Die schriftlichen Lehrabschlussprüfungen finden dieses Jahr nicht statt, das hat der Bundesrat bereits entschieden. Hingegen unklar ist, wie es um die Maturaprüfungen steht. Die Gymnasien, Berufsmaturitätsschulen, Fach-, Wirtschafts- und Informatikmittelschulen warten noch immer auf einen Entscheid vom Bund. Die Erziehungsdirektorinnenkonferenz (EDK) will, dass die einzelnen Kantone selber entscheiden dürfen, ob die Abschlussprüfungen durchgeführt werden sollen oder nicht. Dies machte sie diese Woche in einem Brief an den Bundesrat geltend.
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Der Bund muss sich dem Thema jetzt annehmen. Derweil künden einige Kantone bereits an, die Abschlussprüfungen durchführen zu wollen – sofern sie die Kompetenz erhalten, dies selber zu entscheiden. In den Kantonen Thurgau, Zug und St.Gallen plädiert man für das Abhalten der Prüfungen, die Kantone Zürich und Bern wollen sie absagen.
Dagegen regt sich in einigen Kantonen Widerstand. In Whatsapp-Gruppenchats, über Online-Umfragen oder mit dem Zusammentragen von Unterschriften wehren sich die Abschlussklassen gegen die unterschiedliche Handhabung der Kantone. Sie wollen, dass die Prüfungen überall abgesagt werden. Es gründen sich Schüler-Komitees und Task-Forces, die dafür plädieren, dass der Bund eine nationale Lösung für die Abschlussprüfungen findet.
«Alles andere wäre ungerecht», sagt Aimee Bolt, 18 Jahre alt und Maturantin an der Kantonsschule Wil (SG). Sie ist eine der Organisatorinnen der #keineap2020-Bewegung, die sich vor einigen Tagen im Kanton St.Gallen gegründet hat – gleich nachdem der Bildungsdirektor erklärt hatte, dass die schriftlichen Maturaprüfungen stattfinden sollen. Schnell habe man sich mit den Gymnasien und Mittelschulen im Kanton vernetzt und eine Umfrage gestartet, die bereits von 600 Schülerinnen und Schüler ausgefüllt wurden. Laut Bolt ist die Meinung klar: «Die meisten wollen nicht, dass die Abschlussprüfungen stattfinden.»
Innert kürzester Zeit sei eine Webseite und ein Instagram-Kanal entstanden. Eine Online-Petition gegen Maturaprüfungen haben über 1400 Personen im Kanton unterschrieben. Darunter auch Professoren und Lehrpersonen. «Wir fordern vom Bund eine einheitliche Lösung für alle Schulen in der Schweiz», so Bolt. Die Matura sei ein eidgenössischer Abschluss, es mache kein Sinn, den Kantonen die Entscheidung zur Durchführung der Prüfungen zu überlassen. «In allen Kantonen müssen die Prüfungen mit gleichen Rahmenbedingungen für alle stattfinden können.»
Auch im Kanton Thurgau organisiert sich die Schülerschaft. Die 19-jährige Lu Leenders muss Stand jetzt im Juni an der Kantonsschule Romanshorn zur Maturitätsprüfung antreten. Sie ärgert sich über den Schweizer Kantönligeist. «Die Chancengleichheit ist nicht gegeben, wenn wir uns im Thurgau hinter die Prüfungen klemmen müssen, und die Zürcher Kantischüler nicht», sagt sie. Ausserdem falle es ihr und ihren Mitschülern derzeit schwer, sich auf die Prüfungen vorbereiten zu können. Der Fernunterricht erschwere die Situation und zuhause könnten sich nicht alle gleich gut konzentrieren.
Die Schüler haben ein Komitee gegründet, das aus Vertreter der vier Maturitätsschulen im Kanton Thurgau besteht. In Whatsapp-Chats tauschen sie neuste Entwicklungen aus und schreiben gemeinsam an einem Brief, den sie der zuständigen Regierungsrätin Monika Knill schicken möchten. Der Rückhalt sei sehr stark, sagt Leenders. «Von allen Schülerinnen in den Abschlussklassen gibt es nur einige wenige, die nicht mitmachen.» Alle anderen sind sich einig, dass es eine nationale Lösung für alle Mittelschulen braucht und die Prüfungen gestrichen werden sollen.
Für den 19 Jahre alten Jonas Kampus, Schüler am Gymnasium in Wetzikon (ZH) gibt es viele Gründe, warum die Prüfungen nicht stattfinden können. Die psychische Belastung sei jetzt höher, vielen falle das Lernen schwer und könnten sich nicht gut genug auf die Prüfungen vorbereiten. Ausserdem gebe es Schülerinnen und Schüler, die zur Risikogruppe gehören oder sie haben zuhause Familienangehörige, die gefährdet sind. «Von ihnen zu verlangen, dass sie sich über Stunden in einem Raum voller Menschen aufhalten sollen, ist nicht zumutbar.»
Kampus habe bis Mitte Woche noch gelernt, inzwischen habe er die Bücher aber beiseite gelegt. Nach dem positiven Signal der Zürcher Bildungsdirektorin ist er ziemlich sicher, dass die Prüfungen nicht stattfinden werden.
Genau das ist ein Problem solcher Prüfungen.
Es wird nur für die Prüfung gelehrt anstatt fürs Wissen.