Erneut stehen der Schweiz schwierige Weihnachten bevor: Die Fallzahlen sind jüngst auf über 10'000 pro Tag gestiegen, und Impfdurchbrüche haben zugenommen. Darum stellen sich Fragen, von denen wir hofften, nicht mehr mit ihnen konfrontiert zu werden: Ist es sicher, die Grosseltern ans Familienfest einzuladen? Braucht es einen Test, bevor sich die Verwandtschaft trifft?
CH Media hat drei Fachleute nach ihrer Einschätzung gefragt. Tanja Stadler, Marcel Tanner und Michael Riediker sind sich zwar in den Details nicht immer einig, sie raten aber allesamt dazu, sich vor dem Weihnachtsfest testen zu lassen, auch wenn man geimpft ist.
Nachfolgend die sieben brennendsten Fragen und die ausführliche Einschätzung der Fachleute:
Marcel Tanner, Epidemiologe: Man muss den Leuten aufzeigen, was sie dürfen, und nicht nur, was verboten ist. Sicher kann man im Familienkreis feiern und dabei die Grundmassnahmen der Hygiene und Distanz einhalten. Ist man dabei drinnen, muss man vor allem ans Lüften denken, um die Aerosol-Gefahr zu verringern. Auch auf die Distanz muss man achten. Gut wäre, vor der familiären Weihnachtsfeier einen Antigen-Schnelltest zu machen. Da die Antigen-Tests inzwischen auf 24 Stunden limitiert sind, fährt man relativ gut damit. Dafür kann man einen Selbsttest verwenden, den man noch zu Hause hat. Jene, die dann positiv sind, kommen nicht zur Feier, und die anderen wissen, dass sie nicht infektiös sind. Dann muss man nicht in der Familie Zertifikate kontrollieren, da besteht ja genug Vertrauen.
Tanja Stadler, Leiterin Task Force, ETH Zürich: Das Wichtigste zuerst: Wer kann, soll sich vorher eine 3. Impfdosis geben lassen – diese schützt gegen Delta sehr gut und sollte auch gegen Omikron einen gewissen Schutz bieten. Auch dieses Jahr sind leider Feiern nur im kleinen Kreis angezeigt, da der Virus stark in allen Bevölkerungsgruppen zirkuliert und wir auch davon ausgehen, dass sich Omikron schnell verbreitet und auch geimpfte Personen infiziert. Testen ist immer eine gute Idee. Es hilft - wenn immer möglich -, die Kontakte in der Vorweihnachtszeit stark zu reduzieren. Und überlegen Sie sich doch, Weihnachten nochmals draussen zu feiern im Wald oder bei einem Feuer.
Michael Riediker, Direktor SCOEH, Aerosol-Spezialist: Es ist auch dieses Jahr besser, nur im engsten Kreis zu feiern. Ich empfehle sehr, die Frage nach dem letzten Impf- oder Boostertermin schon vor dem Fest zu stellen, bereits beim Zusammenstellen der Gästeliste. Es dient dem Schutz der anderen, wenn jede Person die Bedingungen für ein Zertifikat erfüllt. Das geht hoffentlich auch ohne Türkontrolle.
Marcel Tanner, Epidemiologe: Grundsätzlich ja. Ich selbst werde noch vor Weihnachten an einem Pfadi-Treff teilnehmen. Obwohl wir alle geimpft und die meisten geboostert sind, werden wir uns zuvor am gleichen Tag testen lassen. Macht man ein 3G-Weihnachtsessen, macht es Sinn, die Tische nicht zu nahe zu stellen und beim Verlassen des Tischs eine Maske zu tragen. So wie nun in jedem Restaurant. Wenn man damit im Spätsommer begonnen hätte, wären wir heute in einer besseren Situation.
Tanja Stadler, Leiterin Task Force, ETH Zürich: Die Ansteckungszahlen sind momentan auf einem Rekordhoch. Bei einem solchen Essen muss man damit rechnen, dass es mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Infizierte unter den Gästen hat - ich würde deshalb dringend dazu raten, in Innenräumen, in denen viele Menschen auf 3G-Anlässen zusammenkommen, eine Maske zu tragen. Das bedeutet aber leider auch, dass grosse 3G-Veranstaltungen mit gemeinsamen Essen momentan schwierig sind.
Michael Riediker, Direktor SCOEH, Aerosol-Spezialist: Auch wenn alle 3G sind, kann es doch zu Ansteckungen kommen. Hier gilt es abzuwägen. Wenn es nicht geboosterte Risikopersonen an der Feier hat, vertraut man besser nicht nur auf lange zurückliegenden Impfschutz oder Erkrankung. Besser, man lässt sich testen. Dabei ist besonders bei Ungeimpften ein frischer PCR-Test empfehlenswert.
Marcel Tanner, Epidemiologe: Die Impfung verhindert sehr wirksam, dass die Geimpften nicht schwer krank werden. Aber es bleibt das Risiko, dass Geimpfte dennoch auch infiziert werden können. Deshalb ist es im Sinne der Gemeinschaft sinnvoll, das zu machen.
Tanja Stadler, Leiterin Task Force, ETH Zürich: Ja, ich finde das sinnvoll, besonders wenn Sie noch nicht ein drittes Mal geimpft sind.
Michael Riediker, Direktor SCOEH, Aerosol-Spezialist: Testen würde ich immer, wenn es nicht geboosterte Risikopersonen unter den Gästen hat. In allen anderen Fällen: Wenn ihre Impfung schon einige Monate zurück ist, macht ein Antigen-Test direkt vor dem Fest Sinn. Bei frisch Geboosterten ist das Risiko, ansteckend zu sein, dagegen recht klein.
Marcel Tanner, Epidemiologe: Wenn sie vorher einen Antigen-Schnelltest machen, dann schon. Weil dieser nur noch 24 Stunden gültig ist, eignet er sich gut, um infektiöse Menschen zu identifizieren.
Tanja Stadler, Leiterin Task Force, ETH Zürich: Ich mache zurzeit sowieso nur Essen im kleinsten Kreis, und da sind alle, ausser Kindern, die sich noch nicht impfen lassen können, doppelt geimpft. Ich verstehe den Wunsch, an Weihnachten zusammen zu sein. Es ist eine schwierige Entscheidung, wenn da Ungeimpfte dazugehören, die ein grosses Ansteckungsrisiko haben. Wenn sich alle vorher testen lassen und im Vorfeld bewusst die Kontakte stark reduzieren, ist das Risiko für alle kleiner.
Michael Riediker, Direktor SCOEH, Aerosol-Spezialist: An Weihnachten darf man mit Freuden Geschenke weitergeben, sicher aber keine Viren. Daher: Wer ungeimpft an ein Fest geht, sollte unbedingt dafür sorgen, dass er oder sie nicht ungewollt andere ansteckt. Ein PCR-Test direkt vor der Feier ist hierfür wohl einfacher als eine zweiwöchige Selbstquarantäne.
Marcel Tanner, Epidemiologe: Dann sollte man der Grossmutter so schnell wie möglich sagen, dass sie sich jetzt boostern muss. Sonst sollte man konsequenterweise verzichten. Oft fehlt vielen zur Zeit etwas die Konsequenz und Kohärenz im Handeln. Wir sind, unter anderem dank der Impfung und der Antigenschnelltests, in einer besseren Lage, und so dürfen wir jetzt nicht über Massnahmen beschliessen mit Kenntnissen, die man vor einem Jahr hatte; beispielsweise Schliessungen von zwei Wochen. Das birgt grosse soziale wie wirtschaftliche Risiken und wirft uns zurück ohne grossen Effekt.
Tanja Stadler, Leiterin Task Force, ETH Zürich: Versuchen Sie, alles daranzusetzen, dass Ihre Grossmutter die dritte Impfung möglichst noch vor Weihnachten erhält. Wenn das nicht möglich ist, können Sie ein Treffen draussen beispielsweise mit einem Spaziergang und einem Glühwein planen.
Michael Riediker, Direktor SCOEH, Aerosol-Spezialist: Weshalb lässt sich die Grossmutter denn nicht boostern? Wenn man jetzt fragt, kann man sie vielleicht noch überzeugen, das vor dem Fest nachzuholen. Und sonst machen halt alle anderen die oben beschriebene Prozedur für ein Fest mit nicht geboosterten Risikopersonen.
Marcel Tanner, Epidemiologe: Nein, wenn die Kinder infiziert aus einer Schule mit vielen Ansteckungen kommen, sollten die Eltern nicht an eine auswärtige Weihnachtsfeier gehen. An einer Waldweihnacht teilzunehmen, bleibt dagegen möglich, falls Grundmassnahmen und Masken beachtet werden.
Tanja Stadler, Leiterin Task Force, ETH Zürich: Die Varianten Delta und Omikron verbreiten sich leider auch unter doppelt Geimpften. Bleiben Sie doch mit Ihren Kindern zusammen zu Hause, geniessen Sie die Adventszeit, und helfen Sie dabei gleichzeitig mit, Transmissionsketten zu durchbrechen und weniger Menschen anzustecken.
Michael Riediker, Direktor SCOEH, Aerosol-Spezialist: Nein, definitiv nicht. Wer mit angesteckten Kindern zusammenwohnt, kann sich sogar als geimpfte Person anstecken. Nur weil es hier eine Lücke in den Regeln gibt, sollte man diese nicht zum möglichen Schaden anderer ausnützen.
Marcel Tanner, Epidemiologe: Die Tendenz ist steigend, aber die weitere Verbreitung hängt auch von den Massnahmen und deren Einhaltung ab. Im Kampf gegen Omikron nützt es nichts, wenn man ein paar Länder ausschliesst. Omikron ist inzwischen breit und beinahe überall vorhanden. In Südafrika hat man gesehen, dass Omikron Delta rasch verdrängen kann. Aber jetzt stecken wir mitten in der Delta-Welle. Die 10'000 Menschen, die nun täglich noch bis Weihnachten infiziert werden, stecken sich mit Delta an, nur ganz wenige mit Omikron. Es braucht jetzt keine Omikron-Panik, wir müssen uns um das kümmern, was dominiert - und das ist Delta.
Tanja Stadler, Leiterin Task Force, ETH Zürich: Das kann natürlich niemand mit Sicherheit sagen. Daten aus anderen Ländern lassen aber darauf schliessen, dass auch bei uns Omikron zu Weihnachten schon einen grossen Anteil der Infektionen ausmachen wird. Wie hoch die Fallzahlen aufgrund von Omikron dann sein werden, hängt auch davon ab, wie gut es uns gelingt, mit den üblichen Massnahmen und der dritten Impfung den momentanen Trend bei den Infektionen zu bremsen. Deshalb meine Bitte: Helfen Sie alle mit, damit uns das gelingt!
Michael Riediker, Direktor SCOEH, Aerosol-Spezialist: Das wüsste ich auch liebend gerne! Wenn ich die ersten anekdotischen Berichte zu den Virenlasten anschaue und das kombiniere mit den Berichten zu extrem hohen Übertragungsraten, erwarte ich bei Omikron nochmals deutlich mehr Super-Verbreiter. Angesichts rasant steigender Fallzahlen hoffe ich sehr, dass die Bevölkerung Kontakte einschränkt, sich nur im engsten Kreis trifft und zum Singen ins Freien geht – oder sich dafür einen turnhallengrossen gut belüfteten Saal sucht.