Am Mittwoch vor Auffahrt erlebten mehrere hundert Schweine die absolute Hölle. In einem Schweinezuchtbetrieb im St. Gallischen Gossau brach ein Brand aus, zwei Ställe waren vom Feuer betroffen, erst um 18 Uhr konnte die Feuerwehr die Lage unter Kontrolle bringen.
Menschen kamen keine zu Schaden, 810 der 1500 Schweine jedoch schon. Sie befanden sich in demjenigen Stall, der komplett ausbrannte und dessen Dach einstürzte. Die 810 Schweine verendeten elendiglich. 90 Muttersäue und 600 Ferkel konnten gerettet werden.
Auf Anfrage von watson sagt der Schweizer Bauernverband:
Doch wie konnte es zu einem solchen Brand kommen? Wie steht es um den landwirtschaftlichen Brandschutz in der bis auf den letzten Kieselstein reglementierten Schweiz? Wer trägt bei einer solchen Tragödie die Verantwortung? Eine Übersicht.
«Wir haben die Tiere die ganze Nacht lang brüllen hören, es war schrecklich», sagte ein Anwohner zur Zeitung «24 heures». Im vergangenen Dezember ist in der Gemeinde Bottens (VD) einer der grössten Bauernbetriebe des Kantons niedergebrannt.
Die Bilanz: 500 Tiere, hauptsächlich ausgewachsene Rinder und Kälber, verendeten, einige der Tiere mussten aufgrund einer Rauchvergiftung oder wegen schwerer Brandverletzungen eingeschläfert werden. Auch ein französischer Arbeiter, der auf dem Bauernhof wohnte, kam beim Brand ums Leben.
Allerdings könnte der Vorfall in Bottens gemäss der Waadtländer Polizei einen kriminellen Hintergrund haben. In der Zwischenzeit wurden zwei 18-jährige Männer festgenommen, einer der beiden befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft, der andere wurde wieder freigelassen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Brände in Gossau und Bottens sind keine Einzelfälle, immer wieder brennen in der Schweiz Tierhaltungen nieder. «Alleine 2023 starben über 1000 Tiere bei Stallbränden» sagt Tobias Sennhauser von der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (TIF) in einer Medienmitteilung.
Nebst den 500 Tieren in Bottens kamen im vergangenen Jahr bei einem Brand in Richenthal (LU) 400 Ferkel ums Leben. Auch in den Jahren zuvor starben in der Schweiz bei Bränden mehrere hundert Nutztiere.
«Für die Tiere bedeutet ein Stallbrand höllische Qualen», betont Sennhauser. Die Tiere würden dabei nicht an einer Verbrennung sterben, sondern aufgrund des entstehenden Kohlenmonoxids ersticken. «Es ist etwas vom Schlimmsten, was man einem Tier antun kann», sagt eine Tierärztin gegenüber dem Onlinemagazin «Das Lamm».
Angesprochen auf mögliche Auslöser für den Brand mit 810 toten Schweinen in Gossau sagt Pius Odermatt, Leiter Politik beim Schweizer Tierschutz STS: «Zur Ursache des aktuellen Falles kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts sagen.»
Der Schweizer Tierschutz STS stelle jedoch fest, dass es bei der Haltung von Nutztieren oft zu technischen Mängeln komme. «Auch Alarmanlagen werden oft gar nicht installiert», so Odermatt weiter. Und:
Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband möchte sich zu möglichen Ursachen ebenfalls nicht äussern. Es lägen noch zu wenige Informationen vor. Für jeden Stall gebe es Brandschutzvorschriften, «Tatsache ist aber, dass auch diese es nicht immer verhindern können, dass es zu einem Brand kommt».
Die Kantonspolizei St. Gallen sagte auf Anfrage, die Ermittlung der Brandursache sei noch am Laufen.
Landwirtschaftliche Betriebe sind mit ihren elektrischen Anlagen gemäss Tierschutzorganisationen generell Gefahrenherde, da sie Einwirkungen wie z.B. Temperatur, Feuchtigkeit und Stalldünsten ausgesetzt sind. Nässe etwa kann zu Kurzschlüssen und in der Folge zur Entstehung von Bränden führen.
Zu den möglichen Brandursachen gehören auch laienhaft verlegt oder unzureichend gewartete technische Leitungen, die Verwendung von nicht brandsicheren Lampen, kaputte Kabel und mangelhafte Wärmegeräte.
Immer wieder kommt es auch vor, dass sich Heu, Stroh oder Getreide selbst entzünden. Erntegut kann sich aufgrund von unsachgemässen Lagertechniken durch biologische und chemische Reaktionen ebenfalls erhitzen.
Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hat bereits mehrfach auf die generelle Problematik der Unterbringung von Nutztieren hingewiesen. So verhindere die Anbindehaltung bei Kühen oft, dass sie einem Brand entkommen könnten, dasselbe gelte für in Buchten gehaltene Schweine.
Bei Hühnern sei die Überzüchtung ein Faktor, der die Flucht erschwere. Durch die grosse Brust würden Hühner teilweise vornüber auf den Boden kippen, hinzu kämen Probleme wie entzündete Gliedmassen und weitere Verletzungen, welche eine Flucht verhindern. Weil ausserhalb eines Stalles meistens kein eingezäunter Platz vorhanden sei, liessen sich panische Rinder oft nur schwer nach draussen treiben.
Auch FDP-Nationalrätin Anna Giacometti weist in einem Postulat (mehr zum Inhalt weiter unten) auf das artenspezifische Verhalten von Tieren bei Bränden hin. Besonders bei Schweinen und Hühnern käme es oft vor, dass diese in Panik einen brennenden Stall nicht verlassen wollten. Die Tiere würden sich zusammenrotten oder beim Fluchtversuch sogar in die Flammen rennen.
«Die Brandschutzvorschriften in Bezug auf den Tierschutz sind ungenügend», sagt Pius Odermatt vom Schweizer Tierschutz STS. Der Experte macht eine grosse Lücke in der Regulierung fest.
Diese Meinung teilt Rechtsprofessor Peter V. Kunz. Grundsätzlich sei der Bund gemäss Verfassung für den Tierschutz, insbesondere auch die Tierhaltung (inklusive Stallhaltung), zuständig. Geregelt sei dies hauptsächlich im Tierschutzgesetz und der Tierschutzverordnung des Bundesrates.
«Auch die Ställe von Nutztieren fallen mit dem Landwirtschaftsrecht in die Kompetenz des Bundes», so Kunz weiter. Was Ställe betreffe, mache der Bundesrat zahlreiche Vorgaben, etwa in Bezug auf Grösse, Beleuchtung und Belüftung. «Der Bundesrat macht aber keine ausdrücklichen Vorschriften, was den Brandschutz betrifft. Das finde ich falsch.»
Für den Vollzug der Bundesrechte stehen die Kantone in der Verantwortung. Dies führe jedoch zu einem Flickenteppich an kantonalen Regelungen. Gewisse Kantone regelten hinsichtlich des Brandschutzes gar nichts. «Man kann hier also von einem Vollzugsdefizit sprechen», fährt Kunz fort, «deswegen bin ich ganz klar der Meinung, dass der Bundesrat eingreifen muss.»
Auch die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF) vertritt die Haltung, dass der Tierschutz im Kontext des Brandschutzes in der Kompetenz des Bundes liegt, wie sie in einem Schreiben an das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ausführt.
Die VKF arbeitet aktuell an einer Revision der seit 2015 geltenden Fassung der Schweizerischen Brandschutzvorschriften, 2026 sollen diese in Kraft treten. Die Revision fokussiert dabei primär auf den Schutz von Personen und Gebäuden, den Tierschutz klammert sie aus.
Die VKF hat dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen jedoch angeboten, ihre Brandschutzexpertise in den Gesetzgebungsprozess einzubringen.
Ende Februar dieses Jahres hat Anna Giacometti beim Bundesrat ein Postulat eingereicht. Die Bündner FDP-Nationalrätin beauftragte die Regierung, zu prüfen, «ob tierspezifische Brandschutzvorschriften und regelmässige Kontrollen für Tieranlagen gesetzlich zu verankern sind».
Der Bundesrat lehnte Giacomettis Postulat jedoch ab. In der Ende April publizierten Stellungnahme begründet die Regierung ihren Entscheid mit der Bundesverfassung, die besage, dass die Verantwortung zum Erlass von Brandschutzvorschriften nicht beim Bund liege.
Im Bereich der tierspezifischen Brandschutzvorschriften Gesetze zu erlassen, falle in die Kompetenz der Kantone.
Dies sei insofern zweckmässig, als Bauern oft im selben Gebäude wohnten, in dem auch die Ställe für die Tiere untergebracht seien. Es sei daher «nicht zielführend, die Regelungskompetenz für Brandschutzvorschriften zwischen Bund und Kantonen aufzuteilen».
Rechtsprofessor Kunz spricht von einem «politischen Trauerspiel». Bund und Kantone würden sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben, «auf dem Rücken und zulasten unschuldiger Tiere».
Die Zurückhaltung des Bundesrates beim Tierschutz verortet der verärgerte Jurist unter anderem in der Angst vor der Bauernlobby im Parlament, «vor Bauernverbandspräsident Markus Ritter und weiteren starken Bauern». Kunz sagt:
Kunz vertritt die Ansicht, dass die Zuständigkeit des Bundes juristisch nicht bestritten werden könne. Aktuell sei die Tierschutzverordnung des Bundesrates in Revision, «es wäre kein übermässiger Aufwand, die Verordnung mit Regelungen zum Brandschutz zu ergänzen». Was der Bundesrat aktuell mache, sei jedoch schlicht «Arbeitsverweigerung».
«Es ist sehr zu bedauern und macht uns traurig, dass nun schon wieder Tiere auf solch tragische Art und Weise sterben mussten», sagt Sibel Konyo von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) auf Anfrage von watson. Brände in landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetrieben wie demjenigen in Gossau seien leider keine Seltenheit und forderten «oftmals eine schockierend hohe Anzahl an tierlichen Todesopfern».
Sowohl die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) als auch der Schweizer Tierschutz STS haben sich im Jahr 2021 an die Vereinigung kantonaler Feuerversicherungen (VKF) gewandt. Das Ziel: an der aktuell laufenden Revision der Brandschutzvorschriften mitzuwirken.
Die Bemühungen der Tierschutzorganisationen zeigten jedoch keinen Erfolg, die Tiere bleiben weiterhin aussen vor. Das Interkantonale Organ Technische Handelshemmnisse (I-OTH) hat die Schutzziele der VKF mit Fokus auf Personen und Infrastruktur genehmigt.
Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) plädiert wie Rechtsprofessor Kunz ebenfalls für eine Erweiterung der aktuell geltenden Tierhaltungsbestimmungen. Wären spezifische Brandschutzmassnahmen in der Tierschutzverordnung des Bundesrates verankert, würde dies die Rechtsgrundlage schaffen, bestehende gesetzliche Lücken – auf kantonaler Ebene und in anderen Gesetzgebungen – zu schliessen.
TIR schlägt konkrete notwendige Brandschutzmassnahmen vor: Diese betreffen bereits die Planung von landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch die Ausstattung, die behördlichen Kontrollen und den Einsatz von Warngeräten wie Rauchmelder.
Noch ist nicht klar, wie es zum Feuer in Gossau hat kommen können. Ob der Brand für den betroffenen Bauer rechtliche Konsequenzen hat, hänge von der Brandursache ab, so Sibel Konyo von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR). Da ein Tierhalter für das Wohlergehen seiner Tiere verantwortlich sei, «kann eine Strafbarkeit aufgrund dieses Vorfalls jedoch nicht ausgeschlossen werden».
Pius Odermatt vom Schweizer Tierschutz STS sagt, dass auch seine Organisation je nach Befund der Feuerpolizei und Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige in Betracht ziehe. Gleichzeitig denkt Odermatt an den Tierhalter:
Auch wenn der wirtschaftliche Schaden durch die Versicherung gedeckt werde, «ist das emotional eine riesige Belastung».
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St.Gallen hat nach dem verheerenden Brand in Gossau ein Strafverfahren gegen Unbekannt eröffnet, wie es auf Anfrage heisst. Weitere Angaben macht sie aufgrund der laufenden Strafuntersuchung nicht.
Wie die Staatsanwaltschaft mitteilt, sei der Schweinezuchtbetrieb durch den forensischen Dienst der Polizei und der Gebäudeversicherung freigegeben worden. Unmittelbar danach habe der Abbruch des eingestürzten Stalles begonnen, so Albert Fritsche, Kantonstierarzt und Amtsleiter des Gesundheitsdepartements St. Gallen.
«Die Tierkörper werden von der TMF Bazenheid (Tiermehlfabrik) abtransportiert und entsorgt», so Fritsche weiter. Material, das untrennbar mit Brandschutt vermischt war, sei in der Kehrrichtverbrennungsanlage verbrannt worden. Fritsche unterstützt den Bauer bei der Organisation der Abräumung.