stark verbreitet.
Deutlich auffallender sind die Entwicklungen aber beispielsweise in Grossbritannien oder Irland, wo das B.1.1.7-Virus praktisch alle anderen verdrängt hat. Auch in Dänemark, den USA oder Belgien und Italien ist der Vormarsch gewaltig.
Wir zeigen hier die Entwicklungen in ausgewählten Ländern mit den Daten von Emma Hodcroft. Bei der dunkelroten Fläche handelt es sich dabei jeweils um die B.1.1.7-Variante.
Wenn man die stark fallenden Zahlen in England, Irland, Portugal, Spanien oder auch Südafrika betrachtet, gibt es aber auch Hoffnung, dass dies bei uns 'danach' ebenfalls bald besser wird.
Auch der Frühling steht vor der Tür, das hilft ein wenig, wenigstens mental.