Mafia-Chat: Wenn die höchsten Staatsanwälte den Zürcher Oberrichtern widersprechen
Es war ein Richterspruch, der Kokain-Dealern, Auftragskillern, Geldwäschern und Kinderporno-Ringen in den Kram passt: Im August entschied das Zürcher Obergericht, die SkyECC-Daten seien «absolut unverwertbar».
SkyECC war ein Chat auf speziell präparierten Telefonen, über die Schwerstkriminelle ihre Verbrechen organisierten und dokumentierten. Bis Europol unter Führung Frankreichs den Chat knackte. Gemäss der II. Strafkammer des Zürcher Obergerichts beschaffte Europol die Daten von SkyECC-Benutzern in der Schweiz jedoch illegal, ohne vorheriges Rechtshilfegesuch. Damit sei das Territorialprinzip, also die Schweizer Souveränität, verletzt worden.
Höchste Schweizer Staatsanwälte widersprechen
Jetzt halten die höchsten Schweizer Staatsanwälte dagegen. «Die Verwertbarkeit solcher Daten wurde bereits von verschiedenen Gerichten anderer europäischer Länder – mit einem jeweils mit der Schweiz vergleichbaren Rechtsschutzstandard – für verwertbar erklärt», teilt Schweizerischen Staatsanwaltschaftskonferenz SSK auf Anfrage mit. Die SSK unter ihrem Präsidenten Christoph Ill, dem Ersten Staatsanwalt von St. Gallen, sei daher «der Überzeugung, dass die SkyECC-Daten rechtmässig erhoben wurden und ihrer Verwertbarkeit in der Schweiz nichts entgegensteht».
Bei SkyECC habe es sich «um einen verschlüsselten Kommunikationsdienst gehandelt, der insbesondere von Akteuren der grenzüberschreitenden Schwerstkriminalität benutzt wurde», so die SSK. Dank technisch innovativer Methoden sei es ausländischen Strafverfolgungsbehörden gelungen, die darüber geführte Kommunikation abzufangen und zu entschlüsseln. «Vor dem Hintergrund des international anerkannten Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und im Interesse einer wirksamen Bekämpfung der grenzüberschreitenden Schwerstkriminalität ist die Verwertbarkeit der erhobenen SkyECC-Daten auch für die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden von grosser Bedeutung», halten die obersten Schweizer Strafverfolger fest.
Für die SSK, in deren Vorstand auch Bundesanwalt Stefan Blättler sitzt, stehe fest, dass die Daten legal erhoben wurden. Diese Überzeugung hatte gegenüber dieser Zeitung auch Markus Mohler geäussert, Spezialist in Sicherheits- und Polizeirecht und selbst einst Staatsanwalt: Das Zürcher Urteil sei «unzutreffend», es berücksichtige unter anderem das Schengen-Recht nicht.
Bezirksrichter kanzeln eigenes Obergericht ab
In der Zwischenzeit widersprach ausgerechnet das Bezirksgericht Bülach ZH den eigenen kantonalen Oberrichtern. Es verhängte eine zehnjährige Freiheitsstrafe gegen einen Schweizer Drogenhändler, der dank abgefangener SkyECC-Daten aufgeflogen war. Laut «Tages-Anzeiger» sagte der Vorsitzende Richter, die Daten seien aus Bülacher Sicht verwertbar. Es gebe zwar «seit August die Ansicht einer Kammer des Obergerichts», aber man könne «durchaus eine andere haben».
Allein schon «die Nutzung der App weckt den Verdacht auf lusche Geschäfte», so der Richter. Zudem sei Frankreich, wo die Daten erhoben wurden, «ein Rechtsstaat und keine Bananenrepublik». Dass sich die abgehörten Telefone in anderen Ländern befanden, sei damals gar nicht bekannt gewesen. Will heissen: Die Franzosen hätten gar nicht wissen können, wo sie allfällige Rechtshilfegesuche hätten stellen müssen.
In der Sache liegt der Ball in Lausanne. Denn die Zürcher Staatsanwaltschaft hat mittlerweile beim Bundesgericht Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts eingereicht. Sollten die höchsten Richter die Daten für unverwertbar erklären, kämen Dutzende, wenn nicht Hunderte von Kriminellen mit milderen Strafen oder straflos davon.
