Die Stimme ist rauer als sonst, der Blick glasig. «Mit dieser Scheibe muss ich aufpassen, was ich Ihnen erzähle», scherzt Jonas Projer, während er das erste Neocitran des Tages in einem Becher mit heissem Wasser auflöst, den er für 60 Rappen in der SRF-Cafeteria gekauft hat.
Seit Anfang Woche schleppt sich der «Arena»-Moderator trotz schwerer Erkältung ins Büro. Das passt zu ihm. Die Koketterie mit der Scheibe ebenso. Natürlich wird kein unbedachtes Wort über seine Lippen kommen – angeschlagenes Immunsystem hin, Medikamentennebel her.
Denn Unbedachtheiten haben im System Projer keinen Platz. Einem Schach-Profi gleich, sieht er die Folgen jedes Spielzugs voraus. Wie kontert der Gegner, wo wird's gefährlich, wo erst richtig interessant?
Vor seinen Sendungen studiert der Moderator die Positionen seiner Gäste so lange, bis er sie selber im Brustton der Überzeugung wiedergeben kann. Neue Kampfflugzeuge? «Unbedingt, ohne sie wäre die Schweizer Armee wie ein Haus ohne Dach!» Oder: «Warum denn, wenn die Schweiz doch von Freunden umzingelt ist?»
Er weiss, welche Köder er auswerfen muss, um seine Gäste aus der Reserve zu locken. Und welche Karte er ausspielen muss, um die Runde wieder zu einen.
Zumindest in der Theorie. In der No-Billag-Debatte musste sich Projer den Vorwurf gefallen lassen, er habe sich von Emotionen leiten lassen, sei in der Runde eher Betroffener als Dompteur gewesen.
Und als er letzte Woche die «Arena» zum Fall Rupperswil ankündigte, brach eine Welle der Empörung über die Redaktion herein, die in ihrer Heftigkeit wohl selbst Projer selbst überrascht hat. Quotenbolzerei!, schrien die einen. Ob Projer nun das Kunststück schaffen wolle, schon vor der Sendung die ersten Beschwerden einzufahren, fragten andere.
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— Beat Flach (@beatflach) 15. März 2018
Abwegig ist der Gedanke nicht: Mit seiner Ganser-«Arena» hat Projer der Ombudsstelle mehr Beschwerden beschert als irgendein anderer Moderator mit irgendeiner anderen Sendung vor ihm. Auch die Abstimmungs-Sendung zu No Billag gehört zu den meist kritisierten der letzten Jahre.
Oft zielen die Absender dabei auch auf die Person Projers. Der «Arena»-Chef habe Roger Schawinski in den Beanstandungen als Reizfigur Nummer 1 beim Schweizer Fernsehen abgelöst, sagt Ombudsmann Roger Blum zu watson. «Es ist schon auffällig, wie oft bei ihm auf den Mann gespielt wird.» Immer wieder fordern erzürnte Zuschauer gar die Absetzung des Moderators.
Wenn Projer die Anwürfe nahe gehen, lässt er es sich nichts anmerken. «Die Leute regen sich ja nicht über mich als Jonas Projer auf, sondern über die Rolle, die ich einnehme.» Es gelinge ihm gut, die beiden Bereiche zu trennen.
Das private Ich legt er vor der Sendung in der Garderobe ab. Dann zieht er ein neues Hemd an, einen neuen Anzug. Die Visagistin verpasst ihm ein Make-up, inklusive Wimperntusche («unsichtbar für den Zuschauer, laut den Expertinnen in der Maske aber wichtig für den Ausdruck am Bildschirm»). Fertig ist der Teflon-Projer, an dem fast jede Kritik abprallt.
Der 37-Jährige hat einen schwindelerregenden Aufstieg hinter sich. Mit nur 28 Jahren schickte das SRF den studierten Filmwissenschaftler aus Winterthur als Korrespondent nach Brüssel. Die Branche war begeistert: Projer mache «in der Eurokrise einen Riesenjob» schrieb das Magazin «Schweizer Journalist» und kürte ihn zum Newcomer des Jahres.
Letztes Jahr kam der Titel «Journalist des Jahres 2017» hinzu. Und bereits brachte der «Schweizer Journalist» ihn als möglichen Nachfolger für SRF-Direktor Rudolf Matter ins Gespräch. Da sei die Fantasie mit dem Autor durchgegangen, lacht Projer. Und überhaupt: Er will noch eine Weile «Arena»-Moderator bleiben.
Denn es gibt da etwas, was ihn aufregt. Und zwar so richtig. «Viele Menschen sind schlicht nicht mehr bereit, andere Meinungen auszuhalten.» In Zeiten von Social Media sei die Toleranz, sich nur schon andere Ansichten zuzumuten, stark gesunken. «Oft höre ich von Leuten: Wenn Blocher oder Wermuth mitdiskutieren, dann schalte ich gar nicht erst ein.»
Doch gute Argumente, ist Projer überzeugt, entstehen durch Reibung, nicht in der Filterblase. «Der Kern der Arena, wie ich sie verstehe, ist die ständige Vermutung, dass der Gegner vielleicht auch recht haben könnte.» Und die Annahme, dass auch der andere das Beste für das Land will, fügt er an. Seine eigenen politischen Überzeugungen gibt der Journalist aus Prinzip nicht preis.
Von der Linken muss sich Projer häufig anhören, er bediene eine rechte Agenda. Von rechts argwöhnt es derweil, die linke Gesinnung der SRG-Journalisten drücke in der Sendung immer mal wieder durch. Und die Mitte, die fühlt sich ohnehin untervertreten. In solchen Momenten zückt Projer seine Excel-Tabelle. Wetten, dass die Redezeit pro Partei über das Jahr ihrer Wählerstärke entspricht? Zahlen lügen nicht.
Ein Thema nicht zu behandeln, «weil es heikel ist», das wäre völlig falsch, meint er mit Blick auf Rupperswil. Nur müsse man es eben anständig tun. Nimmt man die Reaktionen auf Twitter zum Massstab, ist das im aktuellen Fall gelungen. Die Aufregung war nach der Sendung wie weggeblasen. Und die Zuschauerquote deutlich unter dem Schnitt. 126’000 Menschen schauten sie, das entspricht einem Marktanteil von 16 Prozent.
Natürlich war Projer an der anfänglichen Aufregung nicht unschuldig. «Wieso kann man Thomas N. nicht einfach wegsperren – und den Schlüssel wegwerfen?», textete seine Redaktion die Sendung in Stammtisch-Manier an. Und nein, man tat es nicht, weil man es nicht besser wusste.
Projer stellt sich auf den Standpunkt, der beste Journalismus nütze nichts, wenn er niemanden erreiche. «Wenn eine Sendung bei den Emotionen beginnt, macht sie vieles richtig. Aber wenn sie bei den Emotionen aufhört, alles falsch.» Aus einem dumpfen Bauchgefühl soll eine differenzierte Meinung werden, so der Anspruch der Sendungsmacher.
Wenn dabei Quote und Inhalt stimmt – umso besser. Im Zweifelsfall entscheide er sich aber immer für letzteres, beteuert Projer.
Er weiss: Notfalls muss er jeden seiner Entscheide vor Bundesgericht vertreten können. Dort landen Beschwerden gegen seine Sendungen letztinstanzlich. Projer versucht, dieses Damoklesschwert als «Challenge» zu sehen, nicht als «Albdruck». Die Messlatte liegt hoch, auch während der Sendung. «Die Herausforderung besteht darin, innert Sekunden Sätze zu formulieren und Entscheide zu fällen, die belastbar sind.»
Gibt es eine Sendung, die er bereut? Die er am liebsten ungeschehen machen würde? Für einmal schweigt Projer lange. Zehn Sekunden Stille auf dem Aufnahmegerät. Dann: «Es kommt vor, dass ich Fehler mache. Dass ich nicht so ruhig bleibe, wie ich es selber will. Aber eine Sendung darum in Bausch und Bogen verwerfen? Nein.»
Als rastlosen Schnelldenker beschreiben Arbeitskollegen den «Arena»-Chef. Als einen, der selbst auf dem Weg in die Cafeteria noch rasch eine Mail beantwortet. Projer selber zählt nicht mehr, wie viele Stunden er pro Woche arbeitet. Wenn er seine Kinder ins Bett gebracht hat, liest er sich oft noch in das Thema der nächsten Sendung ein. Mit seiner Frau, einer Genferin, hat er zwei Buben (7, 1) und zwei Zwillingsmädchen (5).
Wie das Paar alles unter einen Hut bringt? «Mit Ach und Krach, wie andere Mütter und Väter auch.» Als berufstätige Eltern sei man «immer 1,5 Grad Körpertemperatur vom Betreuungskollaps entfernt», sagt Projer. Kommt der Anruf aus der Krippe, weil ein Kind Anzeichen von Fieber zeigt, müsse jemand springen: Er, seine Frau, die Grosseltern oder Freunde.
So etwas wie Freizeit kennt der Journalist nicht. In der warmen Jahreszeit fährt er manchmal mit der Vespa zur Arbeit. Sieben Minuten dauert der Weg. «Das sind die einzigen sieben Minuten, die ich ganz für mich habe», sagt Projer ohne Bedauern in der Stimme. Es sei für ihn das grösste Glück, Zeit mit seiner Familie zu verbringen, den Zwillingen abends «Ronja Räubertochter» vorzulesen oder mit dem Grossen in einem Comic zu blättern.
Zudem, meint er mit einem Anflug von Galgenhumor, sei die Zeit mit den Kindern ja nur während rund 20 Jahren so intensiv.
Das Handy auf dem Tisch vibriert. Nein, nicht die Krippe. Christa Rigozzi. Die Co-Moderatorin der Sendung «Arena/Reporter» versucht es schon zum zweiten Mal. «Hi Christa, kann ich dich zurückrufen?»
Nun versuche es die «Arena» im Quotenkampf mit Sex and Crime, hatte ein Medienkritiker gespottet, als Projer das neue Format mit Beteiligung der Ex-Miss letzten Sommer aus dem Hut gezaubert hatte.
Stimmen wie diese sind nach der ersten Sendung weitgehend verstummt. Und Projers Plan, der ist einmal mehr aufgegangen. Keine Sekunde hatte er daran gezweifelt, dass Rigozzi, die studierte Medienwissenschaftlerin und Kriminologin, einen souveränen Auftritt hinlegen würde. «Was sagt es denn über Menschen aus, die einer Frau aufgrund ihres Aussehens die Kompetenz absprechen?», ist das einzige, was er nun zum Thema noch zu sagen hat. Schachmatt.
Wenn das Scheinwerferlicht am Freitagabend im Studio angeht und der Teflon-Projer mit seiner Mascara in der Manege steht, dann geht das Spiel in eine neue Runde. Die ersten Köder wird er schon auswerfen, bevor die Aufnahmelampe angeht. «Kann ich noch etwas Puder haben, damit ich brilliere und nicht glänze?», ruft er dann durchs Studio. Oder: «Bitte keine Tomaten werfen – oder zumindest nicht auf den Moderator.»
Damit hat er die ersten Lacher des Abends auf sicher. Zumindest der Eröffnungszug gelang Projer, dem Profi, noch jedes Mal.