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CVP gewinnt vor Bundesgericht: Heiratsstrafe bleibt Herausforderung.

Pirmin Bischof, Conseiller aux Etats soleurois pour le Parti democrate-chretien suisse, (PDC), parle aux journalistes devant le Tribunal federal apres une audience publique concernant un recours dans  ...
Die CVP triumphiert am Bundesgericht: Ständerat Pirmin BischofBild: KEYSTONE

Jetzt triumphieren, aber bald beginnt der Kampf für die CVP von vorne

Das Bundesgericht wirft dem Bundesrat Fehlinformation vor und annulliert die Abstimmung. Die CVP erringt einen wichtigen Erfolg — doch einfach neu abstimmen will die Partei nicht. Das hat einen Grund.
11.04.2019, 15:32
Doris Kleck / ch media
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Der Unterschied war minim: 50.9 Prozent der Stimmberechtigten lehnten im Februar 2016 die Volksinitiative der CVP «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» ab. Nur 27'500 Personen hätten statt ein Nein ein Ja in die Urne legen müssen und das Begehren wäre akzeptiert worden. Wäre es so gekommen, wenn der Bundesrat mit den richtigen Zahlen im Abstimmungskampf operiert hätte? Das Bundesgericht hält dies für möglich. Und hat die Abstimmung für ungültig erklärt.

Damit nimmt der epische Kampf gegen die Heiratsstrafe eine weitere Wende. Begonnen hat er vor 35 Jahren – ebenfalls in Lausanne. Damals stellte das Bundesgericht fest, dass Ehe- gegenüber Konkubinatspaaren steuerlich nicht benachteiligt werden dürfen. Viele Kantone haben diese Ungleichbehandlung abgeschafft.

Der Bund hat zwar ebenfalls Schritte in diese Richtung unternommen, doch seit je tobt ein Streit im Parlament zwischen Konservativen und Progressiven. Zwischen denjenigen, die Ehepaare gemeinsam besteuern wollen, und jenen, welche die Individualbesteuerung bevorzugen.

Die Stimmbevölkerung hätte mit der CVP-Initiative einen Schlusspunkt unter diese Diskussion setzten sollen – so die Vorstellung der damaligen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf. Es kam anders. Und seit gestern ist klar: «Die Zähler stehen wieder auf null», sagt CVP-Ständerat Pirmin Bischof. Der Kampf beginnt wieder von vorne. Und mittendrin die CVP.

Genaue Schätzung unmöglich

Ihre Vertreter strahlten in Lausanne um die Wette. Seit letztem Sommer fühlten sie sich um einen grossen Sieg gebracht. CVP-Präsident Gerhard Pfister sprach von einem «bundesrätlichen Betrug am Wahlvolk».

Es war eine Medienmitteilung des Finanzdepartements, welche die CVP derart in Wallung versetzt hatte. «Von der Heiratsstrafe sind erheblich mehr Zweiverdienerehepaare betroffen, als die Eidgenössische Steuerverwaltung bisher beziffert hat», teilte der Bund damals mit. Nämlich 454'000 und nicht 80'000.

Das im Abstimmungskampf zur CVP-Initiative oft vorgebrachte Argument, von der Heiratsstrafe sei nur eine kleine und erst noch gut situierte Zahl von Doppelverdienern betroffen, verlor auf einen Schlag seine Berechtigung. Verschiedene CVP-Exponenten reichten eine Beschwerde ein und verlangten die Aufhebung der Abstimmung. Die Lausanner Richter hiessen sie gut: mit vier zu eins Stimmen sogar deutlich. Der Coup kam unerwartet. Nie zuvor hatte das Bundesgericht eine eidgenössische Abstimmung annulliert.

Pirmin Bischof, gauche, Conseiller aux Etats soleurois pour le Parti democrate-chretien suisse, (PDC), et Claude Begle, droite, Conseiller national vaudois, (PDC), sortent devant le Tribunal federal a ...
CVPler freudestrahlend vor dem Bundesgericht. Bild: KEYSTONE

In diesem Fall waren sich die Richter jedoch einig: Der Bundesrat hat das Recht der Bürger auf objektive und transparente Information verletzt und ihnen wichtige Elemente vorenthalten.Die Regierung hatte gegenüber dem Bundesgericht die Differenz zwischen 80 000 und 454 000 mit zwei Faktoren erklärt.

Erstens mit der Zunahme der Steuerpflichtigen, der höheren Erwerbstätigkeit und Einkommen. Zweitens mit einer Änderung der Schätzmethode. Man solle Schätzmethoden ändern können, ohne dass damit alte Entscheide infrage gestellt würden, argumentierte der Bundesrat.

Er stützte sich zudem auf ein Gutachten eines unabhängigen Experten. Dieser sah sich nicht in der Lage, eine verlässliche Zahl der betroffenen Doppelverdienerehepaare zu eruieren, weil die Datenlage schlicht zu schlecht sei. Je nach Annahmen bezüglich der Einkommensverteilung zwischen den Partnern ergeben sich unterschiedliche Resultate.

«In Kauf genommen»

Mit anderen Worten: Der Bundesrat stellte selbst fest, dass seine Schätzung von 80'000 Betroffenen mit Unsicherheiten verbunden war. Die Lausanner Richter kritisierten, dass er diese nicht transparent gemacht hat. Die Zahl von 80'000, die im Abstimmungsbüchlein stand, wurde nie öffentlich infrage gestellt.

«Der Bundesrat hat die Abstimmungsfreiheit schwer verletzt und falsch informiert.»
Richter

Für den Stimmbürger war nicht ersichtlich, dass die Zahl der Betroffenen viel höher sein könnte. Dazu kommt, dass die Zahl von 80'000 aus dem Jahr 2001 stammt. Die Verwaltung hatte eine aktualisierte Zahl von 144'000 Betroffenen vor der Abstimmung bewusst nicht publik gemacht. Das sei «schockierend», sagte ein Richter.

Bei der abgelehnten Beschwerde zur Unternehmenssteuerreform II habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass der Bundesrat eine falsche Schätzung in Kauf genommen habe: «Hier hat er es aber gemacht. Er hat die Abstimmungsfreiheit schwer verletzt und falsch informiert.»

Alle fünf Richter betonten, dass die Hürden für eine Annullierung einer Abstimmung hoch seien. In der Abwägung müsse etwa auch die Rechtssicherheit berücksichtigt werden. Diese war ein wichtiger Grund bei der Ablehnung der Abstimmungsbeschwerde zur Unternehmenssteuerreform.

Im Heiratsstrafe-Fall sahen die obsiegenden Bundesrichter darin jedoch kein Hindernis. Denn die Initiative wurde abgelehnt – es gibt nichts, was man rückgängig machen müsste. In der Abwägung spielte auch das knappe Ergebnis eine wichtige Rolle sowie, dass die Mehrheit der Kantone Ja gesagt hat. Das Gremium kam zum Schluss, dass die Abstimmung anders hätte ausfallen können.

Der unterlegene Richter hatte zuvor argumentiert, er halte es für unwahrscheinlich, dass es auch mit den neuen Zahlen zu einem anderen Resultat gekommen wäre. Seine Herleitung überzeugte die Kollegen jedoch nicht. Im Gegenteil: «Ich kenne die Formel der Wahrscheinlichkeit nicht», monierte ein Bundesrichter leicht spöttisch.

Das Problem der EhedefinitionDer Entscheid ist ein Novum. Und noch ist unklar, wie es weitergeht. Der Ball liegt beim Bundesrat. Dieser wird das Vorgehen erst nach der Analyse der schriftlichen Urteilsbegründung festlegen. Im Prinzip hat er zwei Optionen. Er kann entweder nur die Abstimmung oder auch die parlamentarische Beratung wiederholen lassen. Letzteres fordert CVP-Ständerat Bischof.

Er weist darauf hin, dass auch die Parlamentarier aufgrund falscher Fakten entschieden haben. Vor allem aber käme dadurch die Möglichkeit eines Gegenvorschlages ins Spiel. Daran hat die CVP ein Interesse, denn der Initiativtext enthält auch eine umstrittene Definition der Ehe, nämlich als Verbindung zwischen Frau und Mann.

Diese Ehedefinition war laut Vox-Abstimmungsanalyse der wichtigste Grund für die Ablehnung der Initiative. Der CVP ist es denn auch schon länger nicht mehr wohl damit. Bei der letzten Beratung hatte die CVP selbst einen Gegenvorschlag zur eigenen Initiative eingebracht – ohne die Ehedefinition.

GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy, quasi die Mutter der «Ehe für alle», würde einen Gegenvorschlag begrüssen. Allerdings stört sie sich nebst der Ehedefinition auch am Verbot der Individualbesteuerung, das die Initiative beinhaltet. Hier bricht der alte Konflikt wieder auf zwischen Konservativen und Progressiven. Nur hat die CVP seit gestern ein wertvolles Verhandlungspfand in der Hand.

Kompromissvorschlag liegt vor

Der Bundesrat hat schon vor sieben Jahren einen Kompromissvorschlag zur Abschaffung der Heiratsstrafe vorgelegt, der derzeit wieder im Parlament hängig ist. Er schlägt das Modell der «alternativen Berechnung» vor. Doppelverdienerehepaare würden zweimal veranlagt: einmal gemeinsam und einmal individuell. Bezahlen müssten sie dem Fiskus den tieferen Betrag.

Die Wirtschaftskommission des Ständerates wird am 2. Mai entscheiden, wie es mit dieser Vorlage weitergeht. Eine Möglichkeit wäre, daraus einen Gegenvorschlag zur Initiative zu machen. Bischof sagt, dass er mit dem Vorschlag leben könnte. Ob es also tatsächlich zu einer Wiederholung der Abstimmung kommt, ist unsicherer denn je.

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