«Ich habe diesen Menschen geliebt», sagt die Frau. Sie hätten eine perfekte Ehe geführt. Auf Augenhöhe. Ihr Leben habe sie ihrem Mann anvertraut. Doch dann stand plötzlich die Polizei vor ihrer Haustür. Und sagte ihr, sie müsse jetzt ganz stark sein. Es gehe um Vergewaltigungsvideos, auf denen sie eindeutig zu sehen sei.
Diese Szene schildert eine Frau in der neusten Doku des deutschen öffentlich-rechtlichen Youtube-Kanals «Strg_F». Das Rechercheteam hat bereits Ende 2024 ein Netzwerk aus Männern aufgedeckt, das sich auf Telegram Videos und Bilder von mutmasslichen Vergewaltigungen hin und her schickt. Bei den Opfern handelt es sich meist um ihre Partnerinnen, die sie für die Tat mit illegalen Schlafmitteln betäuben.
Im Rahmen ihrer ersten Recherche stolperten die Journalistinnen von Strg_F auch über die Pornoseite motherless.com. Dort bekamen sie abermals Videos von eindeutig bewusstlosen Frauen zu Gesicht, die mutmasslich vergewaltigt werden. Eine Frau ist gemäss den Usern auf der Plattform aber «eine wahre Legende». Die Journalistinnen nennen sie Marlene.
Videos von der bewusstlosen Marlene, die von einem Mann auf alle möglichen Arten sexuell missbraucht wird, gehen bis zu zwanzig Jahre zurück. Den Urheber der Videos nennen die Journalistinnen in der Doku Nils. Unter die Uploads seiner tausendfach aufgerufenen Videos schreibt Nils: «Raping Sleeping Wife».
Die anderen User feiern ihn für seinen Content. «Richtig geil!», kommentieren sie. Oder:
Ein User fragt ihn, ob seine Frau wirklich so tief schlafe oder ob er sie betäubt habe. Nils' Antwort:
Gegen Nils und zwei weitere User, die auf der Plattform damit prahlen, ihre Ehefrauen zu vergewaltigen, gehen die Journalistinnen vor.
Das ist die Geschichte von Marlene.
Nils ist nicht nur auf motherless.com aktiv, sondern auch auf mindestens fünf weiteren ähnlichen Plattformen. seine Spuren können die Journalistinnen bis ins Jahr 2006 zurückverfolgen. Seit fast zwanzig Jahren postet er Vergewaltigungsvideos von seiner bewusstlosen Frau, die teilweise schon millionenfach angeschaut worden sind.
Auf seinen Content ist Nils online sichtlich stolz. Er schreibt Kommentaren wie diesen:
Die Journalistinnen finden Videos, in denen Nils derselben bewusstlosen Frau ins Gesicht schlägt. Marlene sagt in der Doku:
Erst im Nachhinein fügten sich die Puzzlestücke zusammen. Sie habe eine Zeit lang über Schlafprobleme geklagt. Am Freitagabend sei sie ins Bett gegangen und erst um 15 Uhr oder 16 Uhr des nächsten Tages wieder vollständig wach gewesen. Zu verschiedenen Ärzten sei sie gegangen, um abzuklären, was mit ihr los sei. Diese konnten nichts finden. Versicherten Marlene, dass sie wohl einfach erschöpft von einer stressigen Woche sei. Urin- oder Blutproben hätten sie allerdings nie genommen.
Auf die Idee, dass ihr Mann für diese Beschwerden verantwortlich ist, sei sie nie gekommen. Wenn sich Nils mit der Dosierung der Betäubungsmittel vertat, wachte Marlene am nächsten Morgen mit Durchfall auf. Und sagte sich, sie habe eben etwas Falsches gegessen. Wenn Nils seine bewusstlose Frau so stark ohrfeigte, dass sie am nächsten Tag mit Kopfschmerzen aufwachte, prahlte er auf der Plattform damit.
Dass diese Hölle nun vorbei ist, hat Marlene den Journalistinnen von Strg_F zu verdanken.
Im Juli 2023, noch während der Recherchearbeit, erstatten die Journalistinnen beim Bundeskriminalamt Anzeige gegen Nils. Zur Anzeige fügen sie einen Link zum Beweismaterials hinzu. Die Behörden antworten, man nehme den Fall auf. Doch sie laden das Beweismaterial nie herunter.
Als der Link verfällt, haken die Journalistinnen nach. Das Bundeskriminalamt gibt an, man werde die Unterlagen an die zuständige Hamburger Polizei weiterleiten. Dann passiert über ein Jahr lang nichts. Ein Jahr, in dem Nils abermals Videos postet, in denen er Marlene vergewaltigt. Dazu schreibt er etwa:
18 Monate später fragen die Journalistinnen bei den Behörden nach, was aus den Ermittlungen gegen Nils geworden ist. Die Hamburger Polizei gibt an, dass der Fall nie bei ihr angelangt sei. Erst im Oktober 2024 nimmt sie die Ermittlungen auf. Es kommt zur Hausdurchsuchung bei Marlene und Nils.
Marlene erzählt in der Doku, dass sie den Aufmarsch der Polizistinnen und Polizisten zunächst für einen schlechten Scherz gehalten habe. Gelacht habe sie. Aber den Beamten sei nicht nach Lachen zu Mute gewesen.
Nachdem sie erklärt hatten, warum sie hier seien, habe sie sofort ihren Mann gefragt, ob das stimme. Dieser habe sofort mit «Ja» geantwortet. «Das sind die letzten Worte, die ich von meinem Mann von Angesicht zu Angesicht gehört habe», sagt Marlene.
Die Polizei nimmt Nils mit aufs Revier. Im Anschluss ist es ihm verboten, einen Fuss ins gemeinsame Haus zu setzen. Kurz darauf kommt es zur Hausdurchsuchung. Die Polizei nimmt Festplatten und Laptops mit und findet hunderte Tabletten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Und die, «so gut versteckt waren, dass ich die gar nicht gesehen habe, nicht gefunden habe», so Marlene.
Während der Hausdurchsuchung hätten ihr zwei Beamtinnen zur Seite gestanden. Sie gehalten, als sie einfach nur geschrien habe. Weil sie nicht mehr gekonnt habe.
Was ihr Ehemann ihr angetan hat, über viele Jahre hinweg, kann Marlene erst fassen, als sie die Beweise zu Gesicht bekommt. Die Videos. Die Kommentare, die ihr Mann über sie geschrieben hat. Sie sagt:
Nach der Hausdurchsuchung spricht die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Nils aus. Vollstrecken wird sie diesen aber nie können. Kurz nach dem Haftbefehl stirbt Nils bei einem Autounfall ohne Fremdeinwirkung.
Marlene hat nun mit komplexen Gefühlen zu kämpfen. Sie sagt:
Die Liebe, die sie einst für ihn verspürt habe, sei aber der Verachtung gewichen. Auch aufgrund einer schmerzlichen Erkenntnis:
Tausende Menschen haben die Videos von ihrer Vergewaltigung gesehen. Oder schauen diese noch immer. Online verfügbar sind sie nach wie vor. Viele könnten die Videos auch privat heruntergeladen haben. Marlene hat Angst, dass irgendwann jemand auf sie zukommen und ihr sagen könnte, dass er sie im Internet gesehen hat.
Man könne sich gar nicht vorstellen, wie unerträglich das Wissen darüber sei, dass sich noch immer zahlreiche Männer zu ihren Vergewaltigungsvideos aufgeilten.
Marlene spricht in der Doku ihre Dankbarkeit gegenüber den Journalistinnen aus, die ihren Ehemann angezeigt haben. Gleichzeitig ist sie wütend auf die Behörden, die erst nach mehrmaligem Nachfragen des Rechercheteams aktiv geworden sind und über ein Jahr zugewartet haben.
Heute sei klar, dass ihr Ehemann sie seit August 2024 alle 14 Tage betäubt, missbraucht und vergewaltigt habe. Marlene ist sich zudem sicher:
Denn in zahlreichen Videos ist zu sehen, wie Marlene in bewusstlosem Zustand nach Luft ringt. Auch hat Nils auf der Plattform gegenüber anderen Usern zugegeben, dass er «befürchtet» hatte, sie sei gestorben.
Die Journalistinnen sind nicht nur gegen Marlenes Vergewaltiger vorgegangen. Sie haben auch Anzeige gegen zwei andere Männer auf der Plattform erstattet. Beide haben zahlreiche Videos von betäubten Frauen geteilt, die missbraucht werden.
Im einen Fall hat die Polizei Hessen die Ermittlungen eingestellt, «da nach dem Ergebnis der Ermittlungen einvernehmliche sexuelle Handlungen vorlagen». Auf Nachfrage der Journalistinnen gab die Polizei allerdings zu, dass die Videos, die der Mann auf seinem Motherless-Profil gepostet hat, nicht Bestandteil der Ermittlungen waren. Nun nimmt sie eine erneute Überprüfung des Falles vor.
Im anderen Fall ermitteln derzeit die Schweizer Behörden. Diese gaben zu Protokoll, dass sie eine Hausdurchsuchung durchgeführt hätten und sich der mutmassliche Täter in Untersuchungshaft befinde. Der Mann hat unter anderem Videos geteilt, in denen eine sehr junge, bewusstlose Frau auf brutalste Weise vergewaltigt wird.
Das Opfer aus jenem Video konnten die Journalistinnen in Kanada aufspüren. Auch sie hat zum Tatzeitpunkt nicht gewusst, was ihr damaliger Partner ihr antut. Sie war 17 Jahre alt, als er die ersten Videos von ihr machte. Während ihrer 2,5 Jahre Beziehung hat er sie wiederholt betäubt und vergewaltigt. Nun sitzt er im Gefängnis. Ihre Vergewaltigungsvideos kursieren indes wohl bis in alle Ewigkeit im Netz.