«Es ist keine Vergewaltigung, wenn sie nicht weiss, dass es passiert ist.»
«Schlafende Arschlöcher sind die Besten.»
«Es beginnt mit einem kleinen Glas Vodka und endet mit Schlaftabletten und Vaseline an ihrem Arsch. Das passiert jede Woche.»
Solche Nachrichten schicken sich Männer aus der ganzen Welt auf dem Messenger-Dienst Telegram zu. Täglich. Das dokumentiert der deutsche öffentlich-rechtliche YouTube-Kanal «Strg F» in seiner neuesten Recherche.
Das Rechercheteam hat sich dafür in dutzende Telegram-Chats eingeschlichen. Manche davon hatten über 70'000 Mitglieder aus der ganzen Welt. Im Zeitraum von drei Monaten senden sie sich über 7000 Nachrichten.
Was in diesen Chats zu lesen ist, ist vom Rechercheteam genau dokumentiert. Ein Telegram-User schreibt etwa:
Doch es bleibt nicht nur bei dummem Geschwätz oder Prahlerei.
Die Männer in den Telegram-Chats lassen ihren Worten auch Taten folgen. Fotos und Videos davon teilen sie stolz in den Chatgruppen. «Strg_F» hat all diese Bilder verpixelt. Was auf ihnen zu sehen ist, lässt sich aber erahnen: nackte, bewusstlose Frauen. Die User geben an, es handle sich um Frauen aus ihrem Umfeld: Ehefrauen, Freundinnen, Schwestern, Mütter.
In den Chats teilen sie Fotos und Videos, wie sie sich an diesen Frauen vergehen. Nicht selten auf Anweisung der Chatmitglieder. «Wollt ihr etwas in ihr sehen?», fragt ein Nutzer. Jemand im Chat antwortet: «Wie wäre es mit einem Löffel oder einem Handy?» Das Rechercheteam hält fest: Der Mann habe sich am Ende für einen Löffel entschieden und einen entsprechenden Bildbeweis geschickt.
In einem anderen Chat fragt ein User:
Die Antwort: «Ich versuche es.» Nach kurzer Zeit folgt ein Foto vom Gesicht einer bewusstlosen Frau mit weisser Flüssigkeit, die aus dem Mund läuft. Reaktion im Chat: fünf Herzchen, elf Flammen, ein Daumen hoch, und ein «Danke». Über 200 User lesen mit. In anderen Fällen sind es über 70'000 User, die Videos von sexuellen Übergriffen anschauen.
Auch Live-Streams finden statt. Einen Fall hält die Reportage fest: Ein Nutzer, der mit einer offensichtlich bewusstlosen Frau im Bett liegt. Andere Männer schauen zu, masturbieren, lachen, machen vulgäre Gesten.
In den Live-Streams, Videos und Chats zeigen die Männer ihre Gesichter, nennen die echten Namen ihrer Opfer, geben sogar ihre eigene Adresse preis, wenn sie anderen Usern gegen Geld die Vergewaltigung ihrer Freundin anbieten. Zahlen kann man ganz einfach via Paypal.
Die Männer fühlen sich offensichtlich sicher. Glauben nicht, dass ihnen Konsequenzen für ihre Taten drohen könnten. Und wahrscheinlich stimmt das auch. Von diesen mutmasslichen Straftaten werden hunderte, in manchen Fällen sogar tausende User Zeugen. Anstatt, dass die mutmasslichen Täter gemeldet oder angezeigt werden, werden diese kollektiv beklatscht. Besonders dann, wenn sie häufig «Content» liefern.
Manche User gehen gar noch einen Schritt weiter und geben Tipps, wie man seine Frau oder Freundin am besten betäubt. Sie bewerben verschiedene K.o.-Mittel, teilen Links zu Online-Shops, die solche Mittel verkaufen.
Eines dieser Mittel bestellt sich das Rechercheteam nach Hamburg. Es wird online als «Sleep Liquid» angepriesen. Schon nach vier Tagen kommt es an. Gesendet aus Malaysia.
Verpackung und Beipackzettel wirken harmlos. Das Produkt ist als Haar-Pflegeöl getarnt. Es wirkt wie jedes andere Pflegeprodukt: Glasfläschchen, weisse Verpackung mit darauf gedruckten Phrasen wie: «Ihr Wohlbefinden ist uns wichtig». Nur eine Pipette, die dem Paket beigelegt wurde, lässt eine andere Verwendung erahnen.
Das Rechercheteam soll dem Verkäufer nach Erhalt des Pakets schreiben. Dieser antwortet sofort mit einer detaillierten Anleitung, wie man das «Sleep Liquid» verwenden müsse. Alles müsse ausgetrunken werden, ab 30 Minuten würde die Wirkung einsetzen. Am «besten» wirke das Mittel in Kombination mit Alkohol. Auf die Frage, ob es gefährlich sein könne, antwortet der Verkäufer: «Nein.»
Toxikologe Volker Auwärter vom Universitätsklinikum Freiburg hat das scheinbare Haar-Pflegeöl untersucht und widerspricht im Beitrag von «Strg_F» deutlich: Das Mittel beinhalte Tiernarkosemittel, Benzodiazepin und ein Medikament, das gegen Erbrechen eingesetzt wird. Eine zu hohe Dosis allein könnte eine Vergiftung zur Folge haben. In Kombination mit Alkohol sei das «Sleep Liquid» gar noch gefährlicher.
Auwärter schockieren gleich zwei Dinge an diesem Mittel. Erstens, dass es getarnt als Haar-Pflegeöl nicht einmal bei einer Hausdurchsuchung durch die Polizei auffallen würde. Zweitens, dass die toxikologischen Standardtests, die bei Verdacht auf K.O.-Tropfen verwendet würden, die Substanzen in diesem Mittel nicht einmal anzeigen würde. Auwärter sagt in der Reportage von «Strg_F»:
Was die Telegram-Chats offenlegen, schockiert die Journalistinnen so sehr, dass sie sich dazu entscheiden, sie der Polizei zu melden. In den USA, Kanada und in Deutschland. Da, wo sie ausmachen können, dass manche User herkommen, die sexuelle Handlungen an bewusstlosen Frauen im Chat teilen.
Über ein Jahr, nachdem das Rechercheteam dem Bundeskriminalamt die Chats gemeldet hat, kann dieses noch immer nicht bestätigen, ob es die Chats untersucht hat. Es hält lediglich fest, dass es aus ermittlungstaktischen Gründen keine genauen Angaben machen könne. Weiter verweist das Bundeskriminalamt darauf, dass man solche Chats auch bei Telegram melden könne, so dass sie gelöscht würden.
Telegram wiederum lässt die Allgemeinplätze verlauten:
Offensichtlich erwischt niemand die über 70'000 User in den Chats, welche die Reporterinnen unter die Lupe genommen haben.
«Strg F» gibt an, vor über einem Jahr mit dieser Recherche begonnen zu haben. Inzwischen hat das Thema eine neue Brisanz erhalten. Seit September kennt jeder und jede den Namen der Französin Gisèle Pélicot. Und ihre Geschichte.
Über neun Jahre lang soll ihr Ex-Mann, Dominique Pélicot, sie betäubt und vergewaltigt haben. Weiter soll er seine bewusstlose Frau ohne ihr Wissen im Internet dutzenden Männern zur Vergewaltigung angeboten haben. Die fremden Männer kamen zu den Pélicots nach Hause und taten mit der bewusstlosen Gisèle Pélicot, was ihnen online versprochen worden war: Sie vergewaltigten sie. Während Dominique Pélicot die Taten mit der Kamera festhielt.
Aktuell entscheidet ein Gericht in Avignon über Dominique Pélicots Strafe. Und jene der 50 Mitangeklagten. Und die Welt bekommt vor Augen geführt, zu welchen grauenhaften Taten scheinbar ganz gewöhnliche Männer in der Mitte unserer Gesellschaft fähig sind.
Doch was diese Männer und Dominique Pélicot getan haben, ist alles andere als ein Einzelfall. Das ist nach dem Schauen der Reportage von «Strg F» klar. Das Rechercheteam findet in den Chats Männer aus aller Welt. Auch aus Deutschland.
Ob sich auch Schweizer in den Telegram-Chats befinden, erwähnt «Strg F» nicht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch Schweizer in diesen oder ähnlichen Gruppenchats verkehren. Denn Fälle, in denen Männer Frauen betäuben und anschliessend vergewaltigen, gibt es auch hierzulande. Nicht selten halten sie ihre Taten mit der Kamera fest. Hier eine kleine Zusammenstellung von Schlagzeilen von ähnlichen Fällen aus der Schweiz:
Der jüngste Fall kommt aus dem Thurgau. Anfang Dezember verhandelte das Bezirksgericht Frauenfeld über einen 39-jährigen Mann, der über Jahre hinweg insgesamt sieben Mädchen und acht Frauen wiederholt betäubt, unter Drogen gesetzt, missbraucht, geschändet, genötigt und vergewaltigt haben soll.
Seine Opfer kannte er gut. Sie stammten aus seinem Freundeskreis, der Verwandtschaft, der Nachbarschaft. Das jüngste Opfer soll vier Jahre alt gewesen sein. Die anderen Kinder fünf, sieben und zwölf Jahre. Das älteste Opfer war eine 80-jährige Frau.
Auch er filmte seine Taten. Die Polizei stellte auf seinem Handy zahlreiche Videos und Fotos von missbrauchten Babys und Kindern fest. Auch misshandelte Tiere waren darunter.
Der Angeklagte war geständig und entschuldigte sich vor Gericht mehrfach bei seinen Opfern und deren Familien, wie die Thurgauer Zeitung berichtete. Seine Taten erklärte er gleichzeitig damit, dass er selbst einst als Kind vergewaltigt worden sei.
Das Bezirksgericht Frauenfeld verurteilte ihn zu 15 Jahren unbedingter Freiheitsstrafe und 15 Jahren Landesverweis wegen mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, sexueller Nötigung, Vergewaltigung, Schändung, Pornografie und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Doch es zeigt: Fälle wie diese könnten auch in der Schweiz nur die Spitze des Eisbergs sein.
25 Jahre unbedingt.
Das wird sich in den Foren rumsprechen. Die Männer wissen bald nicht mehr, ob sie sich die Polizei ins Haus holen.
Wichtig ist, dass es automatisch 25 Jahre gibt. Es soll keine Rolle spielen, ob die Täter eine schlechte Jugend gehabt haben.
Wann machen wir eine Gesetzesänderung?