Sie sind frustriert: Genesene, die trotz durchgemachter Coronainfektion kein Zertifikat beantragen können. Nachdem CH Media über einen Mann berichtet hatte, der sich nicht impfen lassen will, weil zwei Antikörpertests bei ihm hohe Werte ergaben, meldeten sich zahlreiche Leserinnen und Leser. Alle sind in der gleichen Situation: Sie sind an Corona erkrankt, machten einen Antikörpertest und zweifeln aufgrund dessen Resultat am Nutzen der Impfung.
Eine Leserin sagt: «Immer wieder höre ich, dass ich eine Impfgegnerin sei. Das ist mir unangenehm. Ich habe zwei Mal meine Antikörper bestimmen lassen. Wären diese tief, hätte ich kein Problem mit einer Impfung.»
Ähnlich beschreibt es ein Leser: «Auch wenn es sehr selten ist, kann eine Impfung zu ungewünschten körperlichen Reaktionen führen. Solange ich aufgrund der durchgemachten Erkrankung geschützt bin, will ich dieses Risiko nicht eingehen. Ich sehe nicht ein, weshalb ich mich bloss fürs Zertifikat impfen lassen soll.» Beide kritisieren: Genesene werden aktuell benachteiligt.
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Dieser Protest dürfte in nächster Zeit zunehmen, wenn bei immer mehr Genesenen das Covid-Zertifikat abläuft. Nach ihrer bestätigten Infektion mittels PCR-Test ist es ein halbes Jahr gültig. Bei Geimpften ist das Zertifikat hingegen ein Jahr lang gültig. Diese Regelung gerät in Kritik. In den vergangenen Monaten sind Studien erschienen, die auf eine längere Immunität der Genesenen verweisen.
Mitte Juli veröffentlichten italienische Wissenschafterinnen und Wissenschafter in der Fachzeitschrift «Nature» ihre Resultate aus der kleinen Gemeinde Vò in Norditalien. Aus dieser stammt das erste offizielle italienische Covid-Todesopfer. Kurz nachdem das Virus in Vò grassierte, riegelten die Behörden den Ort ab.
Ein Forscherteam der Universität Padua reiste an, um die Einwohner zu testen. Dies wiederholten sie im Mai und November 2020. Dabei zeigte sich, dass die meisten Genesenen auch neun Monate nach der Infektion noch Antikörper gegen Sars-CoV-2 aufwiesen. Die Konzentration war nur leicht zurückgegangen.
Kurz zuvor fassten Wissenschafter der Charité Berlin ebenfalls in «Nature» neue Forschungsergebnisse zusammen. Ihr Fazit: Genesene weisen mindestens innerhalb des Untersuchungszeitraums von einem Jahr eine stabile Immunität auf. Einer der Autoren war der Immunologe Andreas Radbruch. Gegenüber CH Media hielt er fest:
Dies, weil Forschende bei ihnen Plasmazellen im Knochenmarkt fanden, die auch Jahre später noch Antikörper produzieren können. Gegenüber SRF gab das Bundesamt für Gesundheit diese Woche bekannt, dass aufgrund der neuen Studien die Verlängerung der Zertifikate für Genesene geprüft würden.
Die aktuelle Regelung stütze sich auf ältere Daten. «Wir werden sicher in der Schweiz und auch weltweit Anpassungen machen, sobald die Evidenz entsprechend vorhanden ist.»
Täglich erreichen auch Christoph T. Berger, Immunologe und Leiter der Impfsprechstunde am Universitätsspital Basel, Anrufe von verunsicherten Genesenen. Viele von ihnen wollen wissen, ob sie aufgrund des Resultats ihres Antikörpertests vor einer erneuten Infektion geschützt sind.
Berger muss dann abwinken: «Diese Tests erlauben mit dem aktuellen Wissensstand keine Aussage über den Schutz vor einer Reinfektion. Sie messen weder die Gedächtniszellen noch sagen sie etwas über die Funktion der Antikörper aus – also wie gut oder schlecht diese das Virus bekämpfen.»
Es gebe Menschen, die trotz geringer Anzahl Antikörper kaum Symptome bei einer Sars-Cov-2-Infektion aufweisen – oder umgekehrt solche, die trotz vieler Antikörper einen schweren Verlauf durchmachen. Die Menge der Antikörper besage daher per se nichts. Berger verweist auf die HIV-Forschung: «Dort beobachteten wir, dass zwar Impfungen in Studien getestet wurden, die eine sehr hohe Anzahl von Antikörpern generieren, die dann aber nicht vor Infektionen schützen. Antikörper sind also nicht alles.»
Deren Bestimmung bei Sars-Cov-2 sei einzig bei einigen wenigen Personengruppen sinnvoll – etwa bei schwer immunsupprimierten Menschen oder Organtransplantierten. «Der Test gibt Auskunft, ob ihr Immunsystem auf die Covid-Impfung reagiert hat oder nicht», sagt Berger.
Die meisten dieser Patientinnen und Patienten würden in der Regel nach den beiden Impfungen keine Antikörper aufweisen. Deshalb erhalten sie eine dritte Impfung. «Diese dient dazu, dass sie doch noch eine Immunantwort aufbauen. Sie ist nicht mit einem Booster zu verwechseln», sagt Berger.
Der Antikörpertest reicht jedoch als Nachweis dafür, dass Genesene nur eine Impfung benötigen. Weshalb also nicht auch beim Zertifikat, da inzwischen ein unterschiedlich langer Schutz von Genesenen und Geimpften in Frage gestellt wird?
Seitens des Bundesamts für Gesundheit heisst es dazu: «Neben dem fehlenden Schutzkorrelat ist ein weiterer Grund die fehlende generelle Validierung und Vergleichbarkeit der unterschiedlichen auf dem Markt verfügbaren serologischen Tests, sei es in der Schweiz als auch auf internationaler Ebene.» Auch auf europäischer Ebene würden die Antikörpertests ebenfalls nicht als Nachweis für ein Covid-Zertifikat gelten.
Ein Zertifikat, das einzig in der Schweiz gelten würde, sei aktuell nicht vorgesehen. Das würde zu «zahlreichen Umsetzungsprobleme in Bezug auf die Erstellung und Kontrolle des Zertifikats» führen, schreibt das Bundesamt für Gesundheit. Und hält fest: «Zudem lassen Studien darauf schliessen, dass Genesene durch die zusätzliche Impfung besser vor einer Infektion mit neuen Varianten geschützt werden.»