Am 3. Juli 2021 verschwand in der Nähe von Mailand Pasquale Lamberti, 68. Der Unternehmer mit kalabrischen Wurzeln hinterliess zu Hause auf einem Handy eine Notiz. Sie begann: «Mein Leben ist in Gefahr. Wenn ihr diese Nachricht lest, dann bedeutet das, dass ich nicht zurückgekehrt bin.» Und dann nannte der Unternehmer aus Monza vier Personen, die «für mein allfälliges Verschwinden verantwortlich sind».
Lamberti ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Seine Frau glaubt, wie sie in der italienischen TV-Sendung «Le Iene» unter Tränen sagte, ihr Gatte sei ermordet und in Säure aufgelöst worden.
Vor einigen Tagen liess die Staatsanwaltschaft von Brescia fünf Personen verhaften. Unter ihnen laut italienischen Medien zwei, die der Unternehmer in seiner Botschaft genannt hatte: Broker Claudio M*., 59, und Gabriele A*., 51. Aber auch ein Mann namens Antonio Bruzzaniti, wohnhaft in der Nähe von Mailand. Er gilt als führende Figur im 'Ndrangheta-Clan der Morabito-Bruzzaniti-Palamara aus der Region von Africo in Kalabrien.
Den Verdächtigen wird laut italienischen Medienberichten betrügerischer Konkurs, unrechtmässige Aneignung von öffentlichen Geldern, Unterschlagung und Steuerdelikte vorgeworfen. Es wurden Gelder in Millionenhöhe beschlagnahmt.
Schon 2021, nach dem Verschwinden des Unternehmers, hatte die Staatsanwaltschaft von Monza Ermittlungen aufgenommen. Lamberti hatte in seiner Message auch noch geschrieben, dass «die vier erwähnten Personen mein ganzes Vermögen unter Kontrolle haben».
Es zeigte sich, dass der Unternehmer 2,6 Millionen Euro in einen dubiosen Investmentfonds eingezahlt hatte. Ihm waren offenbar von Claudio M. hohe Renditen versprochen worden. Als das Geld weg war, schafften es die Gangster, so sieht es heute aus, Lamberti seine Firmen abzuknöpfen. Sie waren in Geschäftsfeldern wie Immobilien, Elektroinstallationen, Futtermittel aktiv.
Bald jedenfalls sassen in der Chefetage der Lamberti-Firmen Schwerstkriminelle. Mitglieder der Mafia-Familie Bruzzaniti, aber auch Claudio M. und sein Buchhalter. Sie plünderten Firmenkassen, liessen sich Luxuswagen bezahlen und sogar Zahnsanierungen. Sie höhlten die Firmen aus und trieben sie in den Konkurs. Lamberti sei von Claudio M. in der Firma «bedroht und beleidigt» worden, so der Corriere della Calabria.
Die Strukturen, über die der mutmassliche Betrug lief, befinden sich in der Schweiz. Sie wurden von hiesigem Personal aufgesetzt und betreut. Recherchen fördern die Namen von mindestens sechs Schweizer Anwälten, Notaren, Treuhändern und anderen Geschäftemachern zutage. Mindestens vier von ihnen sind waschechte Schweizer. Alles Leute, die angeben, sich gesetzestreu verhalten zu haben.
Um besser zu verstehen, was da passierte, ist eine Rekonstruktion auf der Zeitachse hilfreich.
2012 wurde im Kanton Schwyz durch einen italienischen Unternehmer in Chiasso eine Handelsfirma gegründet.
2016 wurde der Firmenmantel verkauft und umfirmiert. Er war jetzt angeblich ein Gipsergeschäft an bester Zürcher Adresse, der auch Darlehen gewähren und finanzielle Transaktionen tätigen konnte. Innert kurzer Zeit änderten mehrmals die Organe. Wiederholt aktiv war ein Anwalt, ein waschechter Schweizer, der nicht zum ersten Mal in fragwürdigem Zusammenhang auftaucht.
2017 wurde der Mantel in den Kanton St. Gallen verschoben, er war jetzt eine Generalunternehmung, die auch Eisenleger-, Schalungs- und Maurerarbeiten ausführte. Diese Aktiengesellschaft erhielt jetzt jenen Namen, über den ab 2020 der mutmassliche Betrug in Italien lief.
Denn spätestens ab 2020 standen, das zeigen Recherchen bei Personen mit Kenntnis der Vorgänge, der italienische «Broker» Claudio M. und sein angeblicher «Buchhalter» Gabriele A. hinter der Firma.
Der «Broker» setzte im Januar 2020 einen Italiener aus Chiasso als Direktor der Firma ein. Der Mann war früher schon wegen Urkundenfälschung verurteilt worden, Leute, die ihn kennen, meinen, er sei von der Mafia als Instrument benutzt worden.
Wenig später, ab Anfang Februar 2020, begann der Unternehmer Lamberti, in Italien grosse Summen an eine Investmentgesellschaft mit Sitz in Prag zu überweisen. Eine Gesellschaft, die offensichtlich reiner Bluff war, was der Unternehmer aber vermutlich nicht merkte. Zu Beginn seien, so der Stiefsohn in der Sendung «Le Iene», hohe Zinsen gezahlt worden. Offenbar, um Lamberti zu weiteren Investitionen zu bewegen.
In Tranchen von zwischen 50'000 bis 500'000 Euro überwies der Unternehmer innert einem halben Jahr insgesamt 2,6 Millionen Euro an die Fake-Firma. Das Geld landete offensichtlich beim angeblichen Broker Claudio M., in dem Lamberti nach eigenen Angaben einen «brüderlichen Freund» gesehen hatte. Lamberti sah das Geld anscheinend nicht wieder.
Ob aus Geldnot oder welchen Gründen auch immer: Im September 2020 verkaufte Lamberti seine Firma an die dubiose Schweizer «Generalunternehmung», deren Direktor der verurteilte Betrüger war. Preis: 3,65 Millionen Euro.
Einziger Verwaltungsrat der Schweizer «Generalunternehmung» war zu diesem Zeitpunkt ein Zürcher Anwalt. Er gibt auf Anfrage an, es seien nie Gelder über die Firmenkonten geflossen, er habe sich nichts vorzuwerfen.
Dass nie Geld floss, kann sogar stimmen. Denn angeblich wurde der Kaufpreis von 3,65 Millionen Euro in bar an die Tochter des Unternehmers gezahlt. Der Vorgang inklusive Verkaufsvertrag wurde von einem Notar in Mendrisio beurkundet. Es unterschrieben die Tochter und der Direktor. Die Tochter sagte aus, sie habe auf Anweisung ihres Vaters unterschrieben, der gesagt habe, es sei alles in Ordnung.
Der als «Direktor» eingesetzte Strohmann, offenbar ein schwerkranker Mann, der das Geld übergeben haben soll, stritt das gegenüber «Le Iene» ab. Ende 2020 wurde er als «Direktor» abberufen.
Am 3. Juli 2021 verschwand der Unternehmer Lamberti spurlos.
Am 8. Juli 2021 wurde der Sitz der «Generalunternehmung» in den Kanton Zürich verlegt. Ein neuer Schweizer Allein-Verwaltungsrat trat ein, die Firma, neu eine Investitionsfirma, erhielt einen anderen Namen: Sie hiess jetzt wie eine der italienischen Firmen, die dem Unternehmer angeblich abgeknöpft wurden. Der neue Verwaltungsrat reagierte bisher nicht auf eine Mail-Anfrage.
Ende Juli 2021, also nach dem Verschwinden von Lamberti, trat auch der in Monza (IT) wohnhafte «Buchhalter» A. in die Firma ein.
In diesem Zeitraum verkaufte die jetzt nicht mehr existente «Generalunternehmung» die italienische Firma innerhalb der Schweiz weiter: für 3,65 Millionen Euro. Angeblicher Käufer war eine Treuhandfirma im Kanton Schwyz. Sie wurde von einem pensionierten Schweizer Treuhänder betrieben, soll aber faktisch dem Italiener Claudio M. gehören.
Über diese Firma wurden in der Folge laut italienischen Medien diverse Luxusautos gekauft, aber offenbar nicht bezahlt. Das habe den Treuhänder an den Rand des Bankrotts gebracht. Der Schwyzer Treuhänder will sich auf Anfrage nicht äussern: «Ich kann nichts sagen, ich hoffe, Sie verstehen mich.»
Sicher ist, dass der Italiener Claudio M. im Kanton Zürich eine Aufenthaltsbewilligung erhielt und als Verwaltungsrat selbst in einer Firma sass. Vermittelt wurde die Aufenthaltsbewilligung, so ein Geschäftspartner, durch einen anderen Italiener. Die Sache ist undurchsichtig, alte Seilschaften sind am Werk. Im Hintergrund spielt eine Gruppe von Personen in der Schweiz eine Rolle, die seit Jahren teils prominent im Autogeschäft aktiv ist.
Ein Schweizer Anwalt sagt, seines Wissens habe Claudio M. wegen Drogen lange im Knast verbracht. Laut italienischen Medien sass er wegen diverser Straftaten im Gefängnis, darunter Mord. «Er wirkte überhaupt nicht wie ein Mafioso», sagt ein Schweizer, der mit ihm zu tun hatte.
Es sieht so aus, als sei Claudio M. der Statthalter eines 'Ndrangheta-Clans gewesen. In der Schweiz fand er, so sieht es derzeit aus, reihenweise – ahnungslose? – Helfer.
Abgetaucht oder umgebracht? Was aus Unternehmer Lamberti wurde, ob er Mittäter ist oder Opfer, ist bis heute unklar.
Es gilt die Unschuldsvermutung.
* Name der Redaktion bekannt (aargauerzeitung.ch)
Brauche ich Beweise? Nein, denn das ist meine Meinung als Privatperson.
Wenn etwas aussieht wie ein Frosch, sich anfühlt wie ein Frosch und quakt wie ein Frosch, dann ist es in der Regel auch ein Frosch, whataboutfroschismus hin oder her.