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Solothurn

Drogen: Wie eine internationale Kokain-Bande von Grenchen aus operiert

Wie eine internationale Kokain-Bande von Grenchen aus operiert

Sie nannten den Hund Toto Riina und trugen T-Shirts mit der Aufschrift Pablo Escobar: Details und Zusammenhänge zu einer internationalen Kokain-Bande, die von Grenchen aus operierte.
07.10.2025, 09:5607.10.2025, 09:56
Henry Habegger / ch media

In sozialen Medien posteten sie Fotos aus Mailand, aus Istanbul, aus Amsterdam, aus London, aus Athen, aus Zürich, aus Biel, aus Luzern, aus Grenchen. Und immer wieder aus Albanien, aus der Region Tirana oder von einem Strand. Immer wieder auf den Kühlerhauben von dicken Autos sitzend. Mit Sprüchen wie: «Ich brauche einen Raum voller Spiegel, damit ich von Gewinnern umgeben bin.» Oder auf Englisch etwas wie: «So viel Kokain in der Welt, aber eure Nase steckt ihr immer noch in unsere Probleme – schei... auf alle.»

Ein Hund namens Toto Riina

Manchmal posteten sie Gruppenfotos, vor dem London Eye oder dem Mailänder Dom. Oder mit Maschinenpistolen vor der Brust. Einer zeigte sich im T-Shirt mit der Aufschrift Pablo Escobar, dem kolumbianischen Kokainboss. Einer aus dem Netz taufte seinen Hund Toto Riina, eine üble Hommage an den brutalsten Boss der sizilianischen Mafia. Einer gab an, seine Lieblingssendung sei die Mafia-Miniserie «Der Boss der Bosse».

Bis zu 300 Likes gab es für solche Provokationen oder Drohungen, viele davon aus Solothurn.

Damit ist es vorerst vorbei. Die paar Männer, von denen hier die Rede ist, Albaner und Italiener, sitzen in Haft. In der Schweiz und in Albanien. Sie werden beschuldigt, eine kriminelle Gruppe gebildet zu haben, die mit Schwerpunkt Grenchen vor allem mit Kokain handelte, das sie aus Südamerika importierte.

Ermittlungserfolg für die Solothurner Behörden

Der Bande auf die Schliche gekommen waren die Solothurner Polizei und die Staatsanwaltschaft. Diese teilte im November 2024 mit: «Die Gruppierung hat im grossen Stil Heroin und Kokain europaweit vertrieben.» Zwischen 2021 und 2024 seien «bei verschiedenen Hausdurchsuchungen und Interventionen zwei Schusswaffen, Bargeld von mehr als 50’000 Franken, 13,7 kg Heroin- und Kokaingemisch, 31 kg Kokaingemisch und schliesslich 256 kg Kokaingemisch im Hamburger Hafen sichergestellt und beschlagnahmt» worden. Stoff mit einem «Strassenwert von rund 15 Millionen Schweizer Franken».

In internationaler Zusammenarbeit gelang es Solothurn, im Hamburger Hafen 256 kg Kokaingemisch sicherzustellen.
In internationaler Zusammenarbeit gelang es Solothurn, im Hamburger Hafen 256 kg Kokaingemisch sicherzustellen.Bild: zvg

Fast 300 Kilo Kokain: Das ist für Schweizer Verhältnisse ein grosser Fall. Die Solothurner eröffneten gegen mehr als zehn Personen ein Strafverfahren. Im November 2024, als die Mitteilung publiziert wurde, waren ein Albaner und ein Italiener in Solothurn schon zu Freiheitsstrafen verurteilt worden: Einer zu gut acht Jahren, einer zu fast sieben Jahren.

Die Bande operierte lange von Grenchen aus. Hier waren einige der Haupttäter wohnhaft. Ihre Basis aber war der Raum Tirana in Albanien. Dies wurde spätestens vor einigen Wochen deutlich, als die albanische Sonderstaatsanwaltschaft SPAK mitteilte, sie habe Strafverfahren gegen zwei Albaner eröffnet, die sie namentlich nannte. Das ermöglicht es jetzt, die Szene journalistisch genauer auszuleuchten: Die beiden Beschuldigten gehören zu den einleitend erwähnten Männern mit Solothurn-Bezug, die sich auf sozialen Medien inszenierten.

Grenchner mit albanischen Wurzeln am Werk

B. gilt als Boss dieser kriminellen Organisation. Die SPAK bezeichnet den 37-jährigen als «Leiter und Financier der kriminellen Aktivitäten in 15 verschiedenen Drogenhandelsepisoden». Ihm wird Drogenhandel vorgeworfen, Fälschung von Pässen, von Führerscheinen, kosovarischen Identitätskarten. Der Boss der Zelle ist mit einer Italienerin verheiratet, die im Kanton Solothurn aufgewachsen ist.

L., der zweite Albaner, ist ein Helfer von B. Ihm wird Beteiligung an der kriminellen Gruppe vorgeworfen und Drogenverkauf in sechs Fällen. «Er wird verdächtigt, an Transport und Verteilung von Drogen auf Schweizer Gebiet beteiligt gewesen zu sein», so die SPAK.

Den Verhaftungen in Albanien wie auch der Schweiz war eine intensive nationale und internationale Zusammenarbeit vorausgegangen – insbesondere mit Albanien und Deutschland. «Wir arbeiten mit der Spezialstaatsanwaltschaft SPAK sehr gut zusammen», sagt Raphael Stüdi, zuständiger Solothurner Staatsanwalt, «diese Unterstützung war entscheidend und ist für die weitere Bekämpfung der organisierten Kriminalität wichtig.»

So wurde einer der Italiener aus Grenchen, der sich nach Albanien abgesetzt hatte, in Tirana verhaftet und an die Schweiz ausgeliefert, wo er eine mehrjährige Haftstrafe fasste.

Drogenladung aus Südamerika abgefangen

Auch die beiden Albaner, gegen die in Tirana Strafverfahren laufen, hatten sich Ende 2021, nach den ersten Razzien in Solothurn, ins Ausland abgesetzt. Zuletzt steuerte der Boss B. die Geschäfte von Albanien aus.

epa04449636 Portuguese Police show some of the 600 kilograms of cocaine found on a sailing-boat at Sagres harbour, Algarve, south of Portugal, 16 October 2014, after the arrest of 2 men. EPA/LUÍS FORR ...
Drogendealer testet die Qualität einer Lieferung Kokain. (Symbolbild)Bild: EPA/LUSA

Ein für Schweizer Ermittler seltener Erfolg war die Sicherstellung von fast 300 Kilo Kokain im Hafen von Hamburg – auch dank dem Umstand, dass Deutschland sehr schnell Rechtshilfe leistete. Die Drogenladung kam aus Südamerika, sie war in Container versteckt und mit GPS-Sendern versehen. Normalerweise schickt eine solche Organisation Helfershelfer, vielfach Landsleute zum Hafen, um die Ware zu orten. Aber die Ermittler waren für einmal schneller.

Dass die Drogenbosse auf Landsleute setzen, wenn es um das Abholen und den Vertrieb der Drogen geht, zeigte sich in den letzten Jahren auch in Solothurn. Dort wurden, wie Staatsanwalt Stüdi sagt, seit 2023 nicht weniger als 60 Drogenläufer in Zusammenarbeit mit dem Fahndungs- und Aktionsdienst der Polizei verhaftet, angeklagt und verurteilt. Meist zu zwei bis drei Jahren Haft und fünf bis zehn Jahren Landesverweis.

Drogenläufer in Albanien rekrutiert

Diese jungen Männer werden in Albanien angeworben und in der Regel per Bus in die Schweiz gebracht, um hier für zwei oder drei Monate als Drogenläufer tätig zu sein. Männer um die 20, häufig ohne Vorstrafen und mit wenig Perspektiven im eigenen Land. An der Busstation in der Schweiz werden sie von Landsleuten abgeholt, in eine Wohnung gebracht, nicht selten in umgenutzten Altliegenschaften, in denen Zimmer monatsweise gemietet werden können, oder in Wohnungen bei Privatpersonen. Sie werden genau instruiert, was sie zu tun und wie sie sich zu verhalten haben. Die Drogenläufer bleiben, wenn sie nicht vorher auffliegen, meist zwei bis drei Monate in der Schweiz, dann reisen sie wieder aus. Ermittler nennen diese Drogenläufer bisweilen «Bauernopfer» der Drogenclans.

Ihr Auftrag hier ist, den Stoff an die Abnehmer auszuliefern. Sie erhalten in der Regel vom Boss aus Albanien über einen Messengerdienst wie WhatsApp oder Telegram genaue Instruktionen, wo sie den Stoff holen und wem sie ihn zu welchem Preis bringen müssen. «Sie sind sehr gut instruiert», sagt Staatsanwalt Stüdi. Auch für den Fall, dass sie erwischt werden. Dann wissen sie genau, was sie zu sagen haben: Nichts. Jedenfalls nichts über ihre Auftraggeber.

Luzerner Reisebüro als Waschanlage

Brisant ist, was mit dem Geld passierte, das die Solothurner Zelle kassierte. Laut Staatsanwalt Stüdi lieferte sie die Einnahmen dort ab, wo auch das Geld eines Luzerner Balkan-Clans abgeliefert wurde: In einem von Kosovaren geführten Reisebüro in Luzern, das als Geld-Drehscheibe für die Balkan-Mafia diente.

Es zeigt sich also, dass verschiedene Zellen in dieser Drogenhandelsszene die gleiche Infrastruktur nutzen wenn es um das Verschieben der Gelder geht. Zellen, die auf den ersten Blick sonst wenig Überschneidungen zu haben scheinen. Dass sie die gleiche Geldschiene benutzen, kann aber bedeuten, dass im Hintergrund in Albanien die gleichen Kreise an den Schalthebeln sitzen.

Das Luzerner Reisebüro war laut den Ermittlungen eine Sammelstelle für Drogengelder. Diese wurden von hier aus weiter in den Balkan geschleust, und zwar nach der Methode des Hawala-Bankings. Dieses Geldtransfersystem läuft nicht über Banken, sondern basiert auf Vertrauen. Es hinterlässt praktisch keine Spuren und ist deshalb bei Kriminellen beliebt.

Vom Luzerner Reisebüro aus floss auch das Geld der Solothurner Zelle mutmasslich nach Albanien, wo es investiert oder für die Finanzierung neuer Kokain-Lieferungen aus Südamerika verwendet wurde. Ein Teil blieb in der Schweiz.

Die Betreiber des Reisebüros sowie ein mutmasslicher kosovo-albanischer Boss sitzen seit letztem Jahr in der Schweiz in Untersuchungshaft. Gegen sie führt die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren. Auch in diesem Fall verhaftete die albanische Sonderstaatsanwaltschaft SPAK mehrere Personen. So einen anderen Drogenboss, der die Schweiz mit Kokain überschwemmt haben soll. Der Mann lebte vor Jahren im Raum Biel in der Schweiz, wurde wegen Drogenhandels schon einmal hier verurteilt. Ein Teil seiner Familie ist in der Deutschschweiz sehr aktiv: Im Bau-, Gastro- und Immobiliengeschäft. Die Mafia ist überall dort, wo es Geld zu verdienen gibt.

Staatsanwalt: Frühes Eingreifen ist entscheidend

Sicher ist: Die kriminellen Strukturen setzen sich bei uns fest, verschmelzen mit der legalen Wirtschaft.

«Darum ist es entscheidend, dass wir solche Strukturen rechtzeitig erkennen und früh eingreifen, beispielsweise bei den Drogenläufern, auch wenn festgenommene und im Anschluss ausgeschaffte Drogenläufer umgehend wieder ersetzt werden», sagt Staatsanwalt Stüdi. «Wichtig ist zudem, dass wir auch Verfahren gegen Personen führen, die hierarchisch über dieser Läuferebene anzusiedeln sind.»

Es ist nicht selbstverständlich, dass es Schweizer Ermittlern gelingt, in die höheren Hierarchiestufen solcher kriminellen Vereinigungen vorzudringen. Die Solothurner haben es in diesem Fall geschafft.

Die Erfahrung zeige, sagt Staatsanwalt Stüdi, dass es einfacher sei, gegen solche Strukturen vorzugehen, solange sie ausschliesslich in der Illegalität operierten: «Später, wenn sie Firmen gründen, in die legale Wirtschaft investieren, sich von Treuhändern und Revisoren eine sauber aussehende Buchhaltung führen lassen, wenn sich also illegale und legale Wirtschaftszweige ineinander verschmelzen, dann wird es für die Strafverfolgungsbehörden anspruchsvoller, dagegen vorzugehen», sagt Stüdi. «Wenn das schmutzige Geld im legalen Kreislauf reinvestiert wird, ist es oft zu spät.»

Ob in Solothurn, in Luzern, in Bern oder in Tirana: Die Ermittlungen laufen weiter. Es gilt die Unschuldsvermutung.

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Squawk 7700
07.10.2025 10:47registriert Mai 2025
Ich hasse es, solchen Leuten mit ihren Protzkarren zu begegnen und eigentlich ist völlig klar, dass sie das Geld nicht ehrlich verdient haben, aber man kann nichts dagegen tun und innihrer Community sind sie sogar noch die Helden. Da würde ich mir auch in anderen Kantonen etwas mehr Engagement von den Behörden wünschen, wie es offenbar die Staatsanwaltschaft Solothurn gemacht hat.
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Kommissar Rizzo
07.10.2025 11:02registriert Mai 2021
*Im Bau-, Gastro- und Immobiliengeschäft*

Wo dann wiederum Geld gewaschen und der Staat mittels nicht bezahlter Sozialabgaben betrogen wird. Wo Mitbewerber unterboten und Hauskäufer überboten werden.

Alles bekannt, vieles toleriert.
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winglet55
07.10.2025 10:27registriert März 2016
Das Problem an der Sache ist nur, dass die ersten Mafiosi vor knapp 100 Jahren schon in die Schweiz geschleust wurden. Als Bauarbeiter, grünndeten einen Bocchia Club, kauften ein Restaurant, bauten es zum Hotel aus und sind heute im Hotel und Immobilienbusiness tätig. Respektiert und vollkommen legal. Die Schweiz er Justiz hat jahrzehntelang geschlafen und bekämpft Heute einen Geist, der sich längst eingenistet hat.
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